Hitzewelle: Schwitzen für Juristen

von Martin Rath

04.08.2013

2/2: Parfümierter Schweiß

Schwerer zu folgen als der hamburgischen Schweiß-Sachkunde ist hingegen dem LG Potsdam in seiner äußerungsrechtlichen Würdigung des Schwitzens im Urteil vom 8. Mai 2006 (Az. 2 O 221/05). In der Mevlana-Moschee zu Berlin-Kreuzberg hatte sich ein Iman ungebührlich über die die deutsche Transpirationskultur geäußert. Unstrittig war offenbar, dass sich der Geistliche nicht entblödet hatte, gegen die mangelnde Bereitschaft der deutschen Bevölkerung zur Axillar-Rasur zu polemisieren. Auch scheint dem Gottesmann die Parfüm-Industrie ein Dorn in der Nase gewesen zu sein – bekanntlich stützt die sich ja unfeiner Weise meist auf alkoholische Trägersubstanz.

Strittig war, ob ein ZDF-Magazin dem Geistlichen zurecht die Qualität eines "Hasspredigers" deshalb zugeschrieben hatte, weil es seine in türkischer Sprache vorgetragenen Aussagen zum Schweiß dahingehend interpretierte, er habe "die Deutschen als stinkende Ungläubige bezeichnet, die in der Hölle landen".

Das LG mochte der ZDF-Interpretation nicht folgen und wischte die nicht eben liebevollen Aussagen des Imans zur deutschen Schweiß-Kultur hinfort. Der habe womöglich nur die deutschen Atheisten als der Höllenfahrt würdig bezeichnet und mit seinen Ausführungen zu deutschem Schweiß und deutscher Achselbehaarung vielleicht gar keinen Hass auf stinkende Deutsche allgemein ausdrücken wollen, anrüchig sei ja nicht der schwitzende, sondern der ungewaschene Ungläubige.

In Fällen wie diesem darf man wünschen, dass die Potsdamer Richter sich einmal zu den dunklen Flecken der deutschen Nation, zu Schweißflecken und Stallgeruch also, bekennten und sich boshafte Kritik – auch an gut oder schlecht duftenden deutschen Atheisten – verwahrten. Die Richter in der Landeshauptstadt von Brandenburg hätten sich dazu auf die wahrhaft gemeinschaftsstiftende Funktion berufen können, dass zusammengehörige Menschen sich "gut riechen" können. Diese staatsrechtlich bisher unreflektierte Zusammengehörigkeit wird schon 1889 im Wörterbuch der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm belegt: In krampfhafter Kleinschreibung heißt es dort, dass "brandenburgisch bezeichnen schweinehirt und viehmagd ihre pflegebefohlenen als nation, und ein nationsvolk bedeutet eine sehr üble gesellschaft".

Anwalts-Schweiß

Weil es die Potsdamer Juristen 2006 leider verschwitzten, die deutsche Transpirations- und Parfümkultur wehrhaft gegen den muslimischen Prediger ins Feld zu führen und es unterließen den gemeinsamen nationalen Stallgeruch zur Sache der deutschen Leitkultur zu erklären, tobt inzwischen ein heftiger inner-deutscher Streit. So muss man heute etwa feministische Kritik zur Kenntnis nehmen, die Unfrieden stiftet, indem sie die neuere Enthaarungsmode zur "repressiven Praxis" erklärt.

Die fehlende juristische Sensibilität für Schweiß und Gerüche ist verwunderlich, erklärt sich aber bei näherer Betrachtung.

Zwar wird offenbar von ehrgeizigen Juristen ein inniges Verhältnis zum Schweiß verlangt. So betonte etwa der Münchener Rechtsanwalt Fritz Ostler (1907-1999) in seiner Eigenschaft als Mitherausgeber der NJW, dass neben der Lektüre seiner Fachzeitschrift für angehende Juristen das Motto zum Erfolg führe: "Schweiß für das Studium, Schweiß für den Referendar, Schweiß für den Anwalt!" (NJW 1992, S. 2.748).

Edler Schweiß

Die Qualität des von Juristen selbst abzusondernden Transpirats scheint indes nicht ausdiskutiert zu sein. Das OLG Frankfurt/Main befand es mit Urteil vom 11. April 1985 (Az. 6 U 189/83) für anrüchig, dass ein ehemaliger Rechtsanwalt eine verbotene "genossenschaftliche Einrichtung" zur Rechtsberatung unter anderem mit dem Argument begründet hatte, Anwälte würden sich "im Staub und Schweiß des Alltags nicht schmutzig machen".

Während die Behauptung, Anwälte schwitzten bei ihrer Tätigkeit nicht, Anstoß erregte, behaupten vor allem wissenschaftlich arbeitende Juristen recht oft, ihre Transpiration enthalte einen obskuren "Schweiß der Edlen". Horst Sendler (1925-2005), ehemals Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, bekundete beispielsweise, dass über einer näheren Analyse der Kammerentscheidungen des Verfassungsgerichts dieser "Schweiß der Edlen" fließen dürfe. Auch das wissenschaftliche Werk des Trierer Professors Horst Ehmann gilt als verbunden mit dem "Schweiß eines Edlen". Die Strafrechtsdogmatikerin Ingeborg Puppe attestiert den Vertretern einer ganzen "herrschenden Lehre" zu einer etwas obskuren juristischen Theorie, diese sei nur deshalb nicht aus der Welt zu schaffen, weil sonst zu viel "Schweiß der Edlen … umsonst geflossen" sei.

Dem Münchener Arbeitsrechtsanwalt Georg Annuß ist es zu verdanken, das juristische Verhältnis zum Schweiß aufgelöst zu haben. In einer Rezension zum "Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht" attestiert er diesem Buch (!), dass es "gut im Training" sei und nicht den geringsten "Ansatz zur Fettleibigkeit" zeige. Dafür hätten die Verfasser des "Erfurter Kommentars" viel schwitzen müssen.

Merke: Juristen dürfen transpirieren. Doch ihre schweißtreibenden Aktivitäten sollen sich leibhaftig allein in ihren Werken zeigen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Hitzewelle: Schwitzen für Juristen . In: Legal Tribune Online, 04.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9279/ (abgerufen am: 30.04.2024 )

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