Die juristische Presseschau vom 31. Oktober 2023: Busch­mann bittet Bun­destag um Rat / DAV kri­ti­siert FDP-Minister / Haft­be­fehl gegen Halemba außer Vollzug

31.10.2023

Marco Buschmann sucht Hilfe gegen Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung. Der Vorschlag zur Kürzung von Leistungen für Asylbewerber stößt auf Kritik. Der Haftbefehl gegen den AfD-Politiker Daniel Halemba wurde außer Vollzug gesetzt. 

Thema des Tages

Abgeordnetenbestechung: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich mit einem Brief an den Deutschen Bundestages gewandt und um Vorgaben für die weitere Verhandlungsstrategie Deutschlands bezüglich der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Korruptionsrichtlinie gebeten. Laut LTO (Hasso Suliak) sieht der Vorschlag der EU-Kommission eine Gleichbehandlung von Amts- und Mandatsträgern bei der Korruptionsstrafbarkeit vor. Bisher ist die Abgeordnetenbestechung in § 108e StGB nur rudimentär ausgestaltet, was die Ampel-Koalition eigentlich ändern will. Justizminister Buschmann sieht durch den Vorschlag der EU-Kommission jedoch Gefahren für das freie Mandat der Abgeordneten, obwohl ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages solche Gefahren nicht gesehen hatte. Buschmann bat die Abgeordneten nun um Kompromissvorschläge, da Deutschland mit seiner bisherigen Ablehnung des Kommissionsvorschlags allein stehe.

Rechtspolitik

Asyl/Sozialleistungen: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat den Vorschlag von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zur Absenkung der Sozialleistungen für Asylsuchende kritisiert. Das Existenzminimum für Asylsuchende müsse gesichert bleiben, wie das Bundesverfassungsgericht bereits 2012 entschied. Die Sorge vor angeblichen "Pull-Faktoren" biete keine Rechtfertigung für die Absenkung der Leistungen. Der DAV fordert vielmehr die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und die Integration der Asylsuchenden und Geduldeten in die regulären Sozialsysteme. LTO berichtet. 

Die FAZ (Katja Gelinsky) erläutert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz. Sie kommt zum Schluss, dass die von Lindner und Buschmann behaupteten Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers existieren. 

Asyl/Arbeitspflicht: Rechtsprofessor Gregor Thüsing begrüßt auf beck-aktuell die Pläne, Asylbewerber verstärkt zu gemeinnütziger Arbeit heranzuziehen. Die Rechtsgrundlage hierzu stehe schon seit Jahrzehnten in § 5 IV Asylbewerberleistungsgesetz. Der Autor beruft sich u.a. auf die Bibel und die Verfassung der Sowjetunion von 1936, wo es übereinstimmend heiße: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Für die soziale Akzeptanz der Asylsuchenden sei es wichtig, dass sie einen Beitrag zum Wohlstand der Aufnahmegesellschaft leisten, soweit es ihnen möglich ist. 

Antidiskriminierung SH: Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) hat den Entwurf eines Landes-Antidiskriminierungsgesetzes in den Landtag von Schleswig-Holstein eingebracht. Der Entwurf sieht im Gegensatz zum bundesrechtlichen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) explizit das Verbot antisemitischer Diskriminierung, den Schutz nationaler Minderheiten (z.B. der Dänen und Friesen) sowie das Verbot der Diskriminierung wegen des sozialen Status vor. Der Gesetzentwurf sieht u.a. vor, dass das Land Schadensersatz leisten muss, wenn in seinem "Verantwortungsbereich" eine Diskriminierung stattfand. Weder wird ein Verschulden gefordert noch dass die Diskriminierung durch einen Staatsbediensteten erfolgte. LTO berichtet.

Recht auf Reparatur: Im Hinblick auf den Vorschlag der EU-Kommission für ein Recht auf Reparatur wirbt Alexander Pradka (Hbl) für die neue Regulierung und ein Ende der "Wegwerfmentalität". 

