VG München moniert Rücknahmeabkommen: Deut­sch­land muss abge­scho­benen Flücht­ling zurück­holen

von Dr. Franziska Kring

07.05.2021

Abschiebungen direkt an der Grenze ohne Verfahren verstoßen gegen Unionsrecht, entschied das VG München. Der "Seehofer-Deal" mit Griechenland gerät damit erneut ins Wanken.

Die Bundesrepublik Deutschland hat vor dem Verwaltungsgericht (VG) München eine Niederlage kassiert: Sie muss einen Geflüchteten, der im August 2020 aus Deutschland nach Griechenland abgeschoben worden war, umgehend zurückholen, heißt es in dem Eilbeschluss vom 4. Mai 2021 (Az. M 22 E 21.30294).

Grundlage der sofortigen Abschiebung war eine als "Seehofer-Deal" bekanntgewordene Vereinbarung zwischen Deutschland und anderen EU-Staaten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte mit Spanien und Griechenland vereinbart, dass beide Länder binnen 48 Stunden jene Geflüchteten zurücknehmen sollen, die an der deutschen Grenze aufgegriffen werden, obwohl sie schon in Spanien oder Griechenland einen Asylantrag gestellt haben. Die Absprache mit Spanien trat am 11. August 2018 in Kraft, jene mit Griechenland am 18. August desselben Jahres.

Der in dem Fall Betroffene ist ein syrischer Staatsangehöriger, der im August 2020 durch die Bundespolizei in einem Zug an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen wurde. Er hatte keine Papiere bei sich. Er gab an, seinen Heimatort in Syrien 2018 Richtung Türkei verlassen zu haben und nach Griechenland weitergereist zu sein. Dort habe er sich für ein knappes Jahr aufgehalten und einen Asylantrag gestellt. Dieser sei jedoch abgelehnt worden. Er sei dann weiter nach Österreich gereist, um schließlich in Deutschland zu leben. Gegenüber den Polizeibeamten äußerte er den Wunsch, einen Asylantrag zu stellen.

Diese verweigerten ihm jedoch ohne weitere Prüfung seiner Schutzbedürftigkeit die Einreise, da er bereits in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe und Griechenland deshalb aufgrund der Dublin-III-Verordnung verpflichtet sei, ihn wieder aufzunehmen. In Anwendung des Seehofer-Deals schob die Bundespolizei ihn schon am nächsten Tag nach Griechenland ab. Dort saß er mehrere Wochen in Haft, bevor seine Anwältin seine Freilassung erwirkte.

Im Oktober 2020 erhob er Klage beim VG München und stellte gleichzeitig einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, über den die Münchner Richter jetzt entschieden haben.

Seehofer-Deal unionsrechtswidrig

Das VG München gab dem Betroffenen Recht. Es führt an, anstelle der sofortigen Abschiebung hätte ein Dublin-Verfahren durchgeführt werden müssen. Danach müssen Asylbewerberinnen und Asylbewerber grundsätzlich in dem Land registriert werden, in dem sie die Europäische Union (EU) betreten hatten. Nichtsdestotrotz muss jeder Mitgliedstaat nach der Dublin-III-Verordnung aber auch jeden Antrag auf internationalen Schutz prüfen und ggf. weiterleiten, der in seinem Hoheitsgebiet gestellt wird.

Das Dublin-Verfahren muss immer von dem Mitgliedstaat eingeleitet werden, in dem sich der Antragsteller tatsächlich aufhält. Das war hier Deutschland. Außerdem hätte die Bundespolizei das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von dem Asylgesuch informieren müssen. Stattdessen schob die Bundespolizei den Betroffenen ab und vermeldete lediglich diesen Umstand an das BAMF. Diese Vorgehensweise in Anwendung des Seehofer-Deals sei eindeutig rechtswidrig, so die Kammer des VG nun.

Rechtsanwalt Matthias Lehnert, der den Betroffenen vertreten hat, zeigte sich im Gespräch mit der Organisation Pro Asyl erleichtert: "Das Verwaltungsgericht München sagt klar und deutlich: Verfahrensvorgaben und die Verpflichtung, die Einhaltung der Menschenrechte zu prüfen, können nicht durch Schnellverfahren an der Grenze, zumal durch die Bundespolizei, ersetzt werden. Die Dublin-Verordnung kann nicht einseitig oder durch eine Vereinbarung zwischen zwei Mitgliedstaaten umgangen werden." Das habe die Bundesregierung gemacht und damit "sehenden Auges das Europarecht gebrochen".

Schon im August 2019 hatte das VG München die Bundesrepublik in einem ähnlich gelagerten Fall verpflichtet, einen nach Griechenland abgeschobenen Afghanen zurückzuholen. Diese Linie behielt das Münchner Gericht nun bei.

Der Beschluss im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist nach § 80 AsylG unanfechtbar. Der Griechische Flüchtlingsrat und Pro Asyl haben bereits gefordert, die Entscheidung sofort umzusetzen und den Asylsuchenden zurückzuholen. Über die dazugehörige Klage wird das VG München noch entscheiden.

mit Pressematerial von Pro Asyl

Zitiervorschlag

VG München moniert Rücknahmeabkommen: Deutschland muss abgeschobenen Flüchtling zurückholen . In: Legal Tribune Online, 07.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44916/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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