Karneval und Justiz: När­ri­sches Treiben vor dem Kadi

Martin W. Huff

11.11.2010

Am 11.11. beginnt die "fünfte Jahreszeit". Bis Aschermittwoch wird getanzt, getrunken und gelacht. Die meisten beweisen Humor und drücken ob dieses Ausnahmezustands beide Augen zu. Überbordende Ausgelassenheit endet jedoch mitunter auch vor Gericht. Ein Überblick über das "närrische Recht" von Martin W. Huff.

Gerade in diesen Tagen mussten sich das Verwaltungsgericht (VG) Köln und das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster mit der Frage befassen, ob das von der Stadt Köln erlassene "Glasverbot" für den 11.11. rechtmäßig war oder nicht. Die Stadt Köln hatte zu diesem Datum für die Altstadt und das Zülpicher Viertel mit einer Allgemeinverfügung ein allgemeines Verbot des "Mitführens und Benutzens von Glasbehältnissen" ausgesprochen und mit individuellen Ordnungsverfügungen Kiosk-Betreibern verboten, zu bestimmten Zeiten Getränke in Glasbehältnissen zu verkaufen.

Sowohl gegen die Allgemeinverfügung als auch gegen eine der Ordnungsverfügungen, die an Kiosk-Besitzer gerichtet waren, wurden Klagen erhoben und einstweilige Rechtsschutzverfahren angestrengt. Das VG Köln hob das Glasverbot auf und wies darauf hin, dass das allgemeine Recht der Gefahrenabwehr rein vorsorgende Maßnahmen, wie ein vorbeugendes Verbot, grundsätzlich nicht zulasse (Beschl. v. 04.11.2010, Az. 1606 und 1607/10). Aber die Straßen-Karnevalisten hatten sich zu früh gefreut: Mit Beschlüssen vom 09.11. 2010 (5 B 1475 und 1476/10) hob das OVG Münster die Entscheidungen auf und bestätigte das Glasverbot, weil die Stadt sich anderenfalls bekanntlich in ein "Scherbenmeer" verwandele.

Liest man weitere rund um den Karneval veröffentlichte Gerichtsentscheidungen, so spannt sich ein Bogen der Ereignisse vom Sitzungs- und Saalkarneval bis zum Straßenkarneval zwischen Weiberfastnacht und Karnevalsdienstag. Einige der Entscheidungen lassen einen schmunzeln, bei anderen fragt man sich, warum die Justiz überhaupt damit beschäftigt werden musste.

Krawatten gehören ihrem Besitzer - auch an Weiberfastnacht

Das Abschneiden der Krawatte an Weiberfastnacht, am Tag, an dem die Frauen das Regiment übernehmen, gehört im Rheinland zu den üblichsten Bräuchen. Doch wie weit ist solches Brauchtum rechtens?

Durfte eine Reisebüroangestellte in Essen einem "äußerst eleganten Kunden", wie es im Tatbestand heißt, den Schlips abschneiden? Nein, so die klare Antwort des Amtsgerichts (AG) Essen (Urt v. 03.02.1988, Az. 20 C 691/87). Die Angestellte des Reisebüros habe vorsätzlich das Eigentum des Kunden zerstört. Auch wenn das Schlipsabschneiden an Weiberfastnacht Brauch sei, dürfe auf die Einwilligung des Kunden zum Eingriff (oder besser Übergriff) in sein Eigentum nicht verzichtet werden.

Viel Verständnis zeigen Richter sowohl in Köln bei der "lachenden Kölnarena" als auch während Düsseldorfer Großveranstaltungen bei Stürzen und Verletzungen. Wer hier zu Fall kommt, muss schon sehr genau begründen, weshalb er den Veranstalter haftbar machen will.

In feiernden Massen muss jeder auf sich selbst achten

Denn obwohl die Richter auch bestimmte Verkehrssicherungspflichten der Veranstalter bejahen, überspannen sie die Auslegung dieser Pflichten nicht. Wer auf den Treppen der Kölnarena in einem Pulk von Leuten stürzt, kann laut Oberlandesgericht (OLG) Köln nicht auf Schadensersatz hoffen (Urt. v. 28.06.2002, Az. 19 U 7/02).

Ebenso ist nicht haftbar, wer als Gast einer Veranstaltung versehentlich ein Glas umstößt, welches zerbricht und daraufhin einen Anderen verletzt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.08.2001, Az. 22 U 26/01).

Grundsätzlich sollte man sich überlegen, was man in die Kneipe zum Feiern mitnimmt und wie man es aufbewahrt. Auf den Autoschlüssel muss man aufpassen (OLG Hamm, Urt. v. 17.02.2004, Az. 9 U 161/03), auf den Pelzmantel nur dann nicht, wenn man ihn direkt bei sich hängen hat (OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.01.1996, Az. 4 U 267/94).

Umgekehrt muss, wer vor seiner Kneipentür die "Nubbelverbrennung" zum Ausklang des Karnevals am Dienstagabend in Köln organisiert, auf parkende Fahrzeuge achten. Werden diese beschädigt, haftet der Wirt dafür, so das Landgericht Köln (Urt. v. 10.05.1990, Az. 34 S 272/89). Nicht jeder Autofahrer müsse nämlich in Köln mit einer derartigen Veranstaltung vor einer Kneipe rechnen.

