Asylstreit innerhalb der Bundesregierung: Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz vs. Res­sort­prinzip

von Hasso Suliak

15.06.2018

Der Streit innerhalb der Union über den Kurs in der Asylpolitik ist auch ein verfassungsrechtlicher: Darf die Kanzlerin den Innenminister mittels ihrer Richtlinienkompetenz stoppen? Ja, sagen Staatsrechtler und der Deutsche Bundestag.

Seehofer gegen Merkel – der Streit zwischen CSU und CDU um den Umgang mit Asylsuchenden an den deutschen Außengrenzen ist auch ein Streit über verfassungsrechtliche Kompetenzen: Ressortverantwortung des Innenministers vs. Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin. Wer hat bei dem Thema, das mittlerweile zu einer veritablen Regierungskrise geführt hat, am Ende das Sagen? Die CSU steht auf dem Standpunkt, dass beim Thema Asylpolitik die Ressortverantwortung ihres Ministers vorgeht. Die CDU und Verfassungsrechtler winken ab.

63 Punkte umfasst Seehofers Masterplan, mit dem er eine grundsätzlich andere Asylpolitik umsetzen will. Die ursprünglich geplante Präsentation des Planes durch Seehofer am vergangenen Dienstag hatte die Kanzlerin schon einmal aufgrund ihrer divergierenden Vorstellungen verhindert. Ein Punkt betrifft dabei die Frage, ob Deutschland Asylbewerber an der Grenze abweisen darf, wenn der eigentlich zuständige Staat die Übernahme verweigert. Merkel setzt hier auf eine europäische Lösung und - anders als die Schwesterpartei CSU - nicht auf einen deutschen Alleingang. Vielmehr strebt die Kanzlerin auf dem EU-Gipfel am 28. und 29.Juni bi- oder trilaterale Abkommen mit den EU-Staaten an, in denen Flüchtlinge zuerst registriert wurden, die sich dann auf den Weg nach Deutschland machen.

Auf die Ergebnisse des EU-Gipfels zu warten widerstrebt allerdings der bayerischen CSU. Bayerns Ministerpräsident Söder forderte in einem Tweet am Donnerstag Sofort-Vollzug: "Wir müssen endlich unsere Grenzen wirksam sichern. Dazu gehört natürlich die Zurückweisung. Der Asyltourismus muss beendet werden. Deutschland darf nicht endlos auf Europa warten, sondern muss selbstständig handeln".

CSU: "Es geht nicht um Grundzüge der Politik"

CSU-Politiker sind im Streit mit der Kanzlerin offenbar dazu bereit, aufs Ganze zu gehen. Innenminister Seehofer soll ihren Vorstellungen zufolge aufgrund seiner Ressortzuständigkeit für das Thema Asyl befugt sein, notfalls auch alleine zu handeln. Tatsache ist: Sowohl die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin als auch die Ressortzuständigkeit des Bundesministers Seehofer sind verfassungsrechtlich verbürgt (Art. 65 S. 1 und 2 GG). 

Laut CSU-Fraktionsvize Georg Nüßlein sei jedoch die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin dabei gar nicht berührt. "Es geht hier nicht um die Grundzüge der Politik", meinte er im Interview mit dem Deutschlandfunk. Nüßlein zufolge gehe es nicht um die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin, sondern "um einen Punkt von 63 in der Flüchtlingsfrage". Und dieser falle in die Kompetenz von Horst Seehofer als zuständigem Minister. "Es geht nicht um Richtlinienkompetenz, sondern darum, dass etwas passiert", sagte er.

Der Fraktionspartner CDU widerspricht dem. Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte zu LTO: "Ich kann mir gut vorstellen, dass auch exekutive Einzelfragen unserer Flüchtlingspolitik in die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin fallen können. Denn die Flüchtlingspolitik als Gesamtkonzept ist ein Kernthema unserer Politik. Und konkret die Handhabung, z. B. von Zurückweisungen an der Grenze, berührt ja durchaus das Verhältnis zu unseren Nachbarn und mithin das Gesamtfeld der Europapolitik."

