Pro & Contra Einstellung des Ecclestone-Prozesses: Klug oder frech?

von Prof. Dr. Karsten Gaede und Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel

05.08.2014

Der Bestechungs-Prozess gegen den Formel-1-Chef endete mit einer Einstellung gegen eine Rekordzahlung von 100 Millionen US-Dollar. Zwar ist die Einstellung eines Strafverfahrens gegen eine Geldauflage nicht unüblich, die Summe, die Ecclestone nun zahlen muss, aber ist es. Haben Staatsanwaltschaft und Landgericht hier noch nach den Regeln der StPO agiert oder schon nach den Gesetzen des Basars?

Die Einstellung des Strafverfahrens gegen Ecclestone gegen eine Auflage von 100 Millionen Dollar mag unpopulär sein, eine Privilegierung eines vermögenden Beschuldigten ist sie jedoch nicht. Ein Verfahren abzukürzen, dessen Ausgang in jeder Beziehung ungewiss erschien, ist auch keine Pervertierung der Einstellungsvorschriften, sondern entspricht deren Zweck, meint Michael Kubiciel.

Der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Kaum war durchgesickert, dass Staatsanwaltschaft und Landgericht das Strafverfahren gegen Bernie Ecclestone gegen eine Auflage einzustellen beabsichtigen, sprachen Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) von einer "Frechheit". Nach dieser "Verzerrung" der schon für sich "fragwürdigen" Regeln stehe "die" Gerechtigkeit "dumm da", meinte Prantl. Er dürfte damit einem in der Bevölkerung weit verbreiteten Gefühl Ausdruck verliehen haben.

Rechtspraktiker wissen hingegen, dass die Gerechtigkeit eine schwer zu handhabende Kategorie ist. Rechtstheoretiker fassen diesen Begriff ohnehin nur mit spitzen Fingern an. Sie gehen mit dem Rechtsphilosophen Gustav Radbruch davon aus, dass Gerechtigkeit waltet, wenn Gerichte und Staatsanwaltschaften lege artis Rechtsregeln anwenden, die das Ziel der Gerechtigkeit im Blick haben, auch wenn es mit ihrer Hilfe nicht in jedem Fall erreicht werden kann. Damit stellen sich zwei Fragen: Haben Staatsanwaltschaften und Gerichte das geltende Recht richtig angewendet? Sind die strafprozessualen Regeln über die Einstellung unter Auflagen und die verfahrensbeendende Absprache gerecht? Die Antwort auf beide Fragen lautet: ja.

Gericht und Staatsanwaltschaften wählten richtigen Weg

Nach den teils widersprüchlichen Aussagen des Hauptbelastungszeugen und dessen nicht unerheblichen Erinnerungslücken stand die Staatsanwaltschaft München vor einer schwierigen Entscheidung: Sollte sie den Prozess mit einer verkleinerten Anklage fortsetzen und damit die Möglichkeit der Verurteilung offen halten? Oder sollte sie der Einstellung des Verfahrens ohne Urteil, aber gegen eine immense Geldauflage zustimmen? Die Staatsanwaltschaft hat sich klugerweise für die zweite Option erschienen.

Offenbar war es nach dem Verlauf der Beweisaufnahme ungewiss geworden, ob sich überhaupt ein Tatvorwurf gerichts- und revisionsfest würde beweisen lassen: Die Aussagen des Hauptbelastungszeugen Gerhard Gribkowsky zur Unrechtsvereinbarung mit Ecclestone, die für die Verurteilung wegen Bestechung notwendig ist, waren dürftig. Zudem hätte Ecclestone zumindest in der Laiensphäre nachvollziehen müssen, dass der Bankmanager Gribkowsky einem Beamten gleichzustellen ist, weil er für ein staatseigenes Kreditinstitut tätig war; Landesbanken gibt es in England nicht. Auch eine Verurteilung wegen Anstiftung zur Untreue erschien nach der bisherigen Beweisaufnahme unwahrscheinlich, zumal ohne die Vermittlung Ecclestones nicht jene Transaktion zustande gekommen wäre, die der BayernLB ein "Traumergebnis" beschert hatte.

Unabhängig davon hätte die Dauer des Verfahrens bei einer Fortführung des Prozesses ein kritisches Ausmaß erreichen können. Denn auf eine Verurteilung Ecclestones wäre mit einiger Sicherheit eine Revision gefolgt. Eine zusätzliche Verfahrensdauer von zwei Jahren oder mehr ist bei einem fast 84-jährigen Angeklagten eine durchaus relevante Größe. Ecclestone mag heute verhandlungsfähig und in der Lage sein, die Geschäfte der "Formula-One-Group" zu führen.

Ob ihm aber in zwei Jahren noch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zugemutet werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Möglicherweise wäre das Verfahren aus Altersgründen eingestellt oder von der Strafvollstreckung abgesehen worden, wenn am Ende kein Freispruch gestanden hätte und der Steuerzahler die Kosten des Verfahrens hätte tragen müssen – ein Resultat, für das die Staatsanwaltschaft Hannover im Wulff-Verfahren unlängst heftig kritisiert worden ist. Angesichts dieser Unwägbarkeiten ist es verfahrenstaktisch verständlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht Vabanque gespielt, sondern sich mit dem Erreichbaren begnügt: einer Einstellung unter einer erheblichen Auflage.