Prostitution: In der Debatte um die Regulierung der Sexarbeit in Deutschland schreibt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Ronja Westermeyer auf dem Verfassungsblog über sogenannten Sperrgebietsverordnungen. Die derzeitige Umsetzung der Verordnungen verletze die Berufsfreiheit der Sexarbeiter:innen und stehe "im Widerspruch zum Regulierungskonzept" des Prostitutionsgesetzes und des Prostituiertenschutzgesetzes.

Justiz

AG Würzburg zu Daniel Halemba: Das Amtsgericht Würzburg hat einen Haftbefehl gegen den bayrischen Landtags-Abgeordneten Daniel Halemba (AfD) unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Dem Politiker wird Volksverhetzung und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen vorgeworfen. Nachdem er versucht haben soll, auf Mitbeschuldigte aus der Burschenschaft Teutonia Prag einzuwirken, damit sie zu seinen Gunsten aussagen, hatte ein Ermittlungsrichter des AG Würzburg Haftbefehl wegen Verdunkelungsgefahr erlassen. Kurz vor der konstituierenden Landtagssitzung konnte Halemba, der am Wochenende nicht aufzufinden war, festgenommen werden. Eine Genehmigung des Landtags war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erforderlich, weil die parlamentarische Immunität erst mit Zusammentreten des Landtags beginnt. Während der konstituierenden Sitzung fehlte Halemba, er saß in Polizeihaft. In der Sitzung hob der Landtag dann einstimmig (bei Enthaltung der AfD) die Immunität Halembas auf. Das Amtsgericht Würzburg hat inzwischen vefügt, dass Halemba aus der Haft entlassen wird und sich einmal in der Woche bei der Polizei melden muss. Es berichten spiegel.de, br.de (Pirmin Breninek u.a.), SZ (Max Weinhold/Johann Osel) und LTO.

Die SZ (Wolfgang Janisch) erläutert in der Rubrik "Aktuelles Lexikon" die Voraussetzungen eines Haftbefehls am Fall Halembas. Die Anordnung der Untersuchungshaft sei beim dringenden Verdacht der Volksverhetzung "nicht von vornherein unverhältnismäßig" - wenn zudem ein Haftgrund gegeben ist.  

BVerfG - Wiederaufnahme: Am heutigen Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über die neue Wiederaufnahmevorschrift § 362 Nr. 5 Strafprozessordnung verkünden. Sie erlaubt in bestimmten Fällen die Wiederaufnahme des Verfahrens nach einem rechtskräftigen Freispruch. Dies könnte gegen das Verbot der Doppelverfolgung verstoßen. zdf.de (Christoph Schneider) berichtet vorab.

BVerwG zu Kita-Zuzahlungen: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Berliner Obergrenze für Kita-Zuzahlungen für unwirksam erklärt. Zwar verfolge Berlin mit der Obergrenze den legitimen Zweck der Chancengleichheit und Beitragsfreiheit. Die Autonomie von Kindertagesstätten, bei besonderen pädagogischen Angeboten über den von den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe für erforderlich gehaltenen Umfang hinauszugehen, beinhalte jedoch auch die Möglichkeit, entstehende Mehrkosten über Zuzahlungen der Eltern abzudecken, so das Gericht. LTO berichtet. 

GBA – Umsturzpläne/Reuß: Im Zusammenhang mit den Hochverrats-Ermittlungen gegen die Gruppe um Prinz Reuß schildert die SZ (Georg Mascolo) ausführlich die Karriere und Rolle der mitverdächtigen ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann, die nach dem Umsturz Justizministerin werden sollte. Die Verwicklung einer AfD-Politikerin in ein hochverräterisches Unternehmen werfe die Frage nach einem Parteiverbot oder zumindest von Verboten radikaler AfD-Landesverbände auf. Der Autor verweist auch auf den von der früheren Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff vorgebrachte Vorschlag, bei radikalen AfD-Mitgliedern mit dem Institut der Grundrechtsverwirkung zu arbeiten. 

