Schadensersatz für Filesharing: Was geht, was geht, ich sag’s Dir ganz konkret-fiktiv

von Jörg Dombrowski, LL.M. (Medienrecht)

29.11.2011

Das OLG Köln erwägt, Schadensersatz für illegales Filesharing in Anlehnung an den GEMA-Tarif für iTunes, musicload und Co. zu ermitteln. Die Urheber müssten dann konkrete Zugriffszahlen auf den Rechnern des Schädigers nennen. Von mehreren suboptimalen Möglichkeiten ist das die schlechteste, meint Jörg Dombrowski: Eine konkret-fiktive Lizenz müsste erst noch erfunden werden.

Urheber stehen, wenn ihre Werke illegal verwertet, also zum Beispiel über illegale Tauschbörsen herunter geladen werden, vor dem Problem, dass sie den entstandenen Schaden nicht konkret beziffern können. Das Urheberrechtsgesetz (UrhG) erlaubt es daher in solchen Fällen, von dem Schädiger die Lizenz zu verlangen, welche für die konkrete Nutzung üblich und angemessen ist. In der Theorie bedeutet das, dass der Schädiger grundsätzlich das zahlen muss, was er für den legalen Erwerb einer Lizenz hätte ausgeben müssen.

Doch hilft auch diese so genannte Lizenzanalogie bei illegalem Filesharing nicht ohne weiteres. Ein Rückgriff auf marktübliche Lizenzen ist nicht möglich, weil es ein legales Pendant zu den illegalen Downloadangeboten nicht gibt.

Wie der "Wert" dieser Filesharing-Lizenz zu ermitteln ist, ist noch immer nicht geklärt. Die Lizenz erlaubt ja nicht nur einen einmaligen Download. Mit ihr kann man vielmehr ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder eine urheberrechtliche geschützte Leistung weltweit und kostenfrei Dritten zugänglich machen. In Ermangelung von Alternativen orientieren Rechtsprechung und Literatur sich daher an legalen Geschäftsmodellen, die dem Filesharing zumindest ähnlich sind.

OLG Köln: 0,1278 Euro pro Zugriff auf einen Song

So auch das Oberlandesgericht (OLG) Köln: Laut einem aktuellen Hinweisbeschluss wollen die Richter des 6. Senats auf den GEMA-Tarif "VR-OD 5" zurückgreifen (Hinweisbeschl. v. 30.09.2011, Az. 6 U 67/11). 

Der Tarif "VR-OD 5" der Verwertungsgesellschaft sieht die Nutzung einzelner urheberrechtlich geschützter Titel zum Download vor.

Er komme den Geschehnissen in einer Tauschbörse am nächsten, so die Kölner Richter. Schließlich solle der Schaden abgegolten werden, der dem Rechteinhaber dadurch entstanden ist, dass seine geschützten Werke einer unbekannten Zahl von Personen zum Download zur Verfügung gestellt wurden.

Legt man diesen Tarif zugrunde, beliefe die Vergütung sich bei Titeln mit einer Spieldauer von bis zu 5 Minuten auf 0,1278 Euro pro Zugriff auf das einzelne Werk. Es ist nur konsequent, dass der Senat also von dem klagenden Rechtsinhaber fordert: Er soll Zugriffszahlen auf den Rechner eines Schädigers darlegen.

Fiktiv ad absurdum: Urheber soll konkrete Zugriffe darlegen

Obwohl die Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie den Urheber eines Werks von der Last befreien soll, einen konkret entstandenen Schaden darzulegen und zu beweisen, verlangt das OLG Köln exakt diesen Nachweis und die Darlegung, wenn die Richter mit "VR-OD 5" einen Tarif zugrunde legen wollen, der Lizenzen pro Zugriff ermittelt.

Die Gefahr, die Lizenzanalogie ad absurdum zu führen, wenn dem Verletzten auferlegt wird, zur Anzahl der Download-Zugriffe vorzutragen, liegt auf der Hand. Werk- und rechnerbezogene Downloadzahlen sind in Filesharing-Netzwerken nicht zu ermitteln. 

