Druckversion
Samstag, 23.09.2023, 22:26 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bverfg-2bve415-griechenland-krise-interne-abstimmung-bundesregierung-bundestag-zu-spaet-informiert/
Fenster schließen
Artikel drucken
45048

BVerfG zur heißen Phase der Griechenland-Krise: Bun­des­re­gie­rung hat den Bun­destag zu spät infor­miert

26.05.2021

Der Euro als Währung

(c) weyo - stock.adobe.com

Auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise, als sogar ein Ausstieg des Landes aus dem Eurowährungsraum diskutiert wurde, hat die Bundesregierung den Bundestag nicht rechtzeitig über interne Abstimmungen informiert, moniert das BVerfG.

Anzeige

Die Bundesregierung muss den Bundestag vor wichtigen Weichenstellungen auf europäischer Ebene rechtzeitig informieren. Darauf pocht das Bundesverfassungsgericht (BverfG) in einer am
Mittwoch veröffentlichten Entscheidung. Die Karlsruher Richterinnen und Richter beanstanden darin, dass der Bundestag 2015 auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise vor entscheidenden Treffen mit den anderen EU-Ländern nicht über die deutsche Verhandlungslinie informiert worden war. Die Grünen-Fraktion hatte deshalb das BVerfG angerufen (Beschl. v. 27.04.2021, Az. 2 BvE 4/15).

Das Organstreitverfahren zwischen der Fraktion und der Bundesregierung bezog sich auf die Ereignisse vom 11. bis 13. Juli 2015. Damals rangen in Brüssel erst die Finanzminister und dann die Staats- und Regierungschefs der Eurozone darum, ob das pleitebedrohte Griechenland den Euro-Währungsraum verlassen muss. Am Ende einigte man sich auf Bedingungen für ein drittes Hilfspaket.

Der Bundestag war über die Ergebnisse dieses sogenannten Euro-Gipfels aber erst einmal am 14. und dann noch einmal am 16. Juli unterrichtet worden. Auch ein Dokument, das das Finanzministerium am 10. Juli zur Vorbereitung der Verhandlungen erarbeitet hatte, leitete die Bundesregierung dem Bundestag erst am Nachmittag des 12. Juli zu. Verschiedene Spitzenpolitiker und -beamte der Eurogruppe hatten es dagegen schon am 10. Juli bekommen.

"Klare Verletzung" des Unterrichtungsrechts durch die Bundesregierung

Das BVerfG entschied nun: Über die Vorschläge in diesem Papier, zu denen auch die Option einer Auszeit Griechenlands aus dem Euro gehörte, hätte der Bundestag "spätestens nach Abfassung des Dokuments" am 10. Juli informiert werden müssen. Grundsätzlich sagt es zum Unterrichtungsrecht des deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz (GG): "Eine Mitteilungspflicht besteht, sobald feststeht, dass ein Vorschlag oder eine Initiative der Bundesregierung zum Gegenstand von Verhandlungen auf europäischer Ebene gemacht und damit nach außen kommuniziert werden soll."

Art. 23 GG verpflichtet die Bundesregierung unter anderem dazu, Bundestag und Bundesrat in EU-Fragen "umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten". Bei den Griechenland-Verhandlungen wurde dieses Recht nach den Feststellungen des Zweiten Senats jedoch klar verletzt.

Zur Begründung führten die Karlsruher Richterinnen und Richter aus: Die Gespräche über Finanzhilfen im hohen zweistelligen Milliardenbereich hätten "unmittelbar das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung" des Bundestags betroffen. Ein zeitweiser Ausschluss Griechenlands aus dem Euro wäre "mit ganz erheblichen Auswirkungen" auf die europäische Integration und den Bundeshaushalt verbunden gewesen. In Anbetracht dieser herausragenden Bedeutung und Komplexität der Angelegenheit "war eine besonders intensive Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten."

Kein Geheimhaltungsrecht für bereits auf Englisch verfasstes Dokument

Die Bundesregierung hatte ihr Vorgehen damit verteidigt, dass die Verhandlungsposition vor Beginn der Gespräche noch nicht endgültig festgelegt gewesen sei. Das lässt das BVerfG aber nicht gelten: "Führt die Bundesregierung im Rahmen einer überaus bedeutsamen Angelegenheit neue Optionen und Lösungsvorschläge in die Diskussion mit ihren europäischen Partnern ein, so unterliegt auch dieser nach außen gerichtete Willensentschluss der Unterrichtungspflicht", heißt es dazu in dem Beschluss. Geheim gehalten werden dürften solche Überlegungen nur, solange sie rein regierungsintern erörtert werden.

Unerheblich ist nach Auffassung des BVerfG dabei auch, in welcher Form und auf welche Art und Weise die Bundesregierung einen Vorschlag in europäische Willensbildungsprozesse einbringt. Der Inhalt des Schreibens vom 10. Juli 2015 habe ausreichend die zu diesem Zeitpunkt estehende Verhandlungsposition der Bundesregierung beziehungsweise die aus Sicht der Bundesregierung bestehenden Handlungsoptionen im Außenverhältnis zu Dritten wiedergegeben.