LG Hildesheim – lebensgefährlicher Telefonterror: Die SZ (Hans Holzhaider) veröffentlicht in der Rubrik "Akteneinsicht" erneut eine Reportage aus dem Jahr 1992 über einen Mordprozess vor dem Landgericht Hildesheim gegen einen Mann, der Frauen am Telefon dazu genötigt hatte, ihre Wohnung, andere Personen und sich selbst anzuzünden. In einer ergänzenden Einordnung erläutert der Autor, dass der Mann am Ende wegen Mordes verurteilt wurde, es die erste Verurteilung für einen "Mord per Telefon" gewesen. Der Täter wurde psychiatrisch untergebracht und arbeitete nach der Entlassung in einer Werkstätte für seelisch Behinderte. Er sei nie wieder straffällig geworden.

StA Berlin – Julian Reichelt: Das Ermittlungsverfahren wegen Betruges gegen den ehemaligen Bild-Chef Julian Reichelt wurde eingestellt. Bild hatte Reichelt im Zusammenhang mit einer an ihn gezahlten Abfindung in Höhe von zwei Millionen Euro wegen Betruges angezeigt. Der ehemalige Chefredakteur habe darüber getäuscht, Unterlagen (wie verabredet) vernichtet zu haben, um die Abfindung zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte nun jedoch fest, dass Reichelt nicht alle Unterlagen vernichten musste, weil der Springer-Verlag ihn aufgefordert habe, Beweismittel für einen anderen Prozess aufzubewahren. Springer sei also nicht getäuscht worden. Die SZ und LTO berichten. 

Recht in der Welt

Frankreich – Recht auf Abtreibung: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, dass dem höchsten französischen Verwaltungsgericht, dem Conseil d’État, diese Woche ein Gesetzentwurf zur Prüfung vorgelegt wird, der dem "Recht auf Abtreibung" Verfassungsrang geben soll. Es ist geplant Artikel 34 der Verfassung um die Freiheit der Frau, "einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen", zu erweitern. Die FAZ (Michaela Wiegel) berichtet. 

USA – Bayer: Der Pharma- und Chemiekonzern Bayer wurde nach Bericht der FAZ in zwei US-Bundesstaaten zu Schadensersatz im Zusammenhang mit der angeblich krebserregenden Wirkung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat verurteilt. In St. Louis hat ein Kläger vergangene Woche 1,25 Millionen Dollar zugesprochen bekommen. Einem weiteren Kläger wurden 25 Millionen Dollar an Schadensersatz zugesprochen und zusätzlich 150 Millionen Dollar an Strafschadensersatz ("punitive damages") verhängt. 

China – Evergrande: Das Oberste Gericht in Hongkong hat das Verfahren zur Liquidation des Immobilienentwicklers Evergrande auf den 4. Dezember 2023 vertagt und dem mit umgerechnet rund 300  Mrd. US-Dollar verschuldeten Konzern damit eine letzte Chance zur Vorlage eines Restrukturierungsplans gewährt, wie die FAZ meldet. 

Sonstiges

Meta/Werbefreiheit: Der Facebook-Konzern Meta führt in Europa ein Bezahl-Abo für werbefreie Nutzung von Facebook und Instagram ein. Wie die SZ und LTO melden, reagiert der Konzern mit diesem Schritt auf die strengeren Datenschutzregeln in Europa, die eine Zustimmung der Nutzer:innen zur Verwendung ihrer Daten für personalisierte Werbung erfordern. 

Grundsteuer: LTO erläutert eine Auswertung der Deutschen Industrie- und Handelskammer, wonach in vielen Gemeinden die Grundsteuer für Hauseigentümer ansteigt. 

Halloween: Im Gespräch mit bild.de klärt der Richter Thorsten Schleif über typischerweise im Zusammenhang mit Halloween begangene Straftaten auf: Nötigung, Raub und Brandstiftung.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lkh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. Oktober 2023: Buschmann bittet Bundestag um Rat / DAV kritisiert FDP-Minister / Haftbefehl gegen Halemba außer Vollzug . In: Legal Tribune Online, 31.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53028/ (abgerufen am: 20.05.2024 )

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