Markt für Prozessfinanzierung boomt: Gerichts­ver­fahren werden zum Inves­ti­ti­ons­ob­jekt

Der Markt für Prozessfinanzierungen ist in Bewegung. In Erwartung hoher Renditen investieren seit 2015 vor allem ausländische Anbieter in den deutschen Markt. Dabei rücken Sammelklagen immer mehr in den Vordergrund, meint Robert Peres.

Der Markt für Prozessfinanzierungen ist in Bewegung. In Erwartung hoher Renditen investieren seit 2015 vor allem ausländische Anbieter in den deutschen Markt. Dabei rücken Sammelklagen immer mehr in den Vordergrund, meint Robert Peres.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ruft derzeit VW-Aktionäre dazu auf, sich einer Klage gegen den Volkswagenkonzern anzuschließen, und zwar "ohne Kostenrisiko und auf Augenhöhe". So sollen die Kursverluste der Kleinanleger aus dem Verfall der VW-Aktie nach Bekanntwerden des Dieselskandals ausgeglichen werden. Ähnlich wie die Forderungen der Fahrzeugbesitzer verjähren diese Ansprüche Ende 2018. Wie aber funktioniert das mit dem Versprechen  "ohne Kostenrisiko"?

Die Antwort heißt: Prozessfinanzierung. Die Prozesskosten trägt Burford Capital, eine US-Investmentfirma, die sich auf die Finanzierung von Gerichtsverfahren spezialisiert hat. Burford kam 2015 zusammen mit der US-Kanzlei Hausfeld und 30 Millionen Euro im Gepäck nach Deutschland, um hier beim Dieselskandal mitzumischen.

Dazu Burford-Manager Craig Arnott im Deutschlandfunk: "Deutschland soll ein ganz wichtiger Teil unseres Geschäfts werden. Deutschland ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt. Deutschland hat einen großen Rechtsmarkt. Und deshalb haben wir gesagt: Wir müssen in Deutschland investieren." Das Geld kommt von den Aktionären, das Unternehmen ist an der Londoner Börse notiert. Den Anlegerfall gegen VW führt die im Kapitalanlagerecht renommierte Rechtsanwaltsaktiengesellschaft Nieding & Barth. Deren Vorstand, Rechtsanwalt Klaus Nieding, ist praktischerweise auch Vizepräsident des DSW.

Hohe Prozesskosten in Deutschland

Die in Deutschland sehr hohen Kosten von Gerichtsverfahren haben in der Vergangenheit viele Anspruchsinhaber davon abgehalten, ihre Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. So liegen bei einem Streitwert von 3.000 Euro die Gerichtskosten plus Vergütung für beide Anwälte in zwei Instanzen zusammengerechnet bei ca. 3.500 Euro. Dieses Risiko geht nicht niemand gerne ein, denn in Deutschland gilt der Grundsatz: Wer verliert, zahlt.

Die Streitwerte in den verschiedenen Volkswagen-Verfahren sind sehr hoch, im am Montag beginnenden Anlegerverfahren in Braunschweig liegt die Forderungssumme derzeit bei neun Milliarden Euro. Kämen die DSW-Kläger noch dazu, könnte sich das leicht verdoppeln. Einen Teil der Prozesskosten übernimmt nun also Burford, deren Beteiligung im Erfolgsfall allerdings bei 30 Prozent liegt. Dabei sehen sich Prozessfinanzierer die Gewinnaussichten sehr genau an. Benötigt wird eine deutlich überwiegende Erfolgsaussicht, also mindestens 60 bis 70 Prozent. "Eine Erfolgschance von 50 zu 50 reicht nicht aus, denn dann könnten wir auch ins Casino gehen”, meinte einst Thomas Kohlmeier, vormals Vorstand bei der deutschen Legial AG, einem Prozessfinanzierer der ERGO Group.

Eines der ersten Unternehmen, die Ende der Neunzigerjahre Gerichtsverfahren in Deutschland finanziert haben, war die Foris AG. Damals lag der Mindeststreitwert bei 100.000 Euro und die Erfolgsbeteiligungsquote bei 50 Prozent. Mittlerweile hat sich der Markt für Prozessfinanzierung in Deutschland stark erweitert, eine Reihe von neuen Unternehmen ist dazu gekommen. Einige davon sind Töchter von Versicherern, wie zum Beispiel die Roland ProzessFinanz AG. Dabei variieren die  Beteiligungsmodelle und richten sich nach dem konkreten Fall. Überwiegend werden Fälle aus den Rechtsgebieten Wirtschafts-, Kartell-, Wettbewerbs- und Insolvenzrecht finanziert.

