Die juristische Presseschau vom 26. Januar 2024: Künast-Erfolg gegen Face­book / Fran­zö­si­sches Ein­wan­de­rungs­ge­setz ist ver­fas­sung­widrig / IGH vor Ent­schei­dung zu Genozid-Vor­wurf

26.01.2024

OLG Frankfurt verlangt von Facebook die Beseitigung sinngleicher rechtswidriger Inhalte. Der französische Verfassungsrat hat das restriktive Einwanderungsgesetz beanstandet. Heute entscheidet der IGH über Südafrikas Eilantrag gegen Israel.

Thema des Tages

OLG Frankfurt/M. zu Künast vs. Facebook: Wenn die Plattform Facebook Kenntnis von persönlichkeitsrechtsverletzenden Inhalten hat, ist sie verpflichtet, sinngleiche Inhalte selbstständig auszufiltern. Dies entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. auf Klage der Abgeordneten Renate Künast (Grüne), die von der NGO Hateaid unterstützt wurde. Ursprünglich hatte ein rechter Blogger ein Meme verbreitet, in dem Künast ein Falschzitat untergeschoben wurde ("Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!"). Nachdem Künast die Plattform auf das Falschzitat aufmerksam machte, war Facebook verpflichtet, Algorithmen einzusetzen, die ein Hochladen sinngleicher Posts verhindern, auch wenn sie im Lay-Out leicht abgewandelt wurden, so das OLG. Auch der anschließende Einsatz von menschlichem Personal für eine abschließende Prüfung sei Facebook zumutbar. Das OLG bestätigte damit die Entscheidung der Vorinstanz. Nur die vom Landgericht Frankfurt/M. zugesprochene Entschädigung in Höhe von 10.000 Eurolehnte das OLG ab. Das OLG ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH zu. Es berichten LTO (Max Kolter) und beck-aktuell

Rechtspolitik

Digitale Dienste: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat zum vollständigen Inkrafttreten des Digital Services Act Mitte Februar ein "Center for User Rights" gegründet, das von Svea Windwehr geleitet wird. Im Interview mit spiegel.de (Sophie Garbe) geht Windwehr davon aus, dass die Zahl und Komplexität der Fälle, in denen die Plattformen gegen den DSA verstoßen werden, so groß sein dürfte, dass die staatliche Aufsicht damit allein überfordert ist. "Es braucht also Hilfe aus der Zivilgesellschaft." Die GFF werde User bei der Einforderung ihrer Rechte und eventuellen Klagen unterstützen.

Einbürgerung: Heribert Prantl (SZ) würdigt in seiner Kolumne das vorige Woche beschlossene Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts als "historisch", weil es grundsätzlich die doppelte Staatsbürgerschaft zulässt. "Es verlangt von den migrantischen Menschen, die in zwei Kulturen zu Hause sind, nicht mehr, sich zu zerreißen."

Mietrecht / Vorratsdatenspeicherung: Die SPD kritisiert Justizminister Marco Buschmann (FDP), weil er die vereinbarte Mietrechtsreform "in Geiselhaft nehme", um die von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) geforderte Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen zu verhindern. Im Mietrecht geht es insbesondere um eine Verlängerung der 2025 auslaufenden Mietpreisbremse. Die SZ (Constanze von Bullion/Georg Ismar) berichtet. 

Sorge- und Umgangsrecht: Die pensionierte Richterin Isabell Götz bemängelt auf beck-aktuell, dass Justizminister Marco Buschmann (FDP) bisher nur Eckpunkte zur Reform des Sorge- und Umgangsrechts vorgelegt hat. Diese ließen noch viele Fragen offen. "Es bleibt zu hoffen, dass jetzt zeitnah die Referentenentwürfe folgen und dass dann genug Zeit bleibt, über diese fachlich fundiert zu diskutieren."

Justiz

EuGH zu Fluggastrechten: Die Entschädigung für einen mehr als drei Stunden verspäteten Flug bekommen Fluggäste nur, wenn sie auch mit dem entsprechenden Flugzeug geflogen sind. Dies entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bundesgerichtshofs. Die EU-Fluggastrechte-VO wolle Fluggästen helfen, die Ärgernisse oder große Unannehmlichkeiten erlitten. Keine Entschädigung gibt es daher, wenn der Fluggast wegen der drohenden Verspätung erst gar nich am Flughafen erscheint oder wenn er selbständig einen anderen Flug bucht, mit dem er keine dreistündige Verspätung erleidet. Es berichten tagesschau.de (Gigi Deppe) und LTO

EuGH zu Markenrecht: Drittanbieter von Ersatzteilen und Werkstattketten dürfen keine Ersatzteile mit den markenrechtlich geschützten Audi-Ringen anbieten. Dies entschied der Europäische Gerichtshof laut FAZ (Marcus Jung). Das Urteil erging im Streit zwischen Audi und einem polnischen Ersatzteil-Händler.

