Straßenverkehr, seine Kontrolle und das diffus Böse: Legen Sie Ihre Hände gut sichtbar aufs Lenkrad!

von Martin Rath

27.01.2013

2/2 Legendierende Kontrollen und andere Märchen

Für USA-Reisende mag die alaskische Rechtslage wenig tröstlich sein, gehört der mit 1,7 Millionen Quadratkilometern flächenmäßig größte US-Bundesstaat ja nicht eben zu den touristischen Hauptzielen. Auch die besondere Freiheit der Bürger ist vergleichsweise wenig wert – das Städtchen Fairbanks, in dem Haines arbeitet, ist ein Nest von rund 30.000 Einwohnern, der Staat insgesamt zählt nur etwas über 700.000 Menschen.

Und doch hat es etwas Beruhigendes, zu lesen, dass eine US-amerikanische Staatsanwältin von den Bürgerrechten ausgehend denkt und es nicht  der nordischen Eiseskälte im Winter und den subarktischen Mückenplagen im Sommer überlässt, Polizeigewalt am Straßenrand zu limitieren.

In ihrem Beitrag "Legendierende Kontrollen – Die gezielte Suche nach dem Zufallsfund" (Neue Zeitschrift für Strafrecht 2012, S. 543-547) lassen sich der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Müller und der Richter am Landgericht Dr. Sebastian Römer von einer recht anderen Denkungsart leiten als ihre entfernte Kollegin in Fairbanks (Alaska).

Müller/Römer fragen in ihrem Aufsatz, "ob eine einschlägige Ermächtigungsgrundlage für ein legendierendes Handeln der Polizeibeamten gefunden werden kann". Sobald man weiß, was "legendierendes Handeln" ist, kann der Leser am Grad seiner Gänsehaut die eigene Liberalität und sein Staatsverständnis abmessen.

Luftablassen – und dann kommen die Kollegen von der Verkehrspolizei

Den Richter und den Staatsanwalt treibt das Problem um, dass bei "der Bekämpfung organisierter (Rauschgift-) Kriminalität … häufig umfangreiche technische oder personale Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa eine Telekommunikationsüberwachung … oder der Einsatz eines verdeckten Ermittlers … durchgeführt [werden]" und es dabei darum geht "in das Innere der kriminellen Organisation einzudringen und belastbare Beweismittel sowohl gegen die Kuriere und Verkäufer der Drogen, aber gerade auch gegen die Hintermänner zu sammeln und beim Eintritt in die offene Phase der Ermittlungen möglichst die gesamte Organisation 'auszuheben'."

Notwendig ist es aus Staatsperspektive also, gegen das einfache Fußvolk der "Organisierten Kriminalität", Drogenkuriere beispielsweise, vorgehen zu können, ohne preiszugeben, dass eine Ermittlung gegen die obskure Organisation im Hintergrund läuft. Dazu kann etwa eine "legendierte" Verkehrskontrolle stattfinden. Müller/Römer geben das Beispiel, "einer legendierten (Verkehrs-) Kontrolle, bei der den Ermittlungsbehörden aus der vorangegangenen verdeckten Observation eines gesondert Verfolgten bekannt war, dass der Beschuldigte Kokain in seinem Fahrzeug bei sich führte. Auf der Autobahnraststätte ließen die Ermittlungsbeamten Luft aus einem Fahrzeugreifen ab und baten Kollegen der hinzu gerufenen Schutzpolizei um eine Fahrzeugkontrolle."

Bei der vorgeblichen "Routinekontrolle" wurde das Kokain im Fahrzeug entdeckt, in den Ermittlungsakten wurde aber zunächst nur der Hinweis auf diesen vermeintlichen "Zufallsfund" dokumentiert. Die deshalb verkürzten Möglichkeiten der Verteidigung bemängelte der Bundesgerichtshof (BGH) offenbar allein wegen der auch sonst erdrückenden Beweislage nicht.

Im Übrigen deute, so monieren Müller/Römer, der BGH aber gelegentlich Bedenken an, weil es einen "allgemeinen Grundsatz, der die aktive Täuschung des Beschuldigten in allen denkbaren Konstellationen gestatten würde, … im Strafverfahrensrecht nicht gibt".

Täuschung von Verdächtigen durch "legendierte" Durchsuchung

Müller/Römer kommen zu dem Ergebnis, dass die polizeirechtlichen Normen nicht zur Legitimation "legendierter" Ermittlungen ausreichen.

So erlaubt zwar beispielsweise § 40 Absatz 1 Nr. 3 des Polizeigesetzes für Nordrhein-Westfalen (PolG) der Staatsgewalt, ein Fahrzeug zu durchsuchen, wenn "Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in ihr eine andere Sache befindet, die sichergestellt werden darf", was für Kokain zweifellos der Fall ist.

