Vor zwei Jahren begann die Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg. Lange vor Ex-Bundesbildungsministerin Schavan traf der Vorwurf zu laxen Umgangs mit dem geistigen Eigentum anderer seither ein paar Dutzend weitere Promovierte. Politiker und Wissenschaftler, prominent und weniger prominent. Zeit für einen vorläufigen Rück-, einen kurzen Über- und einen kleinen Ausblick von Roland Schimmel.
Der Geschehensablauf ist beinah einheitlich. Zuerst tauchen im Internet ziemlich detailliert dokumentierte Vorwürfe ungekennzeichneter Textübernahmen in der jeweiligen Doktorarbeit auf. Wie auch im Fall des ehemaligen Bundesverteidigungsministers weist der Betroffene pauschal alles von sich oder gesteht ein, dass die Arbeit "fraglos Fehler" enthalte, die aber in der Note bereits berücksichtigt seien.
Dann prüft die Universität näher – und meist entzieht sie den Doktorgrad. Je nach Unrechtseinsicht und Frustrationstoleranz schreibt der Kandidat eine neue Dissertation, widmet sich einer gesellschaftlich sinnvollen Aufgabe – oder zieht vor Gericht.
Nicht nur, wie unlängst angekündigt, die zwischenzeitlich zurückgetretene Annette Schavan, sondern vor allem die Abschreiber aus der zweiten Reihe legen gern einmal Widerspruch gegen die Entscheidungen ihrer Universitäten ein. Es sind ja schließlich Verwaltungsakte. Und im Rechtsstaat gibt es gegen belastende Verwaltungsakte: Rechtsschutz. Warum auch nicht? Wenn der Widerspruch keinen Erfolg hat, steht der Weg zu den Verwaltungsgerichten offen.
Wir sehen uns vor Gericht …!
Wer nach zwei Jahren Pleiten, Pech und Pannen Prominenter im Umgang mit peinlichen Plagiaten als Bilanz festhalten wollte "Nicht abschreiben!", sähe sich zu Recht mit dem Vorwurf mäßiger Originalität konfrontiert. Den gilt es zu vermeiden, zumal mittlerweile niemand mehr abschreibt, der bei Verstand ist.
Daher resümieren wir anders, nämlich: "Nicht prozessieren!" Wer prozessiert, erstreitet leicht ein Urteil. Was im Urteil steht, ist anonymisiert, aber öffentlich zugänglich. Das ist nicht immer erfreulich.
Die folgende kleine Übersicht über die Erfolgsaussichten verwaltungsgerichtlicher Klagen ist nicht repräsentativ, schon wegen der geringen Datenmenge. Drei aktuelle Verfahren endeten mit einem Urteil, eines davon rechtskräftig. Die Namen der Kläger bleiben wegen des Persönlichkeitsrechtsschutzes ungenannt. Im Interesse erfolgreicher Rehabilitierung gilt es jede erneute Stigmatisierung zu vermeiden.
Fall eins: Eine Doktorarbeit über Telekommunikationsrecht
Im Sachverhalt des Urteils nennt das Gericht nicht nur die Noten der Kandidatin für die Doktorarbeit (Rn. 7), sondern auch deren Zensuren in den juristischen Staatsprüfungen bis auf die zweite Nachkommastelle (Rn. 2).
Wörtlich erklärt das Gericht (Rn. 36): […] dass die Klägerin in der eingereichten Dissertation in ganz erheblichem Umfang Passagen aus insgesamt 8 Werken anderer Autoren wortgleich oder nahezu wortgleich übernommen hat, ohne das in der Dissertation, etwa durch die Verwendung von Anführungszeichen oder auf andere gleichwertige Weise, kenntlich zu machen. Die betroffenen 122 Seiten ihrer Dissertation, die insgesamt 269 Textseiten umfasst, sind unter Gegenüberstellung der entsprechenden Stellen aus den Werken der anderen Autoren im angefochtenen Bescheid im Einzelnen aufgelistet. Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass sie in dem vorgeworfenen Umfang Texte anderer Autoren wortgleich oder nahezu wortgleich in ihrer eingereichten Dissertation übernommen hat.
Die Ex-Doktorandin räumte zwar, wie weiland der Verteidigungsminister, handwerkliche Schwächen ein. Das Gericht erklärte (Rn. 41): Hierbei handelt es sich nicht um eine nur unsachgemäße Handhabung der Zitierweise; vielmehr lässt dieses Vorgehen nur den Schluss zu, dass die Klägerin fremde Passagen planmäßig als eigenständige wissenschaftliche Arbeit ausgewiesen hat. und zog den Schluss: (Rn. 42): Die nahezu wörtliche Übernahme von Texten anderer Autoren […] hat die Beklagte zu Recht als Täuschung zu [sic!] bewertet. Der große Umfang der Übernahme fremder Texte ohne Kennzeichnung als Zitate, die Art und Weise der Übernahme einschließlich der Einarbeitung der wörtlich übernommenen Fußnoten aus den Fremdtexten in die eigene Dissertation lässt keinen Zweifel zu, dass die Klägerin vorsätzlich gehandelt hat.