Neueinsteiger aus Großbritannien   

Neu auf dem Markt hierzulande ist Vannin Capital aus Großbritannien, die seit Juni dieses Jahres ein Büro in Bonn eröffnet haben, um den drohenden Risiken des Brexit zu begegnen. Auch Vannin wird bald an die Londoner Börse (AIM) gehen, um Kapital für ihre Vorhaben einzusammeln.  Der Finanzierungsspezialist holte sich Theo Paeffgen, ehemals CEO der Foris AG, als Regional Managing Director für Kontinentaleuropa ins Haus. Paeffgen, selbst Rechtsanwalt und ausgewiesener Experte für Prozessfinanzierungen, hält Deutschland für einen "Markt mit enormem Potenzial". Zur Marktentwicklung bemerkt Paeffgen gegen LTO: "Erst die Bereitstellung von 30 Millionen EUR durch Burford Capital für den Start der amerikanischen Kanzlei Hausfeld in 2016 hat die deutsche Landschaft der Prozessfinanzierer aufgerüttelt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sich Prozessfinanzierung in Deutschland ganz überwiegend auf die Finanzierung der Kosten nach der deutschen Gebührenordnung beschränkt."

Ein Grund für den boomenden Markt ist sicherlich die Erwartung, dass kollektive Klagen in der Zukunft sowohl bei den Gerichten nach den bestehenden Regeln der Zivilprozessordnung besser durchsetzbar sein als auch vom Gesetzgeber explizit ermöglicht werden - eventuell auch auf Druck der EU.

Die unmittelbar bevorstehende Einführung der Musterfeststellungsklage am 1. November 2018 bringt hier allerdings noch nicht den Durchbruch. Diese Klagemöglichkeit ist auf ausgesuchte Verbände beschränkt und führt lediglich zu einem Feststellungsurteil, nicht zu einer Schadensersatz- oder Ausgleichszahlung. Das widerspricht per Definition dem Geschäftsmodell der Prozessfinanzierer. "Die Musterfeststellungsklage als neue Verbraucherschutzklage stärkt die Verbraucherverbände und damit die Möglichkeiten der Verbraucher, zu ihrem Recht zu kommen. Nach meiner Einschätzung wird diese Durchsetzung ganz überwiegend ohne den Einsatz von Prozessfinanzierung möglich werden," meint dazu Paeffgen. Einschränkend ergänzt er: " Gelingt die Professionalisierung dieser Aufgabe durch die gemeinnützigen Verbände nicht, wird dem Gesetzgeber wohl keine andere Wahl gelassen, als kommerzielle Möglichkeiten des kollektiven Rechtschutzes zu ermöglichen."

Ein anderer Grund für den steigenden Mittelzufluss in gerichtliche Auseinandersetzungen ist das wachsende Kapital von Investmentunternehmen und Fonds, speziell im Ausland. Der Zinsmarkt gibt nichts mehr her und so suchen viele Kapitalsammelstellen neue Betätigungsfelder. Der deutsche Rechtsmarkt bietet dafür hervorragende Optionen, da hier bis 2016 die Finanzierung von Prozessen nicht im großen Stil betrieben wurde.  Erst der Abgasskandal hat diese Tür geöffnet. Das andere wichtige Feld für Prozessfinanzierungen ist das Kartellrecht. "Durch die gesteigerte Verfügbarkeit von Finanzmitteln erwarte ich in dem Bereich der Kartellschadensfälle deutliche Steigerungen", unterstreicht Theo Paeffgen.

Nun doch eine "Klageindustrie"?

Bekommen Deutschland also nun doch die vielbeschworene Klageindustrie? In den Beratungen und Debatten zur Einführung der Musterfeststellungsklage wurde stets betont, dass kollektiver Rechtsschutz kein Geschäftsmodell für Rechtsanwälte werden dürfe und die Finanzierung von Klagen kein Renditeobjekt sein darf. Diese Sprachregelung haben die Rechtspolitiker der Regierungskoalition ein zu eins von Verbandsvertretern der Industrie übernommen, die seit Jahren vor den ominösen "amerikanischen Verhältnissen" warnen.

Dabei sind viele Rechtsprofessoren und Praktiker der Ansicht, dass funktionierender kollektiver Rechtsschutz ohne entsprechende finanzielle Ausstattung der Kläger nicht möglich sei. Volkswagen hat bisher dreistellige Millionenbeträge für die anwaltliche Vertretung alleine hierzulande bereitgestellt. Das Unternehmen beschäftigt dabei in- und ausländische Top-Kanzleien und hat eine der größten Rechtsabteilungen Deutschlands. Es ist schwer zu verstehen, dass die Klägerseite sich nicht mit ebenbürtigen Rechtsanwälten ausstatten darf.

Dazu kommen die enormen Gerichtsgebühren, die bei Sammelklagen sechsstellige Summen erreichen. Ohne entsprechende Ressourcen stehen die Geschädigten einfach nicht auf Augenhöhe. Nur eine Prozessfinanzierung durch Dritte kann diesen Nachteil ausgleichen. Auch die Klageseite, ob Anleger oder Verbraucher, in die Lage zu versetzen, ihre Rechte durchzusetzen, ist ein Gebot der Fairness. 

Der Autor Robert Peres ist Rechtsanwalt in Wiesbaden. Er ist zudem Vorstandsvorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, welche die Situation von Minderheitsaktionären verbessern will. Dazu gehören aus ihrer Sicht auch wirkungsvolle Instrumente kollektiven Rechtsschutzes.

Zitiervorschlag

Markt für Prozessfinanzierung boomt: Gerichtsverfahren werden zum Investitionsobjekt . In: Legal Tribune Online, 10.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30835/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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