Jedoch, würde der Beschuldigte nun in dem Glauben belassen, es habe sich um eine gewöhnliche Verkehrskontrolle gehandelt, werden also die "Tatsachen", die zur Durchsuchung führten, in der Ermittlungsakte nicht dokumentiert und damit der Verteidigung offengelegt, im Beispielsfall also der Tipp der "Drogenermittler" an die Verkehrspolizei, geriete der Prozess in eine Schieflage, die daran zweifeln lässt, ob es sich noch um ein "fair trial" handelt.

Das Ganze polizeirechtlich zu legitimieren, das gehe folglich nicht. Einschlägig sei, soweit ein Anfangsverdacht besteht, auch bei einer "legendierten" Maßnahme vielmehr § 102 Strafprozessordnung (StPO), der die Durchsuchung unter Richtervorbehalt setzt und bei "fingierter" Eilbedürftigkeit der Durchsuchung ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht. Im Ergebnis seien bei formal korrektem Vorgehen dann aber die "Hintermänner" des Drogenkuriers gewarnt, was dem Kampf gegen die "Organisierte Kriminalität" nicht gut zu Gesicht stünde.

Warme Schutzpflicht des Staates statt kalter Freiheit des Bürgers

Unter ermittlungstaktischen Gesichtspunkten leuchtet die Argumentation von Müller/Römer ein und doch bekommt sie einen leicht unangenehmen Beigeschmack, wenn der Richter und der Staatsanwalt schreiben: "Dem Interesse an der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten kommt damit [mit einer Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz] neben dem Interesse an der Verhinderung von Straftaten eine eigenständige verfassungsrechtliche Bedeutung zu."

Das leichte Unbehagen, das solche Formulierungen hinterlassen, rührt vom Staatsverständnis her: Der Staat erscheint als überzeitliche, ja ein wenig göttlich über "den Menschen" (um die schlimmste Politikerphrase zu zitieren) stehende Größe, die aus dunklen Quellen weiß, dass dem Bürger beispielsweise durch Drogenhandel eine Gefahr droht, vor der er zu schützen ist. Der Kampf gegen die mächtigen Hintermänner im 'Krieg gegen Drogen' rechtfertigt es, bei der Strafverfolgung gegen die einfachen Soldaten des Feindes nicht mit ganz offenen Karten zu spielen, also formal und klar darzulegen, woher sich der strafprozessuale Verdacht zum Beispiel gegen den Drogenkurier herleitet.

Bei der Gelegenheit bleibt nicht nur offen, woher der Staat sein überlegenes Wissen bezieht (man könnte ja auch auf den naiven Gedanken kommen, dass es sich erst in Strafprozessen bewahrheiten und aktualisieren muss), zu allem Überfluss muss eine "warme" Schutzpflicht des Staates auch stets grundrechtsdogmatisch gegen die "kalten" Abwehrrechte des mutmaßlich kriminellen Bürgers in die Waagschale der Abwägung geworfen werden.

FDP und Liberale, Wohnungen und Autos

Mag sein, dass Staat und Gesellschaft der deutschen Republik von dunklen Mächten bedroht sind – allein, wie viel sympathischer ist es, wenn eine stellvertretende Bezirksstaatsanwältin einmal die Grenzen der Polizeigewalt formuliert, formalistisch und im schlichten Rahmen positiven Rechts, statt bei der Gelegenheit von Gefahr und "staatlicher Schutzpflicht" zu unken, nebst baldmöglichst neuen Eingriffsbefugnissen?

Wie auch immer die deutsche Gänsehautempfindlichkeit aussieht: Angesichts der aktuellen Wahlergebnisse bzw. -umfragen für die FDP wird hierzulande ja wieder häufig nach dem Verbleib der Liberalen gefragt (auch wenn man da keinen Zusammenhang sehen muss). Womöglich machen die Freiheitsfreunde ja in Alaska Urlaub und freuen sich auf die nächste Polizeikontrolle. Wer einen empörten Autofahrer darüber aufklären muss, dass sein Gefährt als bloß geschlossene Kiste nicht unter dem Schutz der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz steht, Anlässe gibt dazu es für Juristen sicher nicht selten, möge dem in seiner Intimsphäre Gestörten einfach den Weg nach Alaska weisen.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Straßenverkehr, seine Kontrolle und das diffus Böse: Legen Sie Ihre Hände gut sichtbar aufs Lenkrad! . In: Legal Tribune Online, 27.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8041/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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