Kein Schutz des Vertrauens auf schlampige Bewertung
Komplimente klingen anders. Wer wollte eine Anwältin beauftragen, die sich das ins Stammbuch hat schreiben lassen müssen? Naja, kommt darauf an, welche Art von juristischer Beratung und Vertretung man gerade braucht.
Das pfiffige Vorbringen der Abschreiberin, man habe ihr auf eine schwache Leistung doch bereits eine Note gegeben, die zum Bestehen ausreiche, arbeitet das Gericht schlank ab: (Rn. 51): Dass Erst- und Zweitgutachter die ganz erheblichen Plagiate nicht schon bei der Annahme und bei der Bewertung der schriftlichen Dissertation entdeckt haben, begründet […] ebenfalls keinen Vertrauensschutz dahingehend, die elementaren Grundlagen wissenschaftlicher Arbeitstechnik zu missachten.
Wenn die Journalisten späterer Jahre für eine Homestory über die frühen Helden des Plagiarismus recherchieren, werden sie nicht auf die Wikipedia zurückgreifen können. Dort ist die Plagiatrix nämlich wieder gelöscht worden – wegen Irrelevanz. Aber sie werden das Urteil des VG Freiburg finden. Mit den Examensnoten. Und dem Titel der Doktorarbeit. Dann werden sie in der deutschen Nationalbibliothek den Namen der Verfasserin entdecken, verbunden mit dem Hinweis auf ihren Vater, einen bekannten Politiker. Vielleicht finden sie auch einen Link auf ihren Bruder. Der war eine kleine Weile ebenfalls Doktor. Bis seine Universität ihm den Grad wieder aberkannte. Weil er abgeschrieben hatte. Naja.
2/2 Fall zwei: Eine Doktorarbeit über Kooperationsmodelle globaler Ordnungspolitik
Der Kandidat hatte vermutlich Gründe, vor Gericht zu ziehen. An der Wiederherstellung seiner Glaubwürdigkeit musste ihm gelegen sein. Er ist Europaabgeordneter und will vielleicht eines Tages wieder gewählt oder auch nur nominiert werden.
Daher erklärte er, er habe bei seinem Studium in Oxford die Harvard-Zitierweise kennen-gelernt (oder war es umgekehrt?) und seiner Arbeit zugrunde gelegt. Jedenfalls teilweise. Das VG Köln wollte sich dem nicht anschließen (Urt. v. 22.03.2012, Az. 6 K 6097/11):
(Rn. 41): Bei Erstellung und Einreichung seiner Dissertation hat der Kläger getäuscht, weil er wahrheitswidrig bei Zulassung zur Promotion eidesstattlich erklärt hat, dass er die Stellen der Arbeit - einschl. Tabellen, Karten, Abbildungen usw. -, die anderen Werken dem Wortlaut oder Sinn nach entnommen sind, kenntlich gemacht hat. Durch diese falsche Erklärung sind die für die Entscheidung zuständigen Gutachter sowie die Prüfungskommission in die Irre geführt wurden.
(Rn. 42): Der Kläger hat über die Eigenständigkeit seiner wissenschaftlichen Leistung getäuscht, indem er die dem Wortlaut nach entnommenen Stellen seiner Arbeit entgegen der abgegebenen Versicherung nicht hinreichend kenntlich gemacht und diese so als eigene Leistung ausgegeben hat.
Auch hier werden die Forscher der kommenden Jahre in dem Urteil ein paar interessante Entdeckungen machen können.
Fall drei: Eine Doktorarbeit über amerikanische Geschichte
Im dritten Fall sind die Plagiatsvorwürfe fast so alt wie die Doktorarbeit: über 20 Jahre. Die Verfasserin ist heute Prof. Dr. und war lange als Beraterin für eine politische Partei tätig, deren Mandatsträger wiederum häufig durchs Abschreiben bei Doktorarbeiten auffallen.
Gerichtlich vorzugehen dürfte für sie alternativlos gewesen sein, hatte sie doch seit Jahren zivilrechtlich gegen Plagiatsvorwürfe in der Presse prozessiert, wenn auch recht erfolglos. Zudem haben die beiden Universitäten, die ihr einen Honorarprofessorentitel verliehen hatten, angekündigt, diesen im Fall der Aberkennung des Doktorgrads ebenfalls zu widerrufen. Für eine Politikberaterin sieht ein solcher downgrade vermutlich verheerend aus.