EuGH zu DSGVO-Verstoß: Schadensersatz für einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann ein Betroffener nur verlangen, wenn er einen Schaden nachweisen kann; ein rein hypothetisches Risiko der missbräuchlichen Verwendung von Kundendaten durch einen unbefugten Dritten könne nicht zu einer Entschädigung führen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Amtsgerichts Hagen. Ein Kunde hatte den Elektronikhändler Saturn verklagt, weil dieser Kundenunterlagen zunächst einem anderen Kunden ausgehändigt hatte. Die FAZ (Katja Gelinsky) berichtet. 

BVerfG zu Terminierung eines Eilverfahrens: Der Streamer Tim Heldt ("KuchenTV") scheiterte mit einem Eilantrag am Bundesverfassungsgericht. Er hatte moniert, dass das Landgericht Braunschweig über seinen Eilantrag gegen die Plattform Twitch, seinen gesperrten Account mit über 300.000 Followern sofort wieder herzustellen, nur nach einer mündlichen Verhandlung entscheiden wollte und diese erst auf den 30. Januar terminierte. Das BVerfG sah darin keinen schweren Schaden für den Streamer. Außerdem habe er selbst auf die Komplexität seines Streits mit Twitch hingewiesen und könne deshalb keine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung verlangen. LTO (Xenia Piperidou/Marcel Schneider) berichtet ausführlich. 

BVerfG – Wiederaufnahme nach EGMR-Urteil: An diesem Freitag will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung im Streit um die Wiederaufnahme eines Mord-Verfahrens am Landgericht Darmstadt verkünden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte einer 2014 wegen Mordes verurteilten Frau zugebilligt, dass das Gerichtsverfahren ihre Rechte verletzt hatte, weil daran ein Richter teilnahm, der schon am Prozess gegen einen Mitangeklagten beteiligt war. Die hessischen Gerichte lehnten dennoch eine Wiederaufnahme ab, weil die Frau nicht dargelegt habe, wie sich die Befangenheit des Richters auf ihre Verurteilung ausgewirkt habe. Die Frau erhob Verfassungsbeschwerde, weil sie diesen Zusammenhang nicht darlegen könne und müsse. LTO (Hasso Suliak) berichtet ausführlich vorab.

VerfGH Sachsen zu PolG Sachsen: Auf eine Normenkontrolle von 35 Landtagsabgeordneten der Linken und der Grünen hat der sächsische Verfassungsgerichtshof die vor vier Jahren vorgenommene Reform des sächsischen Polizeigesetzes beanstandet. Bei mehreren verschärften Normen seien die Voraussetzungen unklar. Der Landtag hat bis Ende Juni 2026 Zeit, das Gesetz nachzubessern, das bis dahin mit Maßgaben in Kraft bleibt. mdr.de berichtet. 

VerfGH MV zu parlamentarischer Auskunftspflicht: Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern hat nicht ausreichend auf eine Anfrage zur umstrittenen Klimastiftung geantwortet und damit das parlamentarische Fragerecht des Landtagsabgeordneten Hannes Damm (Grüne) verletzt. Dies entschied das Landesverfassungsgericht des Landes. spiegel.de berichtet. 

BAG zu AGG und Kirchen: Kirchliche Arbeitgeber sind nicht im gleichen Maße wie staatliche Arbeitgeber an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gebunden, auch wenn die Kirchen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht und bestätigte damit die Vorinstanzen. Geklagt hatte ein Schwerbehinderter, der nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden war und deshalb Entschädigung verlangte. Die entsprechende AGG-Norm gelte aber nur für staatliche Arbeitgeber. beck-aktuell berichtet.

BFH zu Versteuerung eines Grundstücksverkaufs: Die mietfreie Überlassung einer Wohnung an die Schwiegermutter gilt nicht als "Selbstnutzung", die die Besteuerung von Spekulationsgewinnen ausschließt. Dies entschied der Bundesfinanzhof laut FAZ und beck-aktuell

LG München I – Ex-Wirecard-Chef Braun: Am zweiten Tag der Vernehmung des Geschäftsmannes Yoshio Tomiie erhärtete sich der Eindruck, dass er nur ein Strohmann war und dass es das angebliche Drittpartner-Geschäft in Asien nie gab. Es berichtet die SZ (Johannes Bauer/Stephan Radomsky).

LG Frankfurt M. – Tod auf dem Fußballplatz: Vor dem Landgericht Frankfurt M. hat der Prozess gegen einen 17-jährigen französischen Jugendlichen begonnen, der bei einem internationalen Fußballturnier in Frankfurt an Pfingsten nach Ende des Spiels bei einem Tumult einen 15-jährigen Berliner Jugendlichen durch einen Schlag auf den Hinterkopf tötete. Die Anklage wirft ihm Körperverletzung mit Todesfolge vor. Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es berichten FAZ (Anna-Sophia Lang) und spiegel.de.

