Erbenermittler

"Man beschenkt Leute, die von ihrem Glück nichts wissen"

von Jens KahrmannLesedauer: 4 Minuten
Die gesetzliche Erbfolge macht es möglich, dass sich nach dem Tod eines Menschen auch sehr entfernte Verwandte über einen plötzlichen Geldsegen freuen können – wenn Sie denn von ihrem Glück wissen. Einige Juristen haben die Erbenermittlung für sich entdeckt und suchen Erben anstelle von Mandanten. Wir haben recherchiert, wie der berufliche Alltag des Erbensuchers aussieht und warum er sich über jeden erfolgreichen Fall freuen kann.

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Gemäß § 1936 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erbt der Fiskus, wenn ein Verstorbener keine Verwandten oder Ehegatten hinterlässt und niemanden zum Erben eingesetzt hat. Das ist aber selten - meist ist nur unbekannt, wer die Hinterbliebenen sind und wo sie sich aufhalten. Das Gericht selbst oder ein von ihm bestellter Nachlasspfleger machen sich dann auf die Suche nach den Erben. In komplexeren Fällen beauftragen sie professionelle Erbenermittler, um entfernte Verwandte des Verstorbenen aufzuspüren. Dann ist Ewa Chmielewskas Expertise gefragt. Sie ist seit fünf Jahren Erbenermittlerin. Schon während ihres Jurastudiums hat sie damit begonnen, für das Nachlassverwaltungsbüro von Bernd Clasen in Hamburg auf der ganzen Welt nach Erben zu suchen.  Wie alle Erbenermittler betreibt die Juristin intensive Recherchen. Wenn sie sich nicht gerade in Archiven durch alte Unterlagen kämpft, arbeitet sie von ihrem Büroarbeitsplatz aus. Von dort schreibt sie Standesämter an, telefoniert lange Listen von Personen mit einschlägigen Familiennamen ab oder durchforstet große Online-Datenbanken wie ancestry.de, in denen Adressbücher, Passagierlisten und Geburts-, Heirats- und Sterbelisten zu finden sind – vor allem auch amerikanische: "Jeder zweite Fall bei uns hat Auslandsbezug, und die meisten ausländischen Erben sind in den ehemaligen deutschen Ostgebieten und in den USA angesiedelt."

Knallharte Recherche und das nötige Quäntchen Glück

Daran wird deutlich, dass Erbenermittler ein gutes Verständnis von historischen Zusammenhängen haben sollten, um erfolgreich arbeiten zu können. Städte hatten früher einen anderen Namen und Ländergrenzen verliefen anders. Das Wissen, welche Menschengruppe wann wohin flüchtete oder auswanderte, kann helfen, die entscheidende Lücke im Stammbaum zu schließen. Dass auch viele Historiker als Erbenermittler tätig sind, ist also kein Zufall. Neben fundiertem Wissen auf dem Gebiet des Erbrechts, sind auch Fremdsprachenkenntnisse von Vorteil. Ewa Chmielewska hält dank ihrer Polnischkenntnisse guten Kontakt zu den Standesämtern in den ehemaligen ostdeutschen Gebieten. Die Verbindung nach Polen macht sich bezahlt: "In einem Fall rief ich bei einem kleinen Standesamt an, um mich nach einer Person zu erkundigen. Darauf verriet mir die Standesbeamtin ganz erstaunt, dass das die Frau sei, bei der sie immer die Eier kauft." Ewa ChmielewskaDas nötige Quäntchen Glück ist für Ewa Chmielewska neben der Beharrlichkeit beim Recherchieren Voraussetzung für den Erfolg. Zur Verdeutlichung berichtet sie von einem weiteren Fall mit glücklichem Ausgang: "Es gab bei einer Erbenermittlung eine Spur nach Melbourne in Australien. Gesucht waren Personen mit deutschem Nachnamen. Nachdem ich knapp zwei Dutzend Menschen mit diesem oder ähnlich klingenden Nachnamen erfolglos abtelefoniert hatte, habe ich mich an Auswanderervereine in Australien gewandt. Ein Verein veröffentlichte das Erbengesuch in der Mitgliederzeitschrift – daraufhin meldeten sich die entfernten Verwandten. Dies war reines Glück, denn da sie längst ihren Nachnamen geändert hatten, hätte ich sie sonst wohl nicht mehr gefunden."

Erbenermittler ist nicht gleich Erbenermittler

Ewa Chmielewska wird ausschließlich auf Auftrag tätig und bekommt auf jeden Fall den vorher vereinbarten Stundensatz als Entlohnung. Oft wenden sich Nachlasspfleger an sie, wenn zwar Erben vorhanden sind, sie aber einzelne Erbstämme nicht ermitteln oder die nötigen Urkunden für das Erbscheinverfahren nicht beschaffen können. Teilweise wird sie auch von Privatpersonen beauftragt. Die rein auftragsgebundene Tätigkeit unterscheidet Ewa Chmielewska von den Erbenermittlern großer Büros, die im Falle wertvoller Nachlässe auch auf eigene Faust tätig werden: Bevor das Nachlassgericht per Beschluss dem Fiskus die Erbschaft zuspricht, muss es öffentlich zur Anmeldung der Erbrechte auffordern. So sieht es das Gesetz in § 1965 Abs. 1 BGB vor. Praktisch geschieht dies beispielsweise durch eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger. Die Folge ist ein Wettlauf der Erbenermittler. Wer zuerst den Erben findet und ihm gegen einen Provisionsvertrag die nötigen Informationen für die Anmeldung der Erbschaft überlässt, kassiert – der Rest geht leer aus. Unter Umständen gehen sogar alle leer aus: Etwa wenn aufwändige Recherchen nach Erben letztlich im Sande verlaufen, oder wenn unverhofft plötzlich doch ein gültiges Testament auftaucht, das alle bislang gesammelten Unterlagen zur Makulatur macht. "Das wäre mir zu stressig und zu riskant", sagt Ewa Chmielewska. Sie wird in Kürze ihr Referendariat beginnen, da sie gerne im Bereich des internationalen Rechts arbeiten möchte. Sie will aber in Zukunft zumindest auch in kleinem Umfang als Erbenermittlerin arbeiten: "Man beschenkt Leute, die von ihrem Glück nichts wissen. Das ist ein tolles Gefühl, das ich nicht missen möchte."

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