Zwei Jahre Plagiatsaffären: O-Töne und Ori­gi­nelles vor Gericht

von Prof. Dr. Roland Schimmel

16.02.2013

2/2 Fall zwei: Eine Doktorarbeit über Kooperationsmodelle globaler Ordnungspolitik

Der Kandidat hatte vermutlich Gründe, vor Gericht zu ziehen. An der Wiederherstellung seiner Glaubwürdigkeit musste ihm gelegen sein. Er ist Europaabgeordneter und will vielleicht eines Tages wieder gewählt oder auch nur nominiert werden.

Daher erklärte er, er habe bei seinem Studium in Oxford die Harvard-Zitierweise kennen-gelernt (oder war es umgekehrt?) und seiner Arbeit zugrunde gelegt. Jedenfalls teilweise. Das VG Köln wollte sich dem nicht anschließen (Urt. v. 22.03.2012, Az. 6 K 6097/11):

(Rn. 41): Bei Erstellung und Einreichung seiner Dissertation hat der Kläger getäuscht, weil er wahrheitswidrig bei Zulassung zur Promotion eidesstattlich erklärt hat, dass er die Stellen der Arbeit - einschl. Tabellen, Karten, Abbildungen usw. -, die anderen Werken dem Wortlaut oder Sinn nach entnommen sind, kenntlich gemacht hat. Durch diese falsche Erklärung sind die für die Entscheidung zuständigen Gutachter sowie die Prüfungskommission in die Irre geführt wurden.

(Rn. 42): Der Kläger hat über die Eigenständigkeit seiner wissenschaftlichen Leistung getäuscht, indem er die dem Wortlaut nach entnommenen Stellen seiner Arbeit entgegen der abgegebenen Versicherung nicht hinreichend kenntlich gemacht und diese so als eigene Leistung ausgegeben hat.

Auch hier werden die Forscher der kommenden Jahre in dem Urteil ein paar interessante Entdeckungen machen können.

Fall drei: Eine Doktorarbeit über amerikanische Geschichte

Im dritten Fall sind die Plagiatsvorwürfe fast so alt wie die Doktorarbeit: über 20 Jahre. Die Verfasserin ist heute Prof. Dr. und war lange als Beraterin für eine politische Partei tätig, deren Mandatsträger wiederum häufig durchs Abschreiben bei Doktorarbeiten auffallen.

Gerichtlich vorzugehen dürfte für sie alternativlos gewesen sein, hatte sie doch seit Jahren zivilrechtlich gegen Plagiatsvorwürfe in der Presse prozessiert, wenn auch recht erfolglos. Zudem haben die beiden Universitäten, die ihr einen Honorarprofessorentitel verliehen hatten, angekündigt, diesen im Fall der Aberkennung des Doktorgrads ebenfalls zu widerrufen. Für eine Politikberaterin sieht ein solcher downgrade vermutlich verheerend aus.

Zur Vertretung im Verfahren hat sie eine internationale Wirtschaftskanzlei beauftragt. Drei - promovierte - Anwälte arbeiten an der Sache, zwei davon selbst Professoren. Ein Teil der Anlagen zu den Schriftsätzen ist online verfügbar und lehrreich zu lesen.

Das VG Köln blieb mit Urteil vom 6. Dezember (Az. 6 K 2684/12) unbeeindruckt und stellte fest (Rn. 22): Die Klägerin hat bei Erstellung der Dissertation eine Täuschung begangen. Wahrheitswidrig hat sie in ihrem Gesuch auf Zulassung zur Doktorprüfung an Eides Statt versichert, die Stellen der Arbeit […], die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen worden seien, in jedem einzelnen Fall als Entlehnung kenntlich gemacht zu haben. […]

Offene Plagiatsverfahren mit originellen Argumenten

(Rn 23): Aufgrund der quantitativ und qualitativ massiven Täuschung sind die für die Entscheidung zuständigen Gutachter sowie die Prüfungskommission über die urheberrechtliche Zuordnung der fraglichen Textpassagen in die Irre geführt worden. (Rn. 24): Die Klä-gerin hat das - jedenfalls - billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich gehandelt.

Die Kölner Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Die Beraterin hält das Ergebnis für verfassungswidrig und hat Rechtsmittel eingelegt. Vielleicht gelingt es den Anwälten ja in ihrem Fall, das Steuer noch herumzureißen.

Auch der Rechtsstreit einer anderen Europaabgeordneten ist noch nicht entschieden. Das VG Karlsruhe (Az. 7 K 3335/11) wird voraussichtlich 2014 Gelegenheit haben, zu klären, ob die Universität Heidelberg ihr den Doktorgrad schon in Kenntnis etlicher Parallelen zu fremden Texten verliehen hat und daher nicht mehr entziehen kann. So lautet der recht originelle Rechtsstandpunkt der Klägerin.

Das VG Halle wird gleichfalls nächstes Jahr über einen Konflikt entscheiden müssen, dem ungekennzeichnete Übernahmen fremder Texte in einer sozialwissenschaftlichen Dissertation zugrunde liegen. Es bleibt also spannend.

Wie stehen die Chancen?

Wer nun meint, die Argumente der Plagiatoren seien schwach, möge Vorsicht walten lassen. Alle Abschreiber waren anwaltlich vertreten. Alle diese Argumente haben Anwälte – entgeltlich – in den Verfahren vorgetragen. Ohne zu erröten, wie man vermuten darf. Selbstverständlich nicht aus innerer Überzeugung, sondern nur vollständigkeitshalber. Um kein Argument auszulassen. Zwecks Meidung späterer Regressansprüche ihrer Mandanten. Klar.

In der Sache selbst müssen die Universitäten sich nicht allzu viele Sorgen machen. Nachdem dieser Tage Ex-Bildungsministerin Schavan ihre Anwälte verkünden ließ, sie werde verwaltungsgerichtlich für die Wissenschaft und um ihren Doktorgrad kämpfen, stellten die Experten des Prüfungsrechts lakonisch fest, es sei bislang keine Gerichtsentscheidung bekannt, welche die Aberkennung des Doktorgrads wieder aufgehoben habe.

Eigentlich sollte man sich über das gerichtliche Vorgehen der Ex-Doktor/innen nicht ärgern. Schließlich bezahlen sie selbst dafür, die hier zitierten gerichtlichen Belehrungen schriftlich zu erhalten. Und letztlich lohnt sich ein solcher Rechtsstreit vermutlich, selbst wenn man unterliegt. In meiner bayerischen Heimat sagt man über Anwälte, Politiker und Politikberater, die mit allem durch- und immer wieder auf die Beine kommen: A Hund isser scho!

Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Bürgerliches Recht an der FH Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich mit Fragen juristischer Didaktik und hat mehrere Beiträge zum Thema Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht.

Leseempfehlung: Wer sich auf die Suche nach cleveren Ausreden für plagiierte Prüfungsarbeiten begeben möchte, möge nachlesen bei VGH Bayern, Beschl. v. 19.12.2007, Az. 12 CS 07.2895; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2008, Az. 9 S 494/08 und VG Berlin, Urt. v. 25.06.2009, Az. 3 A 319/05. Die beiden erstgenannten Urteile betreffen übrigens Arbeiten von Juristen.

Zitiervorschlag

Roland Schimmel, Zwei Jahre Plagiatsaffären: O-Töne und Originelles vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 16.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8162/ (abgerufen am: 22.04.2024 )

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