LG Stendal – Geiselnahme durch Attentäter: Vor dem Landgericht Stendal hat ein neuer Prozess gegen Stephan Balliet, den Attentäter von Halle, begonnen, nun wegen einer Geiselnahme in der Justizvollzugsanstalt Burg. Balliet gestand die Tat und prahlte mit seinen Fähigkeiten. Seine selbstgebaute Waffe sei nicht nur "schusswaffenähnlich" gewesen, so die Anklage, sondern eine echte "Schusswaffe" mit tödlicher Wirkung. Es berichten Welt (Frederik Schindler), taz (Pia Stendera) und spiegel.de (Wiebke Ramm)

LG München I / StA München - Dammbruch in Brasilien: Fünf Jahre nach einem tödlichen Staudammbruch in Brasilien gibt LTO einen Überblick über den Stand der Aufarbeitung in Deutschland. Ein Schadensersatzprozess von rund 1400 Klägern vor dem Landgericht München I gegen den TÜV Süd, der dem Staudamm Stabilität bescheinigt hatte, stockt, weil noch unklar ist, ob brasilianisches Recht anzuwenden ist. Die Staatsanwaltschaft München prüft noch, ob sie gegen TÜV-Verantwortliche Anklage erhebt.

Recht in der Welt

Frankreich – Einwanderung: Der französische Verfassungsrat hat das im Dezember beschlossene Einwanderungsgesetz weitgehend für verfassungwidrig erklärt. Das Gesetz konnte von Präsident Emmanuel Macron nur mit Hilfe der rechten Opposition verabschiedet werden, die dabei zahlreiche Verschärfungen durchsetzte, etwa dass Einwanderer erst nach fünf Jahren Anspruch auf Sozialleistungen haben. Macron bat daraufhin den Verfassungsrat um Prüfung des Gesetzs. Wie Innenminister Gérald Darmanin feststellte, hat der Verfassungsrat nun keine Normen beanstandet, die im ursprünglichen Regierungsentwurf enthalten waren. Teilweise betrafen die Beanstandungen auch nur Verfahrensfragen. Es berichten FAZ (Michaela Wiegel) und spiegel.de.

IGH/Israel – Krieg in Gaza: Am heutigen Freitag will der Internationale Gerichtshof seine Entscheidung über den Eilantrag Südafrikas verkünden, dass Israel die Kampfhandlungen in Gaza sofort stoppen müsse, weil sie einen Genozid darstellen. Aus diesem Anlass reflektiert Rechtsprofessor Itamar Mann auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) über die Wechselwirkung der israelischen Argumentation und der internationalen Diskussion. Wäre er Berater der israelischen Regierung, würde er dringend die Vorlage eines Plans für die Zeit nach dem Krieg empfehlen, um zu zeigen, dass Israel vom Weiterleben der Gaza-Bewohner:innen ausgeht.

Österreich – Josef Fritzl: Das Landgericht Krems hat den Antrag abgelehnt, Josef Fritzl vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Er müsse allerdings unter Auflagen vom Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter in den Normalvollzug verlegt werden. Fritzl war 2009 wegen Versklavung und über tausendfacher Vergewaltigung seiner Tochter zu lebenslanger Haft verurteilt worden. FAZ (Stephan Löwenstein) und spiegel.de berichten. 

Sonstiges

AfD-Verbot: Der Philosoph und SPD-Politiker Julian Nida-Rümelin kritisiert in der SZ, dass eine kleine verfassungsfeindliche Partei aus rechtlichen Gründen nicht verboten werden kann und eine große verfassungsfeindliche Partei aus politischen Gründen nicht mehr verboten wird. Er fordert deshalb ein schnelles Vorgehen gegen die AfD. Zwischen Verbotsantrag und Urteil dürften keine Jahre liegen.

Grundrechtsverwirkung von Björn Höcke: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter Kolja Eigler und Timo Sewtz bezweifeln auf dem Verfassungsblog den Nutzen eines Verfahrens gem Art. 18 GG. So sei der Entzug des Wahlrechts nicht von Art. 18 gedeckt und daher verfassungswidrig. Bei der Bestrafung von Meinungsäußerungen stellten sich auch nach einer Grundrechtsverwirkung vielfältige Probleme. Zudem bleibe der Schutz durch die EMRK bestehen. 

Beziehungstat und Femizid: spiegel.de (Lisa Pham) referiert die Kritik am kriminologischen Begriff "Beziehungstat": "Das Wort »Beziehungstat« verlagert nach Ansicht der Kritiker die Verantwortung vom Täter auf die Beziehung, die letztlich als Tatmotiv einhergeht." Aus feministischer Sicht werde das Wort "Femizid" bevorzugt. "Gewalt gegen Frauen sei nie eine Folge einer Liebesbeziehung, sondern ein Produkt patriarchalischer Kontroll- und Dominanzmuster und die Demonstration von Überlegenheit von Männern gegenüber Frauen."


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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. Januar 2024: Künast-Erfolg gegen Facebook / Französisches Einwanderungsgesetz ist verfassungwidrig / IGH vor Entscheidung zu Genozid-Vorwurf . In: Legal Tribune Online, 26.01.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53728/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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