Landgericht Karlsruhe verhandelt: Ver­linkt und ver­ur­teilt?

von Dr. Christian Rath

17.04.2024

Ein Redakteur von Radio Dreyeckland steht ab diesem Donnerstag wegen eines Internet-Links vor Gericht. Er kann auf einen Freispruch hoffen. Wie es zu dem Verfahren kam, hat Christian Rath verfolgt.

Radio Dreyeckland (RDL) ist ein kleiner, aber berühmter Radiosender aus Freiburg. RDL war das erste Alternativradio in Deutschland. Es entstand 1977 aus dem grenzüberschreitenden Protest gegen das französische AKW Fessenheim und das geplante deutsche AKW Whyl. Anfangs war RDL ein Piratensender, seit 1988 sendet Radio Dreyeckland jedoch legal als linkes nicht-kommerzielles Radio aus Freiburg.

Polizeieinsätze gegen Radio Dreyeckland gab es schon Jahrzehnte nicht mehr, doch im Januar 2023 durchsuchten völlig überraschend Dutzende Polizist:innen die Wohnungen von zwei RDL-Redakteuren und fast auch die Redaktionsräume. Einer der beiden Redakteure, Fabian Kienert, steht ab diesem Donnerstag in Karlsruhe vor Gericht. Er soll durch einen bloßen Internet-Link die Fortführung einer verbotenen Vereinigung unterstützt haben.

Der Link des Anstoßes

Kienert hatte im Juli 2022 auf der RDL-Webseite einen Artikel veröffentlicht, in dem es um die seit 2017 verbotene linksradikale Agitations-Plattform linksunten.indymedia ging. Der Text endet mit dem lapidaren Satz: "Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite." Dabei war die Archivseite auch verlinkt.

Wegen dieses Links hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe im Januar 2023 Kienerts Wohnung durchsucht und im April 2023 Anklage gegen ihn erhoben. Kienert habe durch den Link die Fortführung der verbotenen Vereinigung linksunten.indymedia unterstützt, was laut § 85 II des Strafgesetzbuches strafbar ist. Kienert drohen laut Gesetz bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe.

Es handelt sich also um einen Nachhall von Vorgängen aus dem Jahr 2017. Damals hatte das Bundesinnenministerium die Betreiber der Webseite linksunten.indymedia.org zu einem faktischen Verein erklärt und dann diesen Verein auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten. Grund: Die Webseite habe es "gebilligt und erleichtert", dass dort strafbare Inhalte, etwa Bekennerschreiben zu linksextremistischen Anschlägen, veröffentlicht wurden. Das Archiv der stillgelegten Webseite steht aber weiterhin zum Download bereit, vermutlich auf einem Server weit weg von Deutschland.

Die Anklage gegen Kienert wurde vom Landgericht Karlsruhe im Mai 2023 zunächst nicht zugelassen (Beschluss vom 16. Mai 2023, Az. 5 KLs 540), denn es liege schon gar keine Straftat vor. Es sei nicht belegt, dass linksunten.indymedia fortbestehe und aktiv sei. Außerdem habe Kienert nur kritisch über das Verbot berichtet, aber die Vereinigung nicht in strafbarer Weise unterstützt.

Doch das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart ließ die Anklage im Juni 2023 zu (Beschluss vom 12. Juni 2023, Az. 2 Ws 2/23). Dass linksunten.indymedia trotz Verbot fortgeführt wurde, zeige schon das 2020 hochgeladene Archiv der Plattform. Kienerts Link auf das Archiv sei eine Unterstützung der Organisation, weil es ihm nicht um Information, sondern um Propaganda gegangen sei.

Nun findet der Prozess gegen Kienert also statt. Am 18. April wird vor dem Landgericht Karlsruhe zunächst die Anklage verlesen. Das Landgericht hat insgesamt sechs Verhandlungstage terminiert, bis Mitte Mai. Der Umfang der geplanten Beweisaufnahme ist erstaunlich, da der Sachverhalt im Kern nicht umstritten ist. Kienert hatte den Artikel ja mit seinem Kürzel FK gekennzeichnet. Im Januar 2023 räumte er gegenüber der Polizei auch ausdrücklich ein, dass er der Autor ist - und wendete so eine Durchsuchung der RDL-Redaktionsräume ab.

Information oder Ermunterung?

Im Prozess stellen sich vor allem rechtliche Fragen. Kann ein bloßer Link in einem journalistischen Text bereits als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung gelten. Dass hier die Pressefreiheit berührt ist, liegt auf der Hand. Wo endet Information, wo beginnt Propaganda? Das OLG Stuttgart stellte darauf ab, dass Kienerts Text als Aufforderung und Ermunterung gewirkt habe, sich mit linksunten.indymedia zu solidarisieren. Ausdrückliche Formulierungen dieser Art finden sich freilich nicht im Text.

RDL kritisierte denn auch, dass es möglich sein müsse, kritisch über ein Vereinsverbot zu berichten, ohne sich gleich wegen Unterstützung strafbar zu machen. Die Organisation Reporter ohne Grenzen befürchtet im Fall einer Verurteilung "große Verunsicherung bei Redakteurinnen und Redakteuren in ganz Deutschland".

Umstritten ist aber auch die Frage, wie eine verbotene und nicht mehr aktive Plattform überhaupt unterstützt werden kann. Das OLG Stuttgart sieht in der Veröffentlichung ein "Denkmal" mit Dauerwirkung. Dass die Vereinigung derzeit nicht aktiv ist, habe vor allem taktische Gründe.

Ein neues Gutachten

Doch vielleicht kommt es auf die bisher diskutierten Fragen gar nicht an. Denn das Landgericht Karlsruhe hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ergebnis auch die Staatsanwaltschaft beeindrucken könnte. Der Diplom-Informatiker York Yannikos vom Fraunhofer-Institut für sichere Informationstechnologie kam zum Ergebnis, dass jeder, der einigermaßen programmieren kann, ein Archiv der Artikel veröffentlichen kann, die bis 2017 auf linksunten.indymedia veröffentlicht wurden. Dies wäre also nicht nur der Gruppe selbst möglich gewesen, sondern auch einer fremden Einzelperson. Sie musste nur rechtzeitig vor dem Verbot beginnen, die rund 830.000 Texte zu sichern.

Vor dem Hintergrund dieses Gutachtens dürfte die Existenz des Archivs nicht einmal ein Indiz für das Fortbestehen der Vereinigung linksunten.indymedia sein. Wenn es aber keine Hinweise für die Fortführung der Vereinigung gibt, dann kann sie auch nicht unterstützt werden, schon gar nicht mit einem bloßen Link. Ein Freispruch liegt also nahe.

 

Transparenzhinweis: Christian Rath produziert bei RDL seit 1998 die Musiksendung "Keine Heimat" mit europäischer Folkmusik.

Hinweis: Zunächst hieß es im Text, die Staatsanwaltschaft Karlsruhe könne gegen das Urteil des Landgerichts in Berufung gehen, womit wieder das OLG Stuttgart zuständig wäre. Gegen das Urteil wäre aber nur eine Revision zum BGH zulässig. (korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 20:23 Uhr, Red.)

Zitiervorschlag

Landgericht Karlsruhe verhandelt: Verlinkt und verurteilt? . In: Legal Tribune Online, 17.04.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54356/ (abgerufen am: 30.04.2024 )

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