Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. Januar 2018: NetzDG vor dem Aus? / Kampf den Rad-Rowdys / Erstes Lkw-Kar­tell-Urteil

08.01.2018

Vertreter der Grünen, der FDP und der Linken wollen das NetzDG wieder abschaffen. Außerdem in der Presseschau: Berlin will Radler schützen, indem Bußgelder für Radrowdys erhöht werden, und Göttingen gewinnt im Kartellrechtsstreit gegen MAN.

Thema des Tages

Grüne, FDP und Linke für Abschaffung des NetzDG: In Reaktion auf die zeitweilige Sperrung des Twitter-Accounts der Satirezeitschrift "Titanic" haben Politiker der Grünen, der FDP und der Linken eine Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) gefordert. Die vergangenen Tage hätten gezeigt, dass private Anbieter nicht in der Lage seien, in allen Fällen mutmaßlich strafbarer Äußerungen im Netz die richtige Entscheidung darüber zu treffen, ob eine rechtswidrige, eine satirische oder aber eine geschmacklose, in einer Demokratie aber zu ertragende Meinungsäußerung vorliege, wird in der WamS (Ansgar Graf, Thorsten Jungholt) Nicola Beer, die Generalsekretärin der FDP, zitiert. Die Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen äußerte sich ähnlich gegenüber der Zeitung: Die Sperrung des Twitter-Accounts der "Titanic" offenbare die Schwächen des mit viel zu heißer Nadel gestrickten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Auf zeit.de kommt zusätzlich die SPD-Politikerin Andrea Nahles zu Wort, die das Gesetz verteidigt: Es sei gut und richtig und müsse umgesetzt werden.

Im Medienteil der Samstags-FAZ (Andrea Diener) werden einzelne Tweets der "Titanic" aufgeführt, die Opfer der Twitter-Sperrpolitik geworden sind. Darunter auch das November-Titelbild des Heftes mit der Aufschrift "Baby-Hitler macht den Führerschein", das Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Jörg Haiders Unfallwagen zeigt. Ironischerweise sei der entsprechende Tweet in Österreich noch sichtbar. Die FAS (Frank Pergande) beleuchtet noch einmal die Entstehungsgeschichte des NetzDG und weist dabei auch darauf hin, dass die Neuregelung zunächst einmal die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch getroffen hatte. Sie hatte von "barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden" geschrieben und war daraufhin gesperrt worden. Die Satirezeitschrift "Titanic" hatte mit einem parodistischen Tweet darauf reagiert.

Die Sozialwissenschaftlerin Julia Krüger schlägt auf netzpolitik.org die Einführung eines Rechts auf Veröffentlichung legaler Inhalte vor. Wenn private Konzerne öffentliche Räume zur Verfügung stellten, in denen grundsätzliche gesellschaftliche Debatten geführt würden, bräuchte man eine Ausdehnung der Grundrechte auch gegenüber Unternehmen.

Rechtspolitik

Strengere Regeln für IT-Unternehmen: Jan Philipp Albrecht, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, fordert strengere Regeln für die IT-Branche. Das berichtet die Montags-taz (Moritz Ellisen). Hintergrund ist die Entdeckung von Sicherheitslücken bei Computerchips. "Wir brauchen verpflichtende Standards auf EU-Ebene", so Albrecht. IT-Unternehmen müssten beispielsweise zu regelmäßigen Sicherheitstests verpflichtet werden, um Schwachstellen rechtzeitig aufzudecken.

Datenschutzgrundverordnung: Rechtsanwalt Tim Wybitul weist in der FAS darauf hin, dass mit der demnächst geltenden Datenschutzgrundverordnung auch Betriebsvereinbarungen angepasst werden müssen. Er rät Unternehmen, zumindest Rahmenbetriebsvereinbarungen abzuschließen, die die Vorgaben der neuen Regelung zusammenfassten. Etwa ein Drittel aller Unternehmen in Deutschland habe sich noch nicht damit befasst, was die Datenschutzgrundverordnung* für sie bedeute, erklärt die Montags-SZ (Helmut Martin-Jung). Die Neuregelung gilt ab Mai 2018, ab dann können bei Verstößen Geldbußen bis zu 20 Millionen Euro verhängt werden.

