Bild-Zeitung scheitert vorm BVerfG: Gericht darf in Miss­brauch­s­pro­zess Geheim­hal­tung ver­langen

27.11.2023

Das OLG Köln verbot Journalisten, über die Zeugenaussage eines mutmaßlich Betroffenen von Missbrauch in der Kirche zu berichten. Die Bild-Zeitung zog deshalb vors BVerfG, das die Verfassungsbeschwerde aber nicht zur Entscheidung annahm.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde der Bild-Zeitung wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. v. 10.11.2023, 1 BvR 2036/23). Die Beschwerde war gegen einen Beschluss gerichtet, mit dem das Oberlandesgericht (OLG) Köln Journalisten verboten hatte, über die Zeugenaussage eines mutmaßlichen Missbrauchsopfers zu berichten.

In dem zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren hatte ein Geistlicher des Erzbistums Köln gegen die Bild-Zeitung auf Unterlassung geklagt. Streitgegenstand war eine Berichterstattung über die dienstliche Beförderung des Geistlichen. Laut Bild-Zeitung hatten die kirchlichen Entscheidungsträger den Mann befördert, obwohl gegen ihn auf Grundlage eines internen Berichts Vorwürfe sexuellen Missbrauchs im Raum gestanden hatten.

Stillschweigen wegen sensiblen Beweisthemas

Im Berufungsverfahren vernahm das OLG Köln dann einen mutmaßlichen Betroffenen als Zeugen und legte den im Gerichtssaal Anwesenden, unter ihnen auch Journalisten, die Verpflichtung auf, gemäß § 174 Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) über die Inhalte der Vernehmung Stillschweigen zu bewahren. Laut OLG war das Schutzinteresse des Zeugen an seiner Anonymität höher zu gewichten als das Berichterstattungsinteresse der Presse. Das Beweisthema umfasste die Frage, ob es während der Zeit der Tätigkeit des Geistlichen "Saunabesuche, Alkohol, Masturbation und das Vorspielen von Pornofilmen im Zusammenhang mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen" gegeben habe. 

Die Bild-Zeitung sah sich durch die Geheimhaltungsverpflichtung in ihrer Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) verletzt. Überdies sei die Verpflichtung zu unbestimmt und verstoße gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nun aber nicht zur Entscheidung an. Die Beschwerdebegründung lasse eine Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Das OLG habe bei der Auslegung und Anwendung von § 174 Abs. 3 GVG keine verfassungsrechtlich relevanten Fehler begangen.

Vernehmung betrifft Intimsphäre des Betroffenen

Wie die Verfassungsrichter betonten, sei die Aufarbeitung sexueller Übergriffe von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche von herausragendem öffentlichen Informationsinteresse. Gleichzeitig würden Gerichtsverhandlungen zwar in der, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden. Einer unbegrenzten Öffentlichkeit von Verhandlungen stehen laut BVerfG gewichtige Interessen des Betroffenen gegenüber. 

Das Beweisthema und die Schilderungen von sexuellen Handlungen, die dem Zeugen widerfahren sein sollen, berührten sein Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung und Wahrung seiner Intimsphäre. Die Gerichte seien in besonderer Weise berufen, diesem Recht in seinem Stellenwert Rechnung zu tragen. Indem § 174 Abs. 3 GVG die Einschüchterung von Zeugen vermeide und so effektive Aussagesituationen ermögliche, diene die Norm darüber hinaus der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, so das BVerfG.

Eine die Pressefreiheit verkennende Fehlgewichtung der schutzwürdigen Interessen des Zeugen bei einer Aussage in öffentlicher Sitzung konnte die Bild-Zeitung laut BVerfG nicht darlegen.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

lst/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Bild-Zeitung scheitert vorm BVerfG: Gericht darf in Missbrauchsprozess Geheimhaltung verlangen . In: Legal Tribune Online, 27.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53261/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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