Bedrohte Justiz in Kolumbien: Wenn Ermitt­lungen Leben und Familie kosten

von Anne Schneiderhan

18.11.2016

Abseits der Friedensverhandlungen in Havanna riskieren kolumbianische Richter und Staatsanwälte mit ihrer Arbeit ihr Leben und das ihrer Angehörigen. Anne Schneiderhan hat die Hilfsorganisation, die sich dieser Juristen annimmt, besucht.

Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos wird für seine Bemühungen um Frieden in seinem Heimatland den diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten. Der mit der Guerilla-Gruppe FARC ausgehandelte Friedensvertrag wurde zwar Anfang Oktober von der Bevölkerung mit einer knappen Mehrheit abgelehnt, die Verhandlungen werden jedoch fortgesetzt. Hoffnung auf ein Ende des über 50 Jahre andauernden Bürgerkriegs besteht noch. Der Friedensschluss zwischen Regierung und FARC ist ein richtiger und wichtiger Schritt.

Er ist jedoch bei Weitem kein Allheilmittel für die Probleme des Landes. Richter und Staatsanwälte sehen sich in ihrer täglichen Arbeit immer häufiger mit Korruption, Einschüchterung und Bedrohung konfrontiert. Insbesondere auf dem Land ist die Justiz den Machenschaften krimineller Banden oft schutzlos ausgeliefert.

Im Jahr 2015 gab es insgesamt 65 registrierte Akte der Gewalt unmittelbar gegen Richter oder Staatsanwälte. Die Nichtregierungsorganisation FASOL (Fonde de Solidaridad con los Jueces colombianos) ist die einzige Organisation, die sich gezielt den Opfern dieser Gewalt gegen die Justiz annimmt. Bei meinem Besuch im Büro der Organisation im Herzen Bogotás, Kolumbiens Hauptstadt, werde ich von Geschäftsführer Carlos Ojeda, herzlich empfangen. Er und Julian Salazar, der juristische Berater, erläutern mir die Geschichte der NGO sowie die Probleme, mit denen sie aktuell zu kämpfen hat. Besonders eindrücklich ist die tragische Geschichte einer Staatsanwältin aus der ländlichen Provinz Valle de Cauca.

Kriminelle Banden verüben immer wieder Mordanschläge

Die Staatsanwältin, deren Name aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muss, hatte Ermittlungen gegen 30 Mitglieder einer bewaffneten Bande eingeleitet, welche bekanntermaßen zu dem in ganz Kolumbien präsenten und gefürchteten Clan Úsuga gehört. Acht Personen wurden im Zuge ihrer Anstrengungen verhaftet. Zunächst wurde sie als Vorzeigeermittlerin von ihren Vorgesetzten gefeiert. Doch als sie Morddrohungen gegen sich und ihre Familie erhielt und bei der zuständigen Behörde Personenschutz beantragte, distanzierte man sich schnell von ihr.

Noch bevor der Schutzantrag bearbeitet war, hatten die Kriminellen zwei ihrer Brüder erschossen. Ihre Mutter entging etwas später nur knapp einem weiteren Mordanschlag. Die Staatsanwältin und 15 ihrer Familienmitglieder mussten ihr Dorf verlassen, da sie um ihr Leben fürchteten. Seit drei Jahren leben sie im Untergrund, aus der Heimat vertrieben, und werden noch immer bedroht. Erst vor wenigen Monaten kehrten zwei Mitglieder der Familie in die Nähe des Heimatdorfes zurück. Nur durch einen glücklichen Zufall konnte ein Mordanschlag auf sie verhindert werden.

Dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, trifft die leidenschaftliche Staatsanwältin hart. Sie leidet unter schweren Depressionen. Unterstützung von staatlicher Seite bekommt sie keine. FASOL ist der einzige Ort, an dem sie Hilfe bekommt. Nun hoffen sie und ihre Familie auf politisches Asyl im Ausland, was derzeit der einzige Ausweg ist.

Zitiervorschlag

Anne Schneiderhan, Bedrohte Justiz in Kolumbien: Wenn Ermittlungen Leben und Familie kosten . In: Legal Tribune Online, 18.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21195/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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