Anspruch auf befristete Teilzeit: Ein Thema in den Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD ist der Anspruch auf eine befristete Arbeitszeitverkürzung mit einem Rückkehrrecht auf Vollzeit. Aus Sicht der WamS (Dorothea Siems) handelt es sich dabei aber eher um ein Schattengefecht. Der große Gegensatz zwischen den beiden Lagern in puncto Rückkehrrecht sei vor allem für das Publikum inszeniert, denn SPD und Union stritten zwar noch um Details, nicht jedoch um das Grundsätzliche. Strikt gegen ein gesetzliches Rückkehrrecht seien allerdings die Arbeitgeber. Ein starres gesetzliches Rückkehrrecht auf Vollzeit-Stellen blende die partnerschaftlichen Lösungen in der betrieblichen Praxis völlig aus, wird Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zitiert.

Entgelttransparenzgesetz: Seit dem 6. Januar besteht nach dem Entgelttransparenzgesetz ein Auskunftsanspruch hinsichtlich der Entlohnung von vergleichbaren Kollegen im Unternehmen. Ziel ist eine höhere Lohngerechtigkeit zwischen männlichen und weiblichen Beschäftigten. Die WamS (Inga Michler) stellt die neue Rechtslage dar und spricht u.a. mit Unternehmensberatern darüber, ob die Erwartungen eingelöst werden können.

Höhere Bußgelder für Fahrrad-Rowdys: Die Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther plant eine Bundesratsinitiative, die es erlauben soll, bei schweren Verkehrsverstößen durch Radfahrer höhere Bußgelder zu verhängen. Ziel sei es, dass Radfahrer weniger Unfälle erleiden und sich andererseits verantwortungsbewusster verhalten, wird in dem entsprechenden Bericht der Montags-SZ (Markus Balser) der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning (SPD), zitiert. Dagegen hat sich bereits der verkehrspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ulrich Lange, geäußert. Es sei keine Lösung, immer nur reflexhaft nach neuen Bundesgesetzen zu rufen, so der Abgeordnete.

Justiz

Ethikregeln für Verfassungsrichter: Die FR (Ursula Knapp) und lto.de (Christian Rath) stellen jetzt auch die kürzlich veröffentlichten Ethikregeln, die sich das Bundesverfassungsgericht gegeben hat, vor. Die 16 Regeln betreffen vor allem das Verhalten der Richter in der Öffentlichkeit, Geschenke und Nebeneinkünfte sowie das Verhalten nach Ausscheiden aus dem Gericht.

BFH zur Absetzbarkeit von Kosten für künstliche Befruchtung: Wie lto.de berichtet, hat der Bundesfinanzhof festgestellt, dass es sich bei Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung auch dann um eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des Einkommensteuergesetzes handelt, wenn die Frau in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt. Das gelte bei Behandlungen im Ausland jedoch nur dann, wenn die zugrunde liegende Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang stehe.

LG Hannover zum Lastwagenkartell: Wie die Montags-FAZ (Marcus Jung) berichtet, hat es in den Schadensersatzverfahren gegen große Lastwagenhersteller ein erstes Urteil gegeben. Das Landgericht Hannover gab der Stadt Göttingen recht, die gegen den Nutzfahrzeughersteller MAN wegen illegaler Preisabsprachen geklagt hatte. Im Kern geht es um geheime Preisabsprachen für Lastwagen zwischen den Herstellern Daimler, Iveco, Volvo/Renault, DAF, Scania und MAN in den Jahren von 1997 bis 2011. MAN hatte das mutmaßliche Kartell durch eine Selbstanzeige gegenüber der Europäischen Kommission ans Licht gebracht und konnte so eine empfindliche Kartellbuße vermeiden.