Dies ist wohl auch dem Kölner Senat bewusst, der in seinem Beschluss einschränkt: Sollten konkrete Zahlen nicht ermittelbar sein, müsse zu den "üblichen" Downloadaktivitäten bei vergleichbaren Titeln innerhalb des Filesharing-Netzwerkes vorgetragen werden.

Leichter wird die Aufgabe für den betroffenen Rechtsinhaber dadurch nicht. Auch Zahlen dieser Art dürften einem anonymen Filesharing-Netzwerk wenn überhaupt, dann nur mit kaum zumutbarem Aufwand zu entlocken sein.

Pauschale Vergütung als das kleinere Übel

Eine alternative Berechnungsmethode bietet der GEMA-Tarif "VR W I". Er sieht die Zahlung einer Mindestlizenz in Höhe von 100 Euro für bis zu 10.000 Abrufe vor.

Die Pauschalierung der Anzahl der Abrufe würde die Darlegungslast für den Urheber zumindest abfedern. Dennoch überzeugt der Tarif die Kölner Richter nicht. Er betreffe lediglich das Streaming von Hintergrundmusik im Bereich Werbung, begründete der Senat seine jedenfalls vorläufige Ablehnung.

Würde man ihm beim Filesharing zugrunde legen, sähe der Tarif die fiktive Vergütung einer unterstellten Nutzung von bis zu 10.000 Zugriffen vor. Dieser Schaden könnte dann, so der Senat, theoretisch gegenüber jedem dieser 10.000 "Nutzer" geltend gemacht werden. Die unterstellte Nutzerzahl würde dann aber 10.000 Mal zur Berechnung des Schadens herangezogen. Nach Ansicht des Senats könnte es so – wenn auch theoretisch – zum mehrfachen Ersatz desselben Schadens kommen.

Fiktive Lizenz ersetzt die kommerzielle Auswertung

Diese Argumentation hat eine Schwachstelle: Weder die Anzahl noch die Identität der Nutzer eines Filesharing-Netzwerks bilden die Realität korrekt ab.

Denkbar ist, dass neben dem Filesharing die kommerzielle Auswertung eines urheberrechtlich geschützten Werkes gänzlich ausscheidet. Umsätze werden in einem Filesharing-Netzwerk nicht erzielt, eine finanzielle Beteiligung  des Urhebers scheidet aus. Aus seiner Sicht stellt sich eine Filesharing-Lizenz daher faktisch als Buy-out-Lizenz dar. Eine solche aber ist für 100 Euro nicht zu haben, das liegt auf der Hand. Auch die Gefahr einer Überkompensation ist damit praktisch ausgeschlossen.

Das Problem, den Schaden zu ermitteln, der durch Filesharing entsteht, ist systemimmanent. Keiner der genannten Tarife, die für die legale Nutzung gelten, kann die tatsächlichen Gegebenheiten innerhalb eines illegalen Netzwerkes adäquat erfassen.

Die ihm anhaftenden Schwächen ausgeblendet, wird der GEMA-Tarif "VR W I", der zumindest eine pauschale Lizenzgebühr für "bis zu 10.000 Zugriffe" zubilligt, der besonderen Konstellation illegaler Filesharing-Netzwerke aber noch am ehesten gerecht. Er vermeidet es auch, dem Urheber eine nicht nur der Lizenzanalogie fremde, sondern für ihn auch kaum erfüllbare Darlegungslast aufzuerlegen. Das Streben des Senats nach einem billigen Ergebnis könnte, den prozessualen Mehraufwand berücksichtigt, jedenfalls recht teuer werden.

Der Autor Jörg Dombrowski, LL.M. (Medienrecht) ist Rechtsanwalt bei Nümann+Lang Rechtsanwälte am Standort Frankfurt a.M.. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt im Urheber- und Medienrecht.

 

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Zitiervorschlag

Jörg Dombrowski, LL.M. (Medienrecht), Schadensersatz für Filesharing: Was geht, was geht, ich sag’s Dir ganz konkret-fiktiv . In: Legal Tribune Online, 29.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4923/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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