Die juristische Presseschau vom 11. August 2015: Netz­po­li­tik-Er­mitt­lun­gen ein­ge­stellt – Ge­heim­nis und Verrat – 50 Jahre Ver­bands­kla­gen

11.08.2015

Die Bundesanwaltschaft stellt ihre Ermittlungen in Sachen "Netzpolitik.org" ein. Ist die Landesverrats-Affäre damit beendet? Außerdem in der Presseschau: wie schützt man Geheimnisse, Jubiläum für Verbandsklagen und fragwürdiger Finderlohn.

Thema des Tages

BAW zu "Netzpolitk.org": Die Bundesanwaltschaft hat die gegen die Betreiber von "Netzpolitik.org" gerichteten Ermittlungen wegen Landesverrat eingestellt. Die gegen die unbekannte Quelle der im Februar und April veröffentlichten Artikel gerichteten Ermittlungen werden nicht mehr wegen Landesverrat, sehr wohl aber wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen geführt, so die taz (Christian Rath) in einer ausführlichen Darstellung der zuvor geführten Auseinandersetzungen über verschiedene Gutachten. Die jetzige Mitteilung mache deutlich, dass die Einstellung auf eigener Einschätzung der BAW beruhe. Die weiterhin zu prüfende Frage der Verletzung von Dienstgeheimnissen obliege der örtlichen Staatsanwaltschaft in Berlin. Ausführliche Berichte bringen auch Welt (Thorsten Jungholt) und spiegel.de (Jörg Diehl).

In einer Erklärung auf netzpolitik.org (Markus Beckedahl) begrüßen die vormals Beschuldigten die Einstellung als "schön, längst überfällig", erinnern aber gleichzeitig daran, dass die begehrte Akteneinsicht unter Hinweis auf eingestufte Dokumente immer noch nicht gewährt worden ist. Angesichts der weiter geführten Ermittlungen gegen die Quellen der Blogger sei es an der Zeit, "über einen besseren Whistleblower-Schutz zu reden". Hier sei Deutschland "noch Entwicklungsland".

In einem Kommentar bedauert Christian Bommarius (Berliner Zeitung), dass es kein Delikt des Verfassungsverrats gebe. Anderenfalls dürften sich der vormalige Generalbundesanwalt und der ihm "in bewusstem und gewollten Zusammenwirken" verbundene Präsident "des sogenannten Verfassungsschutzes" derartiger Ermittlungen ausgesetzt sehen. Durch die nun eingestellten Ermittlungen sei ein Anschlag auf die Pressefreiheit verübt worden. Die Kritisierten hätten offenbar nicht verstanden, dass "dass Herz der Verfassung" weder aus Ministerien oder Geheimdiensten, sondern aus Grundrechten bestehe.

Landesverrat/Geheimnisschutz: Rechtsanwalt Martin W. Huff kritisiert auf lto.de die Forderung, Journalisten aus dem Anwendungsbereich der Verratsdelikte nach §§ 93 ff. Strafgesetzbuch (StGB) auszuschließen. Das geltende Recht stelle strenge Voraussetzungen an eine Strafbarkeit. Diese seien auch durch das Gesetz zur Umsetzung des Cicero-Urteils des Bundesverfassungsgerichts nicht außer Kraft gesetzt: Eine aktive Handlung wie eine Anstiftung zum Geheimnisverrat sei strafbar. Die Privilegierung nach § 353b Abs. 3a StGB beziehe sich dagegen ausdrücklich nur auf Beihilfehandlungen. Daneben sei zu fragen, ob eine Ungleichbehandlung von – wie auch immer definierten – Journalisten und normalen Bürgern gerechtfertigt sei. Die jetzige Diskussion zeichne sich vor allem durch bemerkenswert geringes Vertrauen in Gerichte aus. Nicht zuletzt das Cicero-Urteil hätte belegt, dass die Gerichtsbarkeit sehr wohl in der Lage ist, Staatsgeheimnisse und öffentlichen Nachteil angemessen zu bewerten.

Im Kommentar von Till Hoppe (Handelsblatt) wird dagegen angeregt, als Konsequenz der jetzigen Entwicklungen die unteren Geheimhaltungsklassen "VS – nur für den Dienstgebrauch" und "VS – vertraulich" ersatzlos zu streichen. Angesichts zahlreicher Vervielfältigungsmethoden hätten beide Kategorien ihren Zweck verloren. Behörden könnten sich dagegen "in ungewohnter Zurückhaltung" bei der Einstufung wirklich geheimwürdiger Daten üben. So könnte denn auch die Verantwortung der Journalisten durch eine strengere Eigenprüfung der Vertraulichkeit erlangter Informationen geschärft werden.

Langemann-Affäre: Die taz (Christian Rath) erinnert an ein historisches Vorbild zu den nun eingestellten Landesverrats-Ermittlungen gegen "Netzpolitik.org". 1982 gerieten Journalisten des linken Magazins "konkret" wegen Veröffentlichungen der Lebenserinnerungen des früheren BND-Mitarbeiters Hans Langemann in das Visier der Ermittler. Der wurde schließlich wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Ermittlungen gegen die Journalisten wurden nach Durchsuchungen eingestellt.

Rechtspolitik

Recht der Syndikusanwälte: Die Bundesregierung hat in Reaktion auf Urteile des Bundessozialgerichts einen Gesetzentwurf zum Recht der Syndikusanwälte eingebracht. Einzelheiten zur Reform, mit der eine "große", berufsrechtliche Problemlösung erreicht werden soll, bringt beck.blog.de (Christian Rolfs).

Freies Mandat: Über das Wochenende deutete Fraktionschef Volker Kauder (CDU) an, dass Mitglieder der Unionsfraktion, die gegen Hilfspakete für Griechenland gestimmt hätten, nicht in Bundestags-Ausschüssen verbleiben könnten. In der Einschätzung von bild.de bewegt Kauder sich damit "deutlich auf Kollisionskurs zum Grundgesetz" und dem dort festgehaltenen Prinzip des freien Mandats. Vom historischen Vorbild eines "Zuchtmeisters" wie Herbert Wehner (SPD) sei Kauder noch weit entfernt, so die FAZ (Eckart Lohse). Insbesondere könne er die Besetzung der Ausschüsse nicht eigenmächtig bestimmen, diese obliege der sogenannten Teppichhändlerrunde.

Flüchtlinge: Die Welt (Manuel Bewarder) befragt Rechtsprofessor Daniel Thym zu Forderungen nach Einschränkungen von Leistungen an Asylbewerbern und dem möglichen Nutzen verstärkter Grenzkontrollen.

In einem Gastbeitrag für zeit.de wendet sich der Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby (SPD) gegen die Verwendung des Begriffs des sogenannten Asylmissbrauchs. Auch die rechtskonform erfolgende Ablehnung eines Asylantrags setze den Gebrauch eines Rechts voraus. Von Missbrauch zu reden, sei nicht nur "absurd", sondern nähre Vorurteile und Stereotype und bediene "rassistisch begründete Denk- und Handlungsmuster".

Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz: Zur Umsetzung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs aus dem November 2013 soll das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz geändert werden. Die "inhaltlich sehr weit auseinander" gehenden Stellungnahmen der Bundesrechtsanwaltskammer, des Deutschen Anwaltvereins und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft zum seit Juni vorliegenden Referentenentwurf fasst jurop.de (Johannes Schulte) zusammen.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. August 2015: Netzpolitik-Ermittlungen eingestellt – Geheimnis und Verrat – 50 Jahre Verbandsklagen . In: Legal Tribune Online, 11.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16564/ (abgerufen am: 04.05.2024 )

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