Arbeitnehmervertretung in Kontrollgremien: Mid-Life-Crisis der Mit­be­stim­mung?

von Dr. Thomas Gennert

27.04.2016

Das Mitbestimmungsgesetz wird bald 40, doch gut 800.000 Arbeitnehmer haben laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung nichts zu feiern. Wie das Gesetz entstanden ist, und warum es sich heute leicht umgehen lässt, erklärt Thomas Gennert.

Das Mitbestimmungsgesetz (MitBestG) trat am 4. Mai 1976 in Kraft. Die Beteiligung von Arbeitnehmern auf Ebene des Unternehmensträgers war zuvor gleichwohl nicht unbekannt, sondern fand sich bereits im Betriebsverfassungsgesetz von 1952, dem Vorgänger des heutigen Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbetG), sowie seit 1957 für die Montanindustrie im Montanmitbestimmungsgesetz. Neu am MitBestG war die branchen-unabhängige paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter, die nun das jeweilige unternehmerische Kontrollgremium zur Hälfte besetzten.

Bedenken im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG trat das Bundesverfassungsgericht 1979 entgegen und stellte fest, dass das Mitbestimmungsgesetz jedenfalls nicht zu einer "Überparität" der Arbeitnehmer(-vertreter) führe. An der Grundkonzeption des Mitbestimmungsgesetzes hat sich bis zum heutigen Tag praktisch nichts geändert. Kleinere Reformen gab es jedoch immer wieder, zuletzt wurden die Regeln zur sog. "Frauenquote" in das Gesetz integriert.

Inhalt der sogenannten Unternehmensmitbestimmung

Unter Unternehmensmitbestimmung versteht man im Gegensatz zu betrieblicher Mitbestimmung, die durch Betriebsräte verwirklicht wird, die Beteiligung von Arbeitnehmern in den Kontrollgremien auf Unternehmensebene. Der (mitbestimmte) Aufsichtsrat ist an vielen wichtigen Geschäften des Unternehmens beteiligt, sei es bei wichtigen Personalentscheidungen (etwa der Bestellung eines Geschäftsführers oder eines Vorstands), wichtigen Kapitalmaßnahmen oder anderen Gegenständen, bei denen die Entscheidung des Aufsichtsrats erforderlich ist. Zudem hat er die Geschäftsführung des Unternehmens zu kontrollieren.

Diese weitreichenden Einflussmöglichkeiten sind nicht jedem Unternehmen wilkommen. Insbesondere dann, wenn noch gar kein Aufsichtsrat besteht, ist dessen Errichtung mit nicht unerheblichem Aufwand und Kosten verbunden, denn es müssen Wahlen für die Arbeitnehmervertreter nach einem bestimmten Verfahren durchgeführt werden. Auch die Vorbereitung und Durchführung der Aufsichtsratssitzungen bringt einen nicht zu unterschätzenden Verwaltungsaufwand mit sich. Zudem kann gerade bei Familienunternehmen der unerwünschte Effekt eintreten, dass die Belegschaft durch die Beteiligung im Aufsichtsrat Einblick etwa in die konkrete Ertragslage des Unternehmens oder die Bezüge der Geschäftsführung erhält, was die Familie vor der Belegschaft lieber verborgen hätte.

Studie: Über 800.000 Beschäftigte von Umgehung betroffen

So manches Unternehmen entzieht sich deshalb den Mitbestimmungsregeln – nach einer aktuellen Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung werden so mehr als 800.000 Beschäftigte um ihr Mitspracherecht im Hinblick auf die paritätische Mitbestimmung gebracht. Die Untersuchung betont vor allem die Vielzahl der Umgehungsmöglichkeiten.

Ein naheliegender Weg führt über die Wahl der "passenden" Rechtsform: Ein Blick ins MitBestG offenbart, dass sowohl die "klassischen" Kapitalgesellschaften wie die GmbH und die Aktiengesellschaft als auch Genossenschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien erfasst sind. Dieser "numerus clausus" der Rechtsformen wird aus dem Bereich der Personengesellschaften (GbR und OHG) nur durch die besonders aus steuerlichen Gründen beliebte Kapitalgesellschaft & Co. KG durchbrochen, bei der die Arbeitnehmer der Kommanditgesellschaft deren persönlich haftendem Gesellschafter zugerechnet werden. Darüber hinaus findet eine Zurechnung von Arbeitnehmern im Konzern statt. Bei all diesen Sonderkonstellationen ist gleichwohl immer der numerus clausus der Rechtsformen zu beachten.

Briefkastenfirma schlägt Mitbestimmungsgesetz

Es liegt daher auf der Hand, dass durch Gebrauch anderer Rechtsformen die Mitbestimmung ganz legal und ohne Rechtsverstoß ausgeschaltet werden kann. Hierbei kommt den "mitbestimmungsunwilligen" Unternehmen insbesondere der Umstand entgegen, dass der EuGH den BGH zur Wahrung der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit zur Anwendung der sogenannten "Gründungstheorie" verpflichtet hat. Diese besagt, dass auf die jeweilige Gesellschaft grundsätzlich das Recht ihres Gründungsstaates anzuwenden ist.

Begibt sich beispielweise eine Limited (ähnlich einer GmbH) aus London nach Deutschland, so ist auf diese zum einen gesellschaftsrechtlich englisches Recht anzuwenden, zum andern fällt sie nicht unter das Mitbestimmungsgesetz. Beispiele für derartige Konstruktionen gibt es zuhauf, und werden auch von der Böckler-Stiftung benannt: Ob man nun eine österreichische GmbH oder eine deutsche Stiftung in Kombination mit einer deutschen KG oder auch für sich allein oder aber gleich eine niederländische B.V. verwendet – all diesen Konstruktionen ist gemein, dass sie nicht vom Mitbestimmungsgesetz erfasst werden. Mit anderen Worten lässt sich derzeit mit einer der heiß diskutierten Briefkastenfirmen das komplette Konzept der deutschen Mitbestimmung auf legalem Weg umgehen.

Da die verschiedenen ausländischen Rechtsformen in ihren Strukturen mit den inländischen jedoch durchaus vergleichbar sind, wurde und wird dafür plädiert, die Regeln des MitBestG entsprechend auf diese Rechtsformen anzuwenden. Die Rechtsprechung ist dem bislang nicht gefolgt.

Zitiervorschlag

Dr. Thomas Gennert, Arbeitnehmervertretung in Kontrollgremien: Mid-Life-Crisis der Mitbestimmung? . In: Legal Tribune Online, 27.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19221/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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