VG Hamburg – G-20-Unruhen: Die Samstags-taz (Patricia Hecht) interviewt den Hamburger Rechtsanwalt Dieter Magsam, der eine Klage gegen die Stadt Hamburg wegen des Polizeieinsatzes im Zusammenhang mit den G-20-Unruhen vertritt, die in dieser Woche eingereicht werden soll. Das Gericht werde die Frage stellen müssen, wie es dazu gekommen sei, dass lange angekündigte friedliche Demonstrationen ohne Auflösungsverfügung und ohne jede weitere Ankündigung mit Tränengas, Schlagstöcken und Fußtritten "aufgemischt" worden seien und Leute mit Verletzungen im Krankenhaus landeten, so der Anwalt in dem Gespräch.

VG Rheinland-Pfalz zur Herausgabepflicht von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes: Das Verwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat laut lto.de den Mainzer Landtag verpflichtet, Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes auch dann herauszugeben, wenn sie auf Initiative einer Fraktion erstellt wurden. Entgegen der Auffassung des Landtages sei der Wissenschaftliche Dienst eine transparenzpflichtige Stelle im Sinne des Transparenzgesetzes, urteilte das Gericht.

Recht in der Welt

USA – erste Klagen gegen Intel: spiegel.de meldet, dass in den USA bis zum vergangenen Samstag bereits drei Klagen gegen das Unternehmen Intel eingereicht wurden. Sie sollen als Sammelklagen geführt werden, denen sich weitere Verbraucher anschließen können. Sie sind auf Schadensersatz wegen der gravierenden Sicherheitslücken bei von Intel produzierten Computerchips gerichtet.

USA – Drogenpolitik auf Bundesebene: Nachdem Kalifornien vor einigen Tagen den kontrollierten Marihuana-Verkauf erlaubt hatte, soll auf Bundesebene nun gegengesteuert werden. Wie die Samstags-taz (Bernd Pickert) berichtet, legt ein am Donnerstag veröffentlichtes Memorandum des Justizministers Jeff Sessions nahe, dass sich künftig die Bundesbehörden über eine bundesstaatliche Drogenliberalisierung hinwegsetzen und auch gegen in ihrem Bundesstaat legale Anbieter von Cannabisprodukten vorgehen könnten. In dem Artikel heißt es, dass die bundesstaatlichen Regelungen gegen US-Bundesrecht verstoßen. Allerdings wurde unter der Obama-Regierung auf diesem Feld von der Durchsetzung des Bundesrechts abgesehen.

Frankreich – Gericht erlaubt Einstellung der Beatmung: Gegen den Willen der Eltern hat das oberste französische Verwaltungsgericht in zweiter Instanz den behandelnden Ärzten gestattet, die Beatmung eines 14-jährigen Jungen mit schwerem Hirnschäden einzustellen. Das meldet spiegel.de. Die Richter begründeten dies unter anderem mit dem irreversiblen Verlust der Autonomie des Kindes, es gebe keine ernsthaften Zweifel an der ärztlichen Analyse.

Russland – Nawalny darf nicht kandidieren: Das Oberste Gericht Russlands hat, wie die Montags-taz meldet, den Ausschluss des Oppositionellen Alexey Nawalny von der Präsidentenwahl bestätigt. Die Behörden berufen sich bei dem Ausschluss auf eine Bewährungsstrafe gegen Nawalny wegen Veruntreuung. Nawalny will gegen die Gerichtsentscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgehen.

Sonstiges

Die Narrative der Europäischen Union: Im Feuilleton der Samstags-FAZ setzt sich die frühere Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff kritisch mit den kursierenden Narrativen zur EU auseinander. Sie zweifelt daran, dass man schwindendem Europa-Enthusiasmus mit einer neuen werbebotschaftsartigen "großen Erzählung" beikommen könnte. Von der Suche nach einem Narrativ für die EU sollte man daher ablassen. Denn ein solches könne weder der Vielfalt der guten Gründe für eine konstruktive Arbeit an der Union und an der ökonomischen Konvergenz ihrer Mitgliedstaaten gerecht werden noch der Vielfalt ihrer Probleme und der Vielfalt und partiellen Gegenläufigkeit der involvierten nationalen Interessen, so Lübbe-Wolff.

