Verhandlungen zu Kinderrechten gescheitert: Zu wenig für eine Grund­ge­setz­än­de­rung?

von Dr. Markus Sehl

08.06.2021

Zumindest in dieser Legislaturperiode werden Kinderrechte nicht im Grundgesetz verankert. Bei dem zwischen den Bundestagsfraktionen sehr umstrittenen Vorhaben konnte laut Bundesjustizministerin Lambrecht keine Einigung erzielt werden. 

Am Montagabend war es dann soweit, ein wichtiges Projekt der Großen Koalition ist gescheitert. Die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz wird in der aktuellen Legislaturperiode nicht mehr gelingen, das bestätigte Justiz- und Familienministerin Christine Lambrecht. Sie sei zutiefst enttäuscht, erklärte die SPD-Politikerin noch am Montagabend. Zuvor war die abschließende Verhandlungsrunde mit Vertretern von Bundestagsfraktionen ohne Ergebnis geblieben. 

Lambrecht warf der Union und Opposition mangelnden Willen zur Einigung vor. "Dies ist besonders schade, weil wir kurz vor einer Einigung standen und diese Gelegenheit so schnell nicht wiederkommen wird." Die Opposition reicht die Vorwürfe zurück.

Das sagen die Fraktionen, auf die es ankam

"Wir haben von Beginn an gesagt, dass wir für einen schlechten Kompromiss nicht zur Verfügung stehen würden", sagten die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Katja Keul und die Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik, Ekin Deligöz, in einem gemeinsamen Statement am Dienstag. "Wir bedauern das sehr, gleichzeitig können wir keiner Vorlage zustimmen, die keinerlei Fortschritt für die Kinderrechte in Deutschland bedeutet. Der Vorschlag der Koalition enthält mit der Gewährleistung verfassungsmäßiger Rechte und des rechtlichen Gehörs überflüssige Verweise auf bereits geltendes Recht und damit letztlich nur eine Umschreibung, dass sich für die Kinder in Deutschland nichts ändern soll." 

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende* der FDP-Fraktion im Bundestag, Stephan Thomae, kritisierte gegenüber LTO die grundsätzliche Herangehensweise des Projektes. "Von Anfang an leidet dieses Projekt an einem Geburtsfehler. Verhandelt haben den Entwurf zu Beginn nur das BMI mit dem BMJV, also zwei Regierungsministerien. Es musste der Großen Koalition aber klar gewesen sein, dass für eine Grundgesetzänderung auch die FDP und die Grünen mit ihren Vorschlägen von Anfang an hätten einbezogen werden müssen, auf deren Stimme es letztendlich ankommt", so der Jurist Thomae. "In den Verhandlungen haben wir nur noch einen Entwurf vorgefunden, bei dem es keinen echten Spielraum für Änderungen mehr gab. So kann keine Grundgesetzänderung gelingen."

Was hätte eine Grundgesetzänderung gebracht?

Kinderschutzorganisationen fordern den Schritt seit Jahren. Durch die Festschreibung in der Verfassung, so argumentieren die Befürworter, bekämen die Belange von Kindern ein ganz neues Gewicht und müssten immer mitgedacht werden - etwa bei der Gesetzgebung oder ganz praktisch bei der Planung, ob an einem Ort ein Spielplatz oder eine Tankstelle entstehen soll oder ob eine Umgehungsstraße um eine Wohnsiedlung gebaut wird. Mit dem Scheitern des Vorhabens sei eine historische Chance verpasst worden, teilte das "Aktionsbündnis Kinderrechte" in einer Stellungnahme mit. Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock äußerte Kritik und betonte, dass es nach 15 Monaten "Bildungsausfall" endlich eine Politik brauche, die Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt stellt.

Gegen eine Aufnahme von Kinderrechten spricht sich unter anderem der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, aus. Eine explizite Aufnahme sei nicht notwendig, da die Grundrechte im Grundgesetz sowieso allen Menschen zustünden, auch den Kindern. Das Grundgesetz dürfe zudem nicht überfrachtet werden, so Papier.

Union und SPD hatten in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, Kinderrechte explizit ins Grundgesetz aufzunehmen. Der erste Gesetzentwurf des BMJV hat jedoch nach Ansicht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags nicht den Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention genügt. Anfang des Jahres 2021 einigte sich die Regierung dann auf einen neuen Entwurf. Zuletzt gab es Diskussionen in den Gesprächen darüber, ob durch die Aufnahme ins Grundgesetz die Position des Staates zulasten von Familien gestärkt werden könnte, was zuletzt insbesondere die Union umtrieb. Teile der Opposition wollten die Grundgesetzänderung auch mit einem umfassenderen Diskriminierungsverbot verbinden.

Noch nicht aufgeben will offenbar der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Er setzt nach dem vorläufigen Scheitern der Verhandlungen über die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz auf weitere Beratungen mit dem Ziel einer Lösung noch in dieser Legislaturperiode. "Ich habe immer noch die Hoffnung, dass man sich hier verständigen kann", sagte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag am Dienstag vor einer Fraktionssitzung. Daran glauben die Fraktionen der Grünen und der FDP nicht mehr. 

Mit Material der dpa.

* Anm. d. Red.: Korrigiert am 9.6.2021, 8.13 Uhr. 

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Verhandlungen zu Kinderrechten gescheitert: Zu wenig für eine Grundgesetzänderung? . In: Legal Tribune Online, 08.06.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45142/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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