Vorwürfe gegen Dieter Wedel - #metoo in Deutschland: Die Ver­mark­tung von Empörung

von Prof. Dr. Monika Frommel

05.01.2018

Mit dem Fall Wedel ist #metoo in Deutschland angekommen. Rüpelhaftigkeit wird mit Kriminalität gleichgesetzt, die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil verkehrt, kommentiert Monika Frommel. Die Leidtragenden seien echte, schwer geschädigte Opfer.

Nun ist die #metoo – Kampagne in Deutschland angekommen. Schauspielerinnen werfen dem Regisseur Dieter Wedel gewalttätige und sexuelle Übergriffe vor, die er in den 1990-er Jahren begangen haben soll. Der Fall Wedel wird unverkennbar in die Vorlagen aus Hollywood eingepasst; von einem Bademantel, einem Vorsprechen im Hotel und von körperlicher Gewalt ist die Rede. Niemand trennt mehr zwischen Rüpelhaftigkeit, verbalen Übergriffen, Macho-Gehabe und eindeutig krimineller brachialer und sexualisierter Gewalt.

Die angeblich existierende "soziale Struktur sexueller Gewalt durch sozial und ökonomisch mächtige Männer" macht das auch nicht nötig. Sie wird durch Wiederholung als existent konstruiert. Zwar waren Schauspielerinnen, die in einem kleinen Zeitfenster eine Rolle haben müssen, wenn sie nicht versauern wollen, vor mehr als 70 Jahren in einer misslichen Lage, da damals tatsächlich der patriarchale Schulterschluss funktionierte und selbst eindeutige Formen der sexuellen Gewalt bagatellisiert wurden.

Aber diese Zeiten sind vorbei. Zwar sind Schauspielerinnen immer noch unter Druck. Aber seit den 70-er Jahren werden Gewalt gegen Frauen und Sexismus bekämpft. Bedauerlich, dass viele Schauspieler erst jetzt entdecken, dass nur Solidarität weiter hilft.

Eine viktimere Gesellschaft

Bedenklich ist aber die Strategie, Moralkampagnen mittels strafrechtlicher Forderungen zu führen. Das Strafrecht ist bereits mehrfach und bis zur Unkenntlichkeit geändert worden. Auch Themen wie Machtmissbrauch sind geläufig und rechtlich zu fassen.

Aber zivilisierte Formen der Gegenwehr setzen voraus, dass sich alle an die Spielregeln halten. Klar ist, dass es kriminelles und inakzeptables Verhalten gibt. Auch, dass es nicht nur die jungen Männer der Unterschichten sind, die vergewaltigen.

Dennoch ist die immer wieder wiederholte Annahme, Opfer würden aus Angst und Scham schweigen, veraltet. Sie bereits ist etwa 50 Jahre alt und grob geschätzt seit etwa 20 Jahren nicht mehr realistisch. Das Blatt hat sich gewendet. Wir leben in einer viktimeren Gesellschaft, also in einer Kultur, in der alle, die eine passende Geschichte erzählen können, mit dem Opfersein geradezu kokettieren können und über die Opferrolle Solidarität einfordern.

Die Leidtragenden sind die echten, schwer geschädigten Opfer

Die Gefahr liegt auf der Hand. Die Leidtragenden dieser Inflation sind die echten und schwer geschädigten Opfer. Sie unterscheidet nämlich nicht mehr zwischen beweisbaren und erfundenen Geschichten. Sie akzeptiert auch nicht, dass man Beweisprobleme nicht durch medienwirksame Strategien der Skandalisierung überspielen sollte.

Es wird mittlerweile selbst von seriösen Medien akzeptiert, mediale Pranger zu bedienen. Ist der Beschuldigte unsympathisch, etwa in dem Sinne, dass er in der Vergangenheit ostentativ ein Macho- und Angeber- Gehabe an den Tag gelegt hat, kann sich nun jeder rächen. Viele Zeitgenossen können in Interviews ihre Geschichten erzählen, die ungefiltert veröffentlicht und in den sozialen Netzwerken weiter geleitet werden. Der Grund ist banal: Ein Name kursiert gerade und die Technik der Personalisierung und Skandalisierung funktioniert.

Dass dabei rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung nicht nur jede Bedeutung verlieren, sondern geradezu in ihr Gegenteil, zur "Schuldvermutung" verkehrt werden, das ist leider evident.

Ermittelt wird sowieso nicht mehr

Früher, in patriarchal geprägten Kulturen, schützte ihre soziale und ökonomische Macht die Täter. Mittlerweile gilt bereits als "übergriffig", wer Macht hat und sich zumindest gelegentlich provokativ verhält. Ihm traut man nun auch gleich eine Vergewaltigung zu, und die Öffentlichkeit gesteht den selbsternannten Opfern zu, über derartige Vorfälle zu plaudern, auch wenn sie sicher keinen Wahrheitsbeweis antreten können.

Im Fall Wedel ist die erzählte Vergewaltigungsgeschichte zudem mehr als zwanzig Jahren alt. Sie wäre also ohnehin verjährt. Da aber wegen der Verjährung keine Ermittlungen mehr möglich sind, riskieren diejenigen, welche sie in Umlauf bringen und in den Medien ungeprüft kolportieren, wenig. Schließlich kann ja mittlerweile auch die Unwahrheit nicht mehr erwiesen werden.

Die Autorin Prof. Dr. Monika Frommel war Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie an der Universität Kiel. Einer ihrer Arbeitsschwerpunkte ist die Kriminologie aus feministischer Perspektive, besonders das Sexualstrafrecht und seine Reformen.

Zitiervorschlag

Monika Frommel, Vorwürfe gegen Dieter Wedel - #metoo in Deutschland: Die Vermarktung von Empörung . In: Legal Tribune Online, 05.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26329/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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