Wertungsprobleme: Ein heiliges Herz auf Deutschlandtour

von Martin Rath

20.01.2013

2/3: Gelsenkirchener Kinder und abgetrennte Körperteile im Bestattungsrecht

Bemerkenswert, aber ohne den Hinweis Sloterdijks und die Meldung vom traurigen Kölner Konfessions-Fall außerhalb einschlägig interessierter Kreise unbemerkt, ging in den vergangenen Jahren ein Leichenteil auf Reisen: Nicht allein nach Rom wurde das Herz Vianneys 2009 gebracht, sogar durch katholische Gemeinden Englands tourte es und – wer hat das eigentlich mitbekommen? – auch durch deutsche Lande wurde die Reliquie (zu Deutsch: "Überbleibsel") gefahren.

Am 29. März 2010 wurde das Überbleibsel Vianneys beispielsweise nach Gelsenkirchen gebracht, was sich im Internetauftritt des katholischen Rundfunks so liest: "ca. 21.00 Uhr Ankunft der Herz-Reliquie, Stille Gebetszeit 22.00 Uhr Komplet anschl. gestaltete Gebetszeit bis 23.00 Uhr, 23.00-24.00 Uhr Möglichkeit zum stillen Verweilen in der Kirche" und am nächsten Tag: "10.00 Uhr Kinder besuchen die Kirche, 12.00 Uhr Gebetsstunde…", insgesamt zwei dicht gefüllte Tage mit einer Reliquie, die für den außenstehenden Beobachter zunächst einmal eines ist (und wahrscheinlich bleibt): ein Leichenteil.

Im Zusammenhang mit den Gelsenkirchener Kindern, die dem Überbleibsel des heiligen Manns zugeführt wurden, fällt auf, wie unsäglich dämlich eine Formulierung im Bestattungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen gewählt wurde: "Jede Frau und jeder Mann haben die Ehrfurcht vor den Toten zu wahren und die Totenwürde zu achten." (§ 7 Abs. 1 BestG NRW). Kinder, die sich am 30. März 2010 respektlos verhalten hätten, wären folglich vom Recht des Landes NRW schwer zu fassen gewesen. Aber die Verwunderung hat selbstredend eine andere Wurzel, denn es heißt in § 8 Abs. 2 BestG NRW: "Die Inhaber des Gewahrsams haben zu veranlassen, dass Leichenteile, Tot- oder Fehlgeburten sowie die aus Schwangerschaftsabbrüchen stammenden Leibesfrüchte, die nicht nach § 14 Abs. 2 bestattet werden, ohne Gesundheitsgefährdung und ohne Verletzung des sittlichen Empfindens der Bevölkerung verbrannt werden." Die entsprechende Vorschrift zum Beispiel im Landesrecht von Baden-Württemberg lautet: "Abgetrennte Körperteile sind, soweit sie nicht bestattet werden, hygienisch einwandfrei und dem sittlichen Empfinden entsprechend zu beseitigen, soweit und solange sie nicht wissenschaftlichen Zwecken dienen." (§ 30 BestattG BW).

Warum wurde das 1904 aus Sarg und Körper geschälte Herz des französischen Priesters nicht bei einer seiner zahlreichen Touren durch deutsche Bundesländer dorthin verbracht, wo Leichenteile üblicherweise landen, im Grab oder in einem Krematorium?

Eine mögliche Rechtfertigungsstrategie für behördliche Interventionsunlust zeichnete eine ähnlich moderne Darbietungsform von Leichenteilen vor: Seit 1997 ging die "Körperwelten"-Ausstellung mit plastinierten Leichen des Anatomen Gunther von Hagens auf Wanderschaft und zog allein in Deutschland ein Millionenpublikum an. Ernst Benda (1925-2008), der langjährige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, mokierte sich in der "Neuen Juristischen Wochenschrift" ein wenig darüber, dass die Mannheimer Ordnungsbehörden überhaupt keine Bedenken äußerten, während sich das Kölner Ordnungsamt bei einer Station der "Körperwelten" darauf hinausredete, dass "die Ausstellungsstücke als so genannte Plastinate nach Nordrhein-Westfalen gekommen [sind], und das sind keine Leichen mehr" (NJW 2000, S. 1.769-1.771). Benda damals wörtlich: "Das ist eine verblüffende Feststellung: Anatomische Präparate sind deswegen keine Leichen, weil sie, im Gegensatz zu diesen, unverweslich und damit, wie mir Professor v. Hagens geschrieben hat, für die Feuer- und Erdbestattung 'ungeeignet' geworden sind."

Zitiervorschlag

Martin Rath, Wertungsprobleme: Ein heiliges Herz auf Deutschlandtour . In: Legal Tribune Online, 20.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8001/ (abgerufen am: 03.05.2024 )

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