Zur Vertretung im Verfahren hat sie eine internationale Wirtschaftskanzlei beauftragt. Drei - promovierte - Anwälte arbeiten an der Sache, zwei davon selbst Professoren. Ein Teil der Anlagen zu den Schriftsätzen ist online verfügbar und lehrreich zu lesen.
Das VG Köln blieb mit Urteil vom 6. Dezember (Az. 6 K 2684/12) unbeeindruckt und stellte fest (Rn. 22): Die Klägerin hat bei Erstellung der Dissertation eine Täuschung begangen. Wahrheitswidrig hat sie in ihrem Gesuch auf Zulassung zur Doktorprüfung an Eides Statt versichert, die Stellen der Arbeit […], die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen worden seien, in jedem einzelnen Fall als Entlehnung kenntlich gemacht zu haben. […]
Offene Plagiatsverfahren mit originellen Argumenten
(Rn 23): Aufgrund der quantitativ und qualitativ massiven Täuschung sind die für die Entscheidung zuständigen Gutachter sowie die Prüfungskommission über die urheberrechtliche Zuordnung der fraglichen Textpassagen in die Irre geführt worden. (Rn. 24): Die Klä-gerin hat das - jedenfalls - billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich gehandelt.
Die Kölner Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. Die Beraterin hält das Ergebnis für verfassungswidrig und hat Rechtsmittel eingelegt. Vielleicht gelingt es den Anwälten ja in ihrem Fall, das Steuer noch herumzureißen.
Auch der Rechtsstreit einer anderen Europaabgeordneten ist noch nicht entschieden. Das VG Karlsruhe (Az. 7 K 3335/11) wird voraussichtlich 2014 Gelegenheit haben, zu klären, ob die Universität Heidelberg ihr den Doktorgrad schon in Kenntnis etlicher Parallelen zu fremden Texten verliehen hat und daher nicht mehr entziehen kann. So lautet der recht originelle Rechtsstandpunkt der Klägerin.
Das VG Halle wird gleichfalls nächstes Jahr über einen Konflikt entscheiden müssen, dem ungekennzeichnete Übernahmen fremder Texte in einer sozialwissenschaftlichen Dissertation zugrunde liegen. Es bleibt also spannend.
Wie stehen die Chancen?
Wer nun meint, die Argumente der Plagiatoren seien schwach, möge Vorsicht walten lassen. Alle Abschreiber waren anwaltlich vertreten. Alle diese Argumente haben Anwälte – entgeltlich – in den Verfahren vorgetragen. Ohne zu erröten, wie man vermuten darf. Selbstverständlich nicht aus innerer Überzeugung, sondern nur vollständigkeitshalber. Um kein Argument auszulassen. Zwecks Meidung späterer Regressansprüche ihrer Mandanten. Klar.
In der Sache selbst müssen die Universitäten sich nicht allzu viele Sorgen machen. Nachdem dieser Tage Ex-Bildungsministerin Schavan ihre Anwälte verkünden ließ, sie werde verwaltungsgerichtlich für die Wissenschaft und um ihren Doktorgrad kämpfen, stellten die Experten des Prüfungsrechts lakonisch fest, es sei bislang keine Gerichtsentscheidung bekannt, welche die Aberkennung des Doktorgrads wieder aufgehoben habe.
Eigentlich sollte man sich über das gerichtliche Vorgehen der Ex-Doktor/innen nicht ärgern. Schließlich bezahlen sie selbst dafür, die hier zitierten gerichtlichen Belehrungen schriftlich zu erhalten. Und letztlich lohnt sich ein solcher Rechtsstreit vermutlich, selbst wenn man unterliegt. In meiner bayerischen Heimat sagt man über Anwälte, Politiker und Politikberater, die mit allem durch- und immer wieder auf die Beine kommen: A Hund isser scho!
Der Autor Prof. Dr. Roland Schimmel lehrt Bürgerliches Recht an der FH Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich mit Fragen juristischer Didaktik und hat mehrere Beiträge zum Thema Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten veröffentlicht.
Leseempfehlung: Wer sich auf die Suche nach cleveren Ausreden für plagiierte Prüfungsarbeiten begeben möchte, möge nachlesen bei VGH Bayern, Beschl. v. 19.12.2007, Az. 12 CS 07.2895; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2008, Az. 9 S 494/08 und VG Berlin, Urt. v. 25.06.2009, Az. 3 A 319/05. Die beiden erstgenannten Urteile betreffen übrigens Arbeiten von Juristen.
Roland Schimmel, Zwei Jahre Plagiatsaffären: O-Töne und Originelles vor Gericht . In: Legal Tribune Online, 16.02.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8162/ (abgerufen am: 23.09.2023 )
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