Asyl für Edward Snowden: Rechtlich möglich, moralisch alternativlos

2/2: Auslieferungsgesuch sticht Asylrecht und Aufenthaltserlaubnis

 

Damit allein wäre Snowden allerdings noch nicht gedient, denn zwischen Deutschland und den USA besteht ein Auslieferungsabkommen, "und das Auslieferungsersuchen der USA sticht sowohl eine Genehmigung nach dem Aufenthaltsgesetz als auch einen bewilligten Asylantrag", so der auf Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht spezialisierte Frankfurter Anwalt Dr. Reinhard Marx.

Zwar gilt das Abkommen nicht in Fällen, in denen dem Betroffenen in den USA die Todesstrafe droht, und auch die Verfolgung wegen einer politischen Straftat kann einer Auslieferung entgegenstehen. "Aber dann würden die USA eben zusichern, die Todesstrafe nicht zu verhängen, und sicherlich würden sie in Snowdens Verhalten auch etwas finden, was keine rein politische Straftat darstellt", meint Marx.

"Über seine Auslieferung hätte dann in Deutschland das örtlich zuständige Oberlandesgericht  zu entscheiden, und wäre dabei durch etwaig gewährtes Asyl oder eine Aufenthaltserlaubnis nicht gebunden", erläutert der Frankfurter Rechtsanwalt weiter. Allerdings müsste eine andere Voraussetzung vorliegen, damit ein deutsches Gericht eine Auslieferung verfügen könnte: Gemäß dem Erfordernis der beidseitigen Strafbarkeit müsste Snowdens Verhalten sowohl nach deutschem als auch nach amerikanischem Recht eine Straftat darstellen.

Snowdens Whistleblowing  auch in Deutschland strafbar?

Ob Snowdens Whistleblowing in diesem Sinne doppelt strafbar ist, ist umstritten. So meldet Rechtsanwalt Kai Peters etwa für die deutsche Strafbarkeit Zweifel an, und der Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsvergleichung und internationales Strafrecht Kai Ambos tut selbiges sogar für die amerikanische Strafbarkeit, jedenfalls nach dem Tatbestand der Spionage. Doch selbst, wenn man unterstellt, dass die beiderseitige Strafbarkeit und folgerichtig der Auslieferungsanspruch bestünde, wäre es Deutschland gleichwohl möglich, Snowden vor dem Zugriff der Amerikaner zu schützen.

Wie das? Ganz einfach, indem das Bundesministerium der Justiz sich über das Auslieferungsabkommen hinwegsetzen würde. Was sich zunächst wie ein frivoler Gedanke anhört, wird weniger bestürzend, wenn man in Rechnung stellt, dass der amerikanische Geheimdienst deutsche Gesetze durch seine Abhörtätigkeiten tagtäglich überschreitet. Zwar rechtfertigt der eine Rechtsbruch natürlich nicht per se den anderen, doch sind die Erkenntnisse, welche gleich mehrere Staaten und mit ihnen Millionen von Bürgern Edward Snowden verdanken, derart einzigartig, dass sie seinen Schutz gebieten, seiner Auslieferung jedenfalls in moralischem Sinne entgegenstehen.

Möglich wäre eine solche Entscheidung des Justizministeriums durchaus: "Dem Bundesjustizministerium, konkret dem  Bundesamt für Justiz steht es frei, sich im Einzelfall über eine gerichtliche Auslieferungsentscheidung hinwegzusetzen", so Rechtsanwalt Marx. Und auch Bernd Mesovic von PRO ASYL bestätigt: "Wir haben in der Vergangenheit Vorgänge betreut, in denen die Auslieferung etwa eines türkischen Staatsbürgers von einem deutschen OLG bestätigt und dann vom Justizministerium dennoch gekippt wurde."

Am Ende eine politische Entscheidung

Beide Experten sind sich einig: Unüberwindbare juristische Hindernisse, die einer Aufnahme Snowdens in der Bundesrepublik entgegenstünden, gibt es nicht. Vom Versuch einer Einreise raten sie dem Ex-Geheimdienstler dennoch ab. "Die deutsche Politik müsste ihm schon im Vorfeld ihre klare und unbedingte Unterstützung zusichern", meint Marx, "andernfalls ist die Sache viel zu gefährlich." Und Mesovic fügt hinzu: "Abseits der rechtlichen und politischen Dimension gibt es auch noch eine faktische. Wie weit diese reicht, weiß niemand besser als Snowden selbst. Weitaus sicherer wäre er meines Erachtens in einem südamerikanischen Land."

Das sind bedenkenswerte Gesichtspunkte. Allerdings keine, über die Snowden sich den Kopf zerbrechen müsste, denn das Signal aus Deutschland und nahezu allen anderen Ländern, in denen er Asyl beantragt hat, ist eindeutig: Deine Informationen nehmen wir zwar gerne entgegen, aber wenn es hart auf hart kommt, bist du komplett auf dich allein gestellt.

Sich auf den formell möglicherweise bestehenden Auslieferungsanspruch zurückzuziehen, ist Ausdruck eines erschreckenden Mangels an politischem Mut.  Und eine denkbar schlechte Grundlage, um Snowden als Zeugen in einem etwaigen Untersuchungsausschuss oder Ermittlungsverfahren zu gewinnen. Schlimmer noch: es sendet eine verheerende Botschaft an jeden potentiellen Whistleblower der Zukunft. Mit gutem Grund wird es so schnell keinen zweiten Edward Snowden geben.

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Asyl für Edward Snowden: Rechtlich möglich, moralisch alternativlos . In: Legal Tribune Online, 30.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9924/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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