BVerfG zur heißen Phase der Griechenland-Krise: Bun­des­re­gie­rung hat den Bun­destag zu spät infor­miert

26.05.2021

Auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise, als sogar ein Ausstieg des Landes aus dem Eurowährungsraum diskutiert wurde, hat die Bundesregierung den Bundestag nicht rechtzeitig über interne Abstimmungen informiert, moniert das BVerfG.

Die Bundesregierung muss den Bundestag vor wichtigen Weichenstellungen auf europäischer Ebene rechtzeitig informieren. Darauf pocht das Bundesverfassungsgericht (BverfG) in einer am
Mittwoch veröffentlichten Entscheidung. Die Karlsruher Richterinnen und Richter beanstanden darin, dass der Bundestag 2015 auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise vor entscheidenden Treffen mit den anderen EU-Ländern nicht über die deutsche Verhandlungslinie informiert worden war. Die Grünen-Fraktion hatte deshalb das BVerfG angerufen (Beschl. v. 27.04.2021, Az. 2 BvE 4/15).

Das Organstreitverfahren zwischen der Fraktion und der Bundesregierung bezog sich auf die Ereignisse vom 11. bis 13. Juli 2015. Damals rangen in Brüssel erst die Finanzminister und dann die Staats- und Regierungschefs der Eurozone darum, ob das pleitebedrohte Griechenland den Euro-Währungsraum verlassen muss. Am Ende einigte man sich auf Bedingungen für ein drittes Hilfspaket.

Der Bundestag war über die Ergebnisse dieses sogenannten Euro-Gipfels aber erst einmal am 14. und dann noch einmal am 16. Juli unterrichtet worden. Auch ein Dokument, das das Finanzministerium am 10. Juli zur Vorbereitung der Verhandlungen erarbeitet hatte, leitete die Bundesregierung dem Bundestag erst am Nachmittag des 12. Juli zu. Verschiedene Spitzenpolitiker und -beamte der Eurogruppe hatten es dagegen schon am 10. Juli bekommen.

"Klare Verletzung" des Unterrichtungsrechts durch die Bundesregierung

Das BVerfG entschied nun: Über die Vorschläge in diesem Papier, zu denen auch die Option einer Auszeit Griechenlands aus dem Euro gehörte, hätte der Bundestag "spätestens nach Abfassung des Dokuments" am 10. Juli informiert werden müssen. Grundsätzlich sagt es zum Unterrichtungsrecht des deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG): "Eine Mitteilungspflicht besteht, sobald feststeht, dass ein Vorschlag oder eine Initiative der Bundesregierung zum Gegenstand von Verhandlungen auf europäischer Ebene gemacht und damit nach außen kommuniziert werden soll."

Art. 23 GG verpflichtet die Bundesregierung unter anderem dazu, Bundestag und Bundesrat in EU-Fragen "umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten". Bei den Griechenland-Verhandlungen wurde dieses Recht nach den Feststellungen des Zweiten Senats jedoch klar verletzt.

Zur Begründung führten die Karlsruher Richterinnen und Richter aus: Die Gespräche über Finanzhilfen im hohen zweistelligen Milliardenbereich hätten "unmittelbar das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung" des Bundestags betroffen. Ein zeitweiser Ausschluss Griechenlands aus dem Euro wäre "mit ganz erheblichen Auswirkungen" auf die europäische Integration und den Bundeshaushalt verbunden gewesen. In Anbetracht dieser herausragenden Bedeutung und Komplexität der Angelegenheit "war eine besonders intensive Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten."

Kein Geheimhaltungsrecht für bereits auf Englisch verfasstes Dokument

Die Bundesregierung hatte ihr Vorgehen damit verteidigt, dass die Verhandlungsposition vor Beginn der Gespräche noch nicht endgültig festgelegt gewesen sei. Das lässt das BVerfG aber nicht gelten: "Führt die Bundesregierung im Rahmen einer überaus bedeutsamen Angelegenheit neue Optionen und Lösungsvorschläge in die Diskussion mit ihren europäischen Partnern ein, so unterliegt auch dieser nach außen gerichtete Willensentschluss der Unterrichtungspflicht", heißt es dazu in dem Beschluss. Geheim gehalten werden dürften solche Überlegungen nur, solange sie rein regierungsintern erörtert werden.

Unerheblich ist nach Auffassung des BVerfG dabei auch, in welcher Form und auf welche Art und Weise die Bundesregierung einen Vorschlag in europäische Willensbildungsprozesse einbringt. Der Inhalt des Schreibens vom 10. Juli 2015 habe ausreichend die zu diesem Zeitpunkt estehende Verhandlungsposition der Bundesregierung beziehungsweise die aus Sicht der Bundesregierung bestehenden Handlungsoptionen im Außenverhältnis zu Dritten wiedergegeben.

Er sei sogar nach außen hin kommuniziert und den anderen Verhandlungsteilnehmern inhaltlich zur Kenntnis gebracht worden. Dass das Papier zudem in englischer Sprache verfasst war, zeige bereits, dass es zu Abstimmungszwecken mit den Europartnern gedacht gewesen sei. Von rein "volatilem" Inhalt, wie die Bundesregierung die Zurückhaltung des Papiers gegenüber dem Bundestag begründet hatte, könne daher keine Rede sein, so das BVerfG.

ms/dpa/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zur heißen Phase der Griechenland-Krise: Bundesregierung hat den Bundestag zu spät informiert . In: Legal Tribune Online, 26.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45048/ (abgerufen am: 26.03.2024 )

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