Er sei sogar nach außen hin kommuniziert und den anderen Verhandlungsteilnehmern inhaltlich zur Kenntnis gebracht worden. Dass das Papier zudem in englischer Sprache verfasst war, zeige bereits, dass es zu Abstimmungszwecken mit den Europartnern gedacht gewesen sei. Von rein "volatilem" Inhalt, wie die Bundesregierung die Zurückhaltung des Papiers gegenüber dem Bundestag begründet hatte, könne daher keine Rede sein, so das BVerfG.

ms/dpa/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BVerfG zur heißen Phase der Griechenland-Krise: Bundesregierung hat den Bundestag zu spät informiert . In: Legal Tribune Online, 26.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45048/ (abgerufen am: 23.09.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Staatsrecht und Staatsorganisationsrecht
    • Bundestag
    • Griechenland
    • Informationsfreiheit
    • Organstreitverfahren
  • Gerichte
    • Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
21.09.2023
Korruption

Korrupte Mandatsträger:

Ver­schär­fung der Abge­ord­ne­ten­be­s­te­chung "auf der Ziel­ge­raden"

Seit Monaten verhandeln die Ampelfraktionen über eine Reform der Strafbarkeit der Abgeordnetenbestechung. Jetzt steht man offenbar kurz vor dem Durchbruch. Noch in diesem Jahr sollen Strafverschärfungen in den Bundestag eingebracht werden.

Artikel lesen
20.09.2023
IT-Sicherheit

Nach Schönbohm-Abberufung:

Faeser stellt sich dem Innen­aus­schuss mit Ver­spä­tung

Im Innenausschuss des Bundestages stand Bundesinnenministerin Faeser am Mittwoch Rede und Antwort zur Causa Schönbohm. Aus Sicht der Opposition sind damit aber noch nicht alle Vorwürfe ausgeräumt.

Artikel lesen
23.09.2023
Quizze

LTO-Rechtsquiz einmal anders:

Wie gut kennen Sie diese Serien und Filme mit Jura-Bezug?

Normalerweise fragen wir in unserem Rechtsquiz immer "hartes" Jura ab. Heute zeigen wir aber mal unsere weiche Seite und wollen von Ihnen wissen: Wie gut kennen Sie die folgenden Jura-Filme und Anwaltsserien?

Artikel lesen
22.09.2023
Glücksspiel

Wettbüros und Jugendschutz:

Führe uns nicht in Ver­su­chung

Wettbüros in Rheinland-Pfalz müssen 250 Meter Abstand zu Kinder- und Jugendeinrichtungen halten. Eine Betreiberin klagte dagegen. Ist die Abstandsregelung ein wirksames Mittel zur Suchtprävention? Die Frage entschied nun das OVG Koblenz.

Artikel lesen
21.09.2023
Körperverletzung

BayObLG verweist zurück ans LG München:

Straf­pro­zess gegen Jérôme Boa­teng geht weiter

Das LG München verurteilte den Fußballspieler wegen gewalttätiger Attacken auf seine Ex-Freundin zu einer Geldstrafe. Nun kassierte das BayObLG die Entscheidung in vollem Umfang, das LG habe es sich in einigen Punkten zu leicht gemacht.

Artikel lesen
22.09.2023
Staatsexamen

Tipps fürs Jurastudium:

So lernst Du mit Fällen fürs Examen

Karteikarten und Lehrbücher gehören auch dazu, am wichtigsten aber finden viele Jurastudierende das Lernen mit Fällen. Wo bekommt man für den eigenen Wissensstand geeignete Fälle her? Und was macht man dann mit denen? Hier gibt es Antworten.

Artikel lesen
TopJOBS
Se­k­re­tär / Se­k­re­tärin (m/w/d) in der Rechts­be­ra­tung

Becker Büttner Held , Ber­lin

Ju­ris­tin / Ju­rist (m/w/d) als Re­fe­ren­tin / Re­fe­rent (m/w/d)

Die Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages , Kiel

Rechts­re­fe­ren­da­re (m/w/d)

SammlerUsinger , Ber­lin

Se­nior Di­gi­tal Pro­duct Ma­na­ger - WKO (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Rich­ter/in auf Pro­be (m/w/d)

Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt , Mag­de­burg

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/d)

SammlerUsinger , Ber­lin

Werk­stu­dent für LTO-News­desk (m/w/d)

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Hürth

Geld ver­die­nen als Te­le­fon­an­walt / Te­le­fon­an­wäl­tin

DAHAG Rechtsservices AG , 100% Re­mo­te

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Mehr Effizienz – Arbeiten mit der Textbausteinverwaltung

25.09.2023

beA von der BRAK-Oberfläche bis zur Nutzung in RA-MICRO

25.09.2023

Noerr Practice - Nachhaltigkeit

12.10.2023, Dresden

UN World Conference on Human Rights in Vienna 1993 - Strengthening Imperatives 30 Years After

27.09.2023, Wien

Innovationstag für Anwaltskanzleien Herbst 2023 bei K2L

27.09.2023, Nürnberg

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH