Und die Verfahrensregeln gelten doch!
Das Europäische Gericht erster Instanz (EuG) klärte in seiner Entscheidung vom 20.05.2010 (Az. T- 258/06) Verfahrensregeln für öffentliche Auftragsvergaben außerhalb des strengen Rechtsregimes der Vergaberichtlinien. Dies betrifft insbesondere Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte und Aufträge über nachrangige Leistungen gem. Anhang II B der Richtlinie RL 2004/18/EG und Anhang XVII B der Richtlinie RL 2004/17/EG.
Zu ihnen gehören beispielsweise Neben- und Hilfstätigkeiten des Verkehrs (Kategorie 20) oder Leistungen im Unterrichtswesen und der Berufsausbildung (Kategorie 24).
Bei öffentlichen Aufträgen mit Binnenmarktrelevanz gelten nach der Entscheidung die Bestimmungen des EG-Vertrags (bzw. nun des AEUV) zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, der Niederlassungsfreiheit sowie die allgemeinen Grundsätze der Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung.
Der Hintergrund: Mitteilung der Kommission
Die Europäische Kommission hatte am 23. Juni 2006 eine Mitteilung zu "Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen" verabschiedet (Abl. 2006, C 179, S. 2), in der sie sich insbesondere auf Entscheidungen des EuGH stützte.
Gegen diese Mitteilung hat die Bundesrepublik Deutschland Nichtigkeitsklage vor dem EuG erhoben. Sie war der Ansicht, die Kommission habe sich hier eine ihr nicht zustehende Rechtsetzungskompetenz angemaßt.
Ohne Erfolg! Das Gericht bestätigte die Regeln als geltendes Gemeinschaftsrecht, das der Europäische Gerichtshof (EuGH) in mehreren Entscheidungen präzisiert hat. Es maß der Mitteilung den Charakter einer Empfehlung und Stellungnahme ohne Rechtsetzungscharakter zu, gegen die eine Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG-Vertrag (nunmehr Art. 263 AEUV) nicht zulässig ist.
Inhaltlich stellte das EuG so klar, dass und mit welchem Inhalt die Leitlinien der Kommission gelten. Es betonte dabei, dass die Mitteilung nur Aufträge mit Binnenmarktrelevanz erfasst. Neben dem geringen Volumen müssen noch besondere Umstände hinzutreten, die im Einzelfall gegen ein grenzüberschreitendes Interesse sprechen. Das sind beispielsweise "Größe und Struktur des Marktes, wirtschaftliche Gepflogenheiten, usw." (Rn. 88 f.). Die Einschätzung der Binnenmarktrelevanz durch den öffentlichen Auftraggeber unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (Rn. 93).
Die Konsequenzen: Ex-Ante Transparenz, Art und Inhalt der Bekanntmachung
Im Einzelnen gelten nun folgende Regeln:
Es ist ein "angemessener Grad von Öffentlichkeit" zugunsten aller potenziellen Bieter auf dem Binnenmarkt sicherzustellen. Es soll so insbesondere nachprüfbar sein, ob ein Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurde.
Umfang und Wege der Mitteilung, mit denen der Auftraggeber dies sicherstellt, bleiben ihm überlassen, er ist also insbesondere nicht zur Bekanntmachung in amtlichen Veröffentlichungsblättern oder Tageszeitungen verpflichtet. Zulässig ist auch die Bekanntgabe über das Internet, etwa über ein Beschafferprofil. Nicht ausreichend ist es hingegen, nur einige potenzielle Bieter zu informieren und im übrigen nur auf Anfrage von Bietern zu reagieren ("passive" Information).
Inhaltlich muss eine Bekanntmachung folgende Mindestanforderungen erfüllen:
- Der Auftragsgegenstand ist grundsätzlich produktneutral zu beschreiben. Abweichungen sind nur in durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigten Ausnahmefällen und nur bei Verwendung des Zusatzes "oder gleichwertig" zulässig.
- Die Auftragsbedingungen dürfen weder direkt noch indirekt Auftragnehmer aus anderen Mitgliedstaaten benachteiligen.
- Es gilt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und Befähigungsnachweisen.
- Alle Teilnehmer müssen sich im Voraus über die geltenden Verfahrensregeln informieren können. Dazu zählt das EuG auch die maßgebenden Zuschlagskriterien und ihre relative Bedeutung (Rn. 124).
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