Personalmangel in der Justiz: Laut Samstags-FAZ (Dietrich Creutzburg/Marcus Jung) fehlen derzeit 2.000 Richter und Staatsanwälte. Dazu kommt, dass nach Berechnungen des Deutschen Richterbundes bis zum Jahr 2031 knapp 40 Prozent der Richter und Staatsanwälte in Ruhestand gehen. Dem Anschein nach ohne Konzept steuerten die Verwaltungen sehenden Auges auf immer größere Engpässe zu, heißt es in dem Bericht, der sich insgesamt mit dem Personalmangel im öffentlichen Dienst befasst.

Kirchenverfassungsrecht – Neutralitätsgebot: Der Zukunft des staatlichen Neutralitätsgebotes, das zunehmend auch auf gesellschaftliche Akteure ohne Staatsbezug übergreift, widmet sich der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig in der Montags-FAZ. Er beleuchtet dabei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Heinig kommt zu dem Ergebnis, dass das Konzept der Offenheit des Staates für alle Religionen und Weltanschauungen zwar unter dem Vorzeichen dominanter Volkskirchen entwickelt wurde, unter den gewandelten Verhältnissen aber auch religiöse Minderheiten zu schützen vermöge. Allerdings stünden die härtesten Bewährungsproben vermutlich noch bevor.

Kritik am Arbeitnehmerüberlassungsgesetz: Am Beispiel des Unternehmers Frank Ferchau erläutert die Samstags-FAZ (Sven Astheimer) die Folgen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, das im April in Kraft getreten ist. Es gibt Zeitarbeitern nach neun Monaten Einsatzdauer einen Anspruch auf denselben Lohn, den auch die Stammbelegschaft erhält. Außerdem wird der Einsatz von Zeitarbeitskräften auf 18 Monate beschränkt. Mit dem neuen Gesetz sei ein enormer administrativer Aufwand verbunden, lautet die Kritik. Allein die Umsetzung der Regelungen habe in seinem Unternehmen 2,4 Millionen Euro gekostet, so Ferchau. Im Übrigen habe sich in der Folge die Lohn-Ungleichheit in seiner Firma verschärft. Das Gesetz gehe völlig an der Realität vorbei, lautet daher das Urteil des Unternehmers.

JVA Plötzensee: Mit den insgesamt neun Entweichungen aus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee in den vergangenen Tagen befasst sich noch einmal die Montags-SZ (Hanna Beitzer). Sie interviewt Anwohner, die die Vorfälle als symptomatisch für die Stadt Berlin ansehen, in der "Dysfunktionalität halb Ärgernis und halb Folklore" sei. Wie die Samstags-taz meldet, hat zwischenzeitlich die von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eingesetzte Expertenkommission, die die "bauliche und administrative Sicherheitsorganisation" umfassend untersuchen soll, ihre Arbeit aufgenommen. Ergebnisse sollen bis etwa Mitte März vorliegen.

#metoo und der Fall "Wedel": Auf lto.de setzt sich die Rechtsprofessorin Monika Frommel kritisch mit den Vorwürfen gegen den Filmregisseur Dieter Wedel auseinander. In der Diskussion werde Rüpelhaftigkeit mit Kriminalität gleichgesetzt und die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil verkehrt, meint sie. Es werde mittlerweile selbst von seriösen Medien akzeptiert, mediale Pranger zu bedienen.

Rechtsgeschichte – Namensrecht anno 1938: Mit dem Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen befasst sich lto.de (Martin Rath). Hinter dem Gesetz, das u.a. die Rücknahme von "unerwünschten" Namensänderungen erlaubte, stand der antisemitische Gedanke, Träger eines jüdischen Namens hätten vor 1933 massenhaft ihre Herkunft "verdunkeln" wollen, indem sie sich "deutsche" bzw. "arische" Namen zugelegt hätten. Tatsächlich zeigte die Statistik, dass von den 560.000 jüdischen Menschen in Deutschland lediglich 807 ihren Namen hatten ändern lassen.

*Hier stand zunächst "Datenschutzgrundversorgung". Es wurde aufgrund eines Leserhinweises geändert.

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lto/pf

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. Januar 2018: NetzDG vor dem Aus? / Kampf den Rad-Rowdys / Erstes Lkw-Kartell-Urteil . In: Legal Tribune Online, 08.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26341/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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