Opferrechte in Großverfahren: Nebenklage stößt im NSU-Prozess an ihre Grenzen

von Dr. Stefanie Bock

17.02.2015

2/2: Interessenkonflikt zwischen Opfern und Angeklagten

Diskussionen über ihre Nebenklageberechtigung können für die Betroffenen sehr belastend sein. Sie müssen um die Anerkennung ihrer Leiden, gegebenenfalls sogar ihrer Glaubwürdigkeit kämpfen. Das Gerichtsverfahren kann für sie dann zu einer weiteren traumatischen Erfahrung werden.

Auf der anderen Seite hat der Angeklagte ein legitimes Interesse daran, dass die Zahl der Prozessbeteiligten nicht ausufert. Jeder weitere zugelassene Nebenkläger bedeutet für ihn einen weiteren Prozessgegner. Die Beteiligung von 50 Opferanwälten verschiebt das Prozessgleichgewicht zulasten des Angeklagten. Hierdurch wird die Fairness des Verfahrens, ein fundamentales rechtsstaatliches Prinzip, gefährdet.

Darüber hinaus räumt die StPO dem Nebenkläger aus guten Gründen eine starke prozessuale Stellung ein. Können diese umfangreichen Rechte aber von sehr vielen Personen wahrgenommen werden, so drohen erhebliche Verzögerungen. Das beeinträchtigt nicht nur das Recht des Angeklagten auf ein zügiges Verfahren, sondern auch das Interesse der Geschädigten, den Sachverhalt zeitnah und effektiv aufzuklären.

Der gemeinsame Rechtsbeistand im Völkerstrafprozessrecht

Großverfahren mit zahlreichen Geschädigten bringen die Institution der Nebenklage an ihre Grenze. Der Gesetzgeber ist berufen, sie diesen neuen Herausforderungen zu stellen und dabei einen angemessen Ausgleich zwischen den Rechten des Angeklagten und den Interessen der Geschädigten zu finden.
In völkerstrafrechtlichen Prozessen ist dieser Konflikt wohlbekannt. In einigen Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof beteiligen sich mehr als 5.000 Opfer. Um auch solche Verfahren fair und effektiv durchführen zu können, werden die Opfer in Gruppen zusammengefasst, die dann von einem gemeinsamen Rechtsbeistand vertreten werden.

Auch im deutschen Recht könnte dies für Großverfahren wie den NSU-Prozess oder bei der Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen eine Lösung sein. Die Opferanwälte würden nicht mehr die Interessen eines Mandanten, sondern die einer bestimmte Gruppe von Geschädigten vertreten. Auf diese Weise könnte man die Zahl der Prozessbeteiligten prozessökonomisch sinnvoll begrenzen, ohne die Einbeziehung der Opfer ins Verfahren in Frage zu stellen.

Im Gegenzug könnte die Nebenklageberechtigung weiter gefasst, die Zulassung mittelbar oder psychisch Geschädigter weniger streng gehandhabt werden. Belastende und zeitraubende Diskussionen um die Verletzteneigenschaft wie bei Sermin S. ließen sich so vermeiden.

Dr. Stefanie Bock ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin am Institut für Kriminalwissenschaften in der Abteilung für ausländisches und internationales Strafrecht an der Universität Göttingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind internationales und europäisches Strafrecht sowie die Stellung des Verletzten im Strafverfahren.

Zitiervorschlag

Dr. Stefanie Bock , Opferrechte in Großverfahren: Nebenklage stößt im NSU-Prozess an ihre Grenzen . In: Legal Tribune Online, 17.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14709/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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