Kunst und Kommerz im Karneval

Auch das Steuerrecht liefert seinen Beitrag: Durchaus unterschiedlich bewerten der Bundesfinanzhof (BFH) in München (Urt. v. 26.02.1987, Az. IV R 105/85) und das Finanzgericht (FG) Düsseldorf (Urt. v. 25.02.2004, Az. 7 K 7162/01 G) die Qualität von Büttenreden.

Während der BFH eher skeptisch ist, ob der Büttenredner überhaupt Künstler nach den entsprechenden steuerlichen Vorschriften sein kann, macht das FG Düsseldorf dies - zu Recht - von der Qualität der Leistung und der "Gestaltungshöhe" wie es so schön heißt, abhängig. Und die Karnevalsgesellschaften unterliegen, so das Bundessozialgericht (Urt. v. 20.03.1997, Az. 3 RK 17/96), der Künstlersozialabgabepflicht, wenn sie nicht nur gelegentlich Karnevalssitzungen veranstalten.

Doch Karneval ist auch ein Geschäft, gerade die Redner und Musikgruppen leben oft von den wenigen Wochen im Jahr. Daher wird um die Werbung oft auch heftig gerungen. Das OLG Köln (Urt. v. 28.5.2010, Az. 6 U 9/10) entschied, dass der Werbeslogan "Karneval ohne Kostüme ist wie Bläck ohne Fööss" ohne die Einwilligung der gerade 40 Jahre bestehenden erfolgreichen Kölner Band eine unbefugte Werbung mit der Ausnutzung eines bekannten Namens darstellt.

Mit "Wurfmaterial" bei Karnevalsumzügen muss man rechnen

Nicht nur am Rosenmontag bewegen sich in vielen Städten Umzüge durch die Straßen. Eigentlich sollten die Routen Autofahrern bekannt sein, doch immer wieder muss die Polizei Fahrzeuge abschleppen. Und wer am Rand der Route parkt, dem nützt auch der Ausweis für Parkerleichterungen für Behinderte nichts - auch wenn versucht wird, sich mit dem Hinweis auf einen Arztbesuch zu rechtfertigen (VG Koblenz, Urt. v. 18.1.2010, Az. 4 K 536/09).

Bei den Umzügen selbst gibt es eine eindeutige Rechtsprechung zur Verletzung durch "Wurfmaterial". Wer sich an einen Zugweg, bei dem üblicherweise mit Gegenständen – von der Kamelle bis zur Pralinenschachtel – geworfen wird, in "Wurfweite" positioniert, muss sowohl damit rechnen, dass ihn ein solches "Wurfgeschoss" einmal unangenehm hart trifft, als auch – im unglücklichsten Fall - sogar eine Verletzung entstehen kann. In dieses Verletzungsrisiko willigt der Betreffende durch sein Verhalten ein.

Dies gilt nicht nur für die üblichen Kamelle, die - wie in einem Fall des LG Trier - bei einem Zuschauer zum Verlust eines Zahnes führt (Urt. v. 07.02.1995, Az. 1 S 150/94), sondern auch – so das AG Aachen (Urt. v. 10.11.2005, Az. 13 C 250/05)  - für eine Pralinenschachtel, die eine Platzwunde verursachte. Auch eine Augenverletzung durch eine Tulpe ist in diesem Fall Lebensrisiko (AG Eschweiler,  (Urt. v. 03.01.1986, Az. 6 C 599/85), wobei es aus der Sicht des Gerichts keine Rolle spielte, ob die Tulpe steif gefroren (so der Kläger) oder eher "schlapp und welk" (so der Beklagte) gewesen sei.

Kanonenschüsse, lärmende Narren und unversicherte Umzugswagen

Wer während des Zugverlaufes zwischen Gruppen und Motivwagen die Straßenseite wechseln möchte, ist selbst für dabei entstehende Verletzungen verantwortlich, so das AG Waldkirch (Urt. v. 25.03.1999, Az. 1 C 12/99). Dagegen sieht das LG Ravensburg (Urt. v. 15.08.1996, Az. 3 S 145/96) die Veranstalter zu bestimmten Schutzmaßnahmen verpflichtet. Etwa, wiederum den Zugteilnehmern bestimmte Sicherungspflichten aufzuerlegen, damit die Zuschauer nicht gefährdet werden.

Über Besonderheiten sollte man sich als Zuschauer auch informieren. So war es im Bezirk des LG Trier (Urt. v. 05.06.2001, Az. 1 S 18/01) bei einem Umzug üblich, mit einer Weinbergskanone Schüsse abzufeuern. Wer hierbei ein "Knalltrauma" erleidet, kann keinen anderen dafür in Haftung nehmen.

Anwohner einer Umzugsstrecke müssen traditionelle Umzüge mit ihrem unvermeidlichen Lärm hinnehmen; die Behörden sind nicht verpflichtet, hier aus Immissionsgesichtspunkten einzuschreiten, stellte das VG Frankfurt am Main (Beschl. v. 12.02.1999, Az. 15 G 401/99 (V)) fest.

Gerade an den tollen Tagen des Straßenkarnevals darf es auch einmal etwas lauter werden. Das AG Köln (Urt. v. 04.02.1997, Az. 532 Owi 183/96) sprach einen Gastwirt frei, der in der Rosenmontagsnacht die Stereoanlage voll aufgedreht hatte. Nach Ansicht des Gerichts stellte dies an den närrischen Tagen keine verbotene Lärmbelästigung dar.

Als Teilnehmer eines Karnevalsumzugs, besonders, wenn es keine professionell organisierte Veranstaltung ist, sollte man sich in jedem Fall darüber informieren, ob die zum