"Ressortkompetenz von Horst Seehofer nicht gegeben"

Fakt ist auch: Richtlinienkompetenz und Ressortzuständigkeit stehen in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das in der Praxis politisch aufgelöst wird und zu dem keine Rechtsprechung existiert. Verfassungsexperten sehen allerdings die Bundeskanzlerin klar am längeren Hebel sitzen: "Sie besitzt eine weitgehende Definitionsmacht darüber, wie sie ihren politischen Führungsanspruch versteht", so die Trierer Staatsrechtlerin Prof. Dr. Antje von Ungern-Sternberg im Gespräch mit LTO. Die Definitionsmacht Merkels folge aus ihrer verfassungsrechtlichen Stellung, wonach sie dem Bundestag gegenüber die Gesamtverantwortung für die Bundesregierung trägt (Art. 63, 67, 68 GG) und die Minister auswählt (Art. 64 GG). Sie trage daher auch das Risiko, die Regierungsmehrheit und damit ihr Amt zu verlieren.

Im konkreten Streit um die Grenzöffnung ist für die Hochschullehrerin "augenfällig, dass die Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht nur nach dem Verständnis der Bundeskanzlerin, sondern nach Ansicht aller Regierungsparteien - siehe Koalitionsverhandlungen und Koalitionsvertrag - eine zentrale Herausforderung der Bundesregierung darstellt und damit vom politischen Führungsanspruch der Bundeskanzlerin umfasst ist". Eine formale Betrachtung, wonach der Bundesinnenminister für Weisungen an die Bundespolizei zur Wiederaufnahmen von Grenzkontrollen zuständig sei oder das quantitative Vorbringen der CSU, es gehe bei der Grenzschließung ja lediglich um einen einzigen Punkt aus einem Gesamtpaket von vielen Vorschlägen Seehofers, könnten "in dieser Situation daher auch keine Ressortkompetenz Seehofers begründen", so Ungern-Sternberg.

Ähnlich sieht es auch der renommierte Staatsrechtler, Prof. Ulrich Battis: "Es geht hier um eine Frage, die die Bevölkerung und die Politik seit Herbst 2015 beherrscht. Natürlich ist eine derart grundsätzliche Angelegenheit von der Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin umfasst", so Battis zu LTO. Und auch Migrationsrechtler Constantin Hruschka, der einen Alleingang Deutschlands in der maßgeblichen Asylfrage ohnhin für europarechtswidrig hält, sagte LTO: "Die Richtlinienkompetenz ist schon deswegen gegeben, weil es von der CSU zu einer Grundfrage der Ausrichtung gemacht wird." In solchen Grundfragen könnten dem Asylexperten zufolge "auch Einzelpunkte von der Richtlinienkompetenz umfasst sein". Zudem betreffe die Frage mehrere Ministerien und nicht nur das BMI, da es sich auch um eine Frage der Grundausrichtung in europäischen Asylangelegenheiten handele.  

Fall für das BVerfG?

Schließlich sieht auch eine wissenschaftliche Ausarbeitung des Deutschen Bundestages die Bundeskanzlerin im Vorteil: So könne "bei grundsätzlichen oder besonders bedeutsamen Themen" die Richtlinienkompetenz auch eine Einzelweisung des Bundeskanzlers gegenüber einem Minister umfassen. Bei einem Streit darüber, ob eine Einzelweisung des Bundeskanzlers noch von dessen Richtlinienkompetenz gedeckt ist oder bereits einen Eingriff in die eigenverantwortliche Leitung des Geschäftsbereichs darstellt und dadurch das Ressortprinzip verletzt wird, könnte zwar im Wege des Organstreitverfahrens das Bundesverfassungsgericht angerufen werden (Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 GG).

Hierbei dürfte es sich nach Auffassung des Bundestages aber "nur um eine theoretische Möglichkeit handeln, hat doch der Bundeskanzler jederzeit die Möglichkeit, einen Bundesminister gemäß Artikel 64 Abs. 1 GG dem Bundespräsidenten zur Entlassung vorzuschlagen." Einem solchen Vorschlag des Bundeskanzlers habe der Bundespräsident dann zu entsprechen.

Zitiervorschlag

Hasso Suliak, Asylstreit innerhalb der Bundesregierung: Richtlinienkompetenz vs. Ressortprinzip . In: Legal Tribune Online, 15.06.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29183/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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