Keine "Verzerrung" der Regeln

Das Strafverfahrensrecht ermöglicht diese Lösung ohne die von dem Journalisten Prantl beklagten "Verzerrungen". Dafür bietet das Gesetz mehrere Möglichkeiten: Mittels einer Verständigung nach § 257c Strafprozessordnung (StPO) lässt sich vereinbaren, dass der Angeklagte den geringeren Teil des Anklagevorwurfs gesteht (etwa: Bestechung im geschäftlichen Verkehr) und die Staatsanwaltschaft im Gegenzug den gewichtigeren Teil (etwa: Bestechung und Anstiftung zur Untreue) fallen lässt.

Staatsanwaltschaft und Angeklagter minimieren so ihr jeweiliges Prozessrisiko und erzielen einen zusätzlichen Gewinn: Die Staatsanwaltschaft hat zumindest einen Teil ihrer Anklage halten können, während sich der Angeklagte nur noch mit einem geringeren Schuldvorwurf konfrontiert sieht. Die Verfahrensbeteiligten können aber auch ohne einen solchen Deal zu dem Ergebnis kommen, dass sich nach dem Stand der Hauptverhandlung allenfalls eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr, nicht aber eine Bestechung oder Anstiftung zur Untreue beweisen lässt.

Steht die Schwere dieses Schuldvorwurfs einer Einstellung gegen eine Auflage nicht entgegen, kann das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung durch die Wiedergutmachung des Schadens oder mit der Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung beseitigt werden, § 153a Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 StPO.

Keine Privilegierung Vermögender

Auf den ersten Blick mag es widersprüchlich erscheinen, wenn einerseits von einer geringen oder mittleren Schuld des Angeklagten ausgegangen, andererseits aber vereinbart wird, dass Auflagen in einer Gesamthöhe von rund 100 Millionen Dollar das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung beseitigen sollen. Doch spiegelt die Höhe der Geldzahlung nicht den angerichteten Schaden oder gar die Schuld des Angeklagten, sondern richtet sich nach dessen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen.

Einem vermögenden Angeklagten werden daher höhere Zahlungen auferlegt als einem Normalverdiener. Es kann keine Rede davon sein, dass sich Ecclestone aufgrund seines Vermögens freikaufen konnte. Hätte ein motorsportbegeisterter pensionierter Automechaniker den BayernLB-Vorstand Gribkowsky mit einer Flasche Sekt für seine Zwecke gewonnen, wäre auch dieses Verfahren gegen eine – erheblich geringere – Auflage eingestellt worden.

Leutheusser-Schnarrenberger – bis vor einigen Monaten selbst Bundesjustizministerin – forderte mit Blick auf das Verfahren gegen Ecclestone eine rasche Änderung des Strafprozessrechts. Fortan sollten Verfahren schwerer Kriminalität, in denen dem Angeklagten bis zu zehn Jahre Haft drohten, nicht mehr unter Auflagen eingestellt werden dürfen.

Doch das ist schon heute geltendes Recht: Denn wenn vom Anklagevorwurf nur noch ein geringer Teil (im Münchener Fall etwa: eine Bestechung im geschäftlichen Verkehr) übrig bleibt, ist Gegenstand des Verfahrens nur noch ein Fall mittlerer Kriminalität. Auf diesen kann § 153a StPO nach dem Willen des Gesetzgebers angewendet werden. Dahinter steckt die Überlegung, dass die Dichotomie von "echter Strafe und glattem Freispruch" (Joachim Jahn in der FAZ) der Komplexität vieler Strafverfahren, keineswegs nur aus dem White-Collar-Bereich, nicht gerecht wird. Es ist daher grundsätzlich richtig, dass Vorschriften wie § 153a StPO mit Hilfe eines diversifizierten Sanktionenprogramms einen Ausgleich zwischen Justizökonomie und Gerechtigkeit erlauben, wenn sich die Suche nach "der" materiellen Wahrheit im prozessualen Grau verliert.

Sport und Compliance

Kriminalpolitisch lehrt der Formel-Eins-Fall etwas anderes: Das Strafrecht ist zwar kein Allheilmittel zur Bekämpfung der Korruption. Insbesondere in dem besonders korruptionsaffinen Bereich sportlicher Großereignisse entfaltet das Strafrecht bislang zu wenig Wirkung. Das hat nicht in erster Linie mit Nachweisschwierigkeiten zu tun. Vor allem fehlt vielen Sportfunktionären jenes Gespür für die Bedeutung von Rechtstreue und Compliance, das in großen und mittleren Unternehmen inzwischen gewachsen ist.

Sportvereine und -verbände, die sich in wirtschaftlicher Hinsicht gerne mit Unternehmen vergleichen, sollten von den Antikorruptionsmaßnahmen der Wirtschaft lernen. Siemens, Daimler, Audi und andere Unternehmen zeigen jedenfalls, dass wirtschaftlicher Erfolg und Compliance miteinander vereinbar werden kann. Weshalb dies für die Formel Eins, die Fifa und große Fußballvereine nicht gelten soll, ist unerfindlich.

Der Autor Professor Dr. Michael Kubiciel ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln und Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung. Er forscht u.a. zu Fragen des (internationalen) Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere zur grenzüberschreitenden Korruption.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, Pro & Contra Einstellung des Ecclestone-Prozesses: Klug oder frech? . In: Legal Tribune Online, 05.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12799/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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