Initiative gegen Masseneinwanderung: Bruch mit der EU wäre für die Schweiz ein Desaster

von Prof. Astrid Epiney

17.02.2014

2/2: Erste Konsequenzen sind für die Schweiz bereits spürbar

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass das Interesse der EU am Abschluss neuer oder der Erneuerung bestehender Abkommen mit der Schweiz wenig ausgeprägt sein wird. So sieht die EU derzeit davon ab, das Forschungsabkommen, das regelmäßig und zufälligerweise 2014 erneuert werden muss und die Teilnahme der Schweiz an den EU-Forschungsprogrammen gewährleistet, zu unterzeichnen. Dies will sie erst dann tun, wenn die Schweiz ihrerseits das bereits paraphierte Protokoll über den Einbezug Kroatiens in die Personenfreizügigkeit unterzeichnet und ratifiziert. Eine solche Ratifizierung müsste der Schweiz übrigens möglich sein, denn der neue Verfassungsartikel ist insoweit nicht unmittelbar anwendbar. Ob dies jedoch politisch realistisch ist, steht auf einem anderen Blatt. Sollte man sich hier nicht einigen, würde das sehr gewichtige Nachteile für den Forschungsstandort Schweiz bedeuten.

Vor diesem Hintergrund wäre es ausgesprochen wünschenswert, eine Umsetzungsmöglichkeit für die Initiative zu finden, welche dem Personenfreizügigkeitsabkommen Rechnung trägt. Dafür, dass das möglich ist, sprechen gute Gründe.

Initiative sieht keine Aufkündigung bestehender Abkommen vor

Zunächst ist der Initiative kein Auftrag zur Kündigung des Abkommens zu entnehmen, da sich der Verfassungstext über die Konsequenzen eines Scheiterns von Neuverhandlungen ausschweigt. Sodann eröffnet der Text des Art. 121a BV mehr Handlungsmöglichkeiten als man zunächst vermuten mag.

Denn die Kontingente sind im "gesamtwirtschaftlichen Interesse" der Schweiz festzulegen. Diesem widerspricht es jedoch, tatsächlich für alle Konstellationen und Kategorien von Ausländerinnen und Ausländern für das gesamte Jahr in einem Beschluss (zu Beginn des Jahres?) fixe Kontingente vorzusehen, denn ein derartiges System könnte in keiner Weise auf die sich möglicherweise ändernden Bedürfnisse der Wirtschaft reagieren – ganz davon abgesehen, dass eine Reihe von Aufenthaltsbewilligungen schon aufgrund menschenrechtlicher Verpflichtungen zu gewähren ist.

Daher erscheint es denkbar, ein System einzuführen, das zwar Höchstzahlen definiert, für diese jedoch im Laufe des Jahres Modifikationen zulässt, mit der Folge, dass aufenthaltsberechtigte Unionsbürger in jedem Fall ein Aufenthaltsrecht erhielten.

Auslegung gegen den Willen, aber im Interesse der Mehrheit?

Das würde dem Willen der Initiantinnen und Initianten und wohl auch dem Verständnis der Initiative durch die Bundesbehörden zwar widersprechen. Dieser ist für die Auslegung einer Verfassungsbestimmung jedoch nicht maßgeblich; hierfür kommt es vielmehr auf die anerkannten juristischen Methoden an. Eine vertiefte Analyse nach der Annahme einer Initiative kann hier durchaus zu anderen Schlüssen führen als die Mehrheitsmeinung während der Abstimmungskampagne.

Dafür spricht auch das Prinzip der praktischen Konkordanz, wonach Verfassungsbestimmungen, die zu einander in einem Spannungsverhältnis stehen (hier etwa die in Art. 5 Abs. 4 BV verankerten Pflicht, das Völkerrecht zu beachten), so umgesetzt werden müssen, dass zwar beide möglichst weitgehend, aber nicht zwingend vollständig zum Zuge kommen.

Man kann nur hoffen, dass Regierung und Parlament einen Weg finden werden, die Initiative im Einklang mit dem Freizügigkeitsabkommen umzusetzen und dies auch möglichst bald kommunizieren. Andernfalls werden die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz stark leiden, was vor allem für die Schweiz schmerzlich wäre. Ein Rückschritt in die Zeit vor den Bilateralen Abkommen I wäre mit schwerwiegenden wirtschaftlichen und politischen Nachteilen verbunden, die so wohl kaum von der Mehrheit der Bevölkerung gewünscht wurden.

Die Autorin Astrid Epiney ist Professorin für Europa- und Völkerrecht an der Universität Fribourg und geschäftsführende Direktorin des dortigen Instituts für Europarecht.

Zitiervorschlag

Prof. Astrid Epiney, Initiative gegen Masseneinwanderung: Bruch mit der EU wäre für die Schweiz ein Desaster . In: Legal Tribune Online, 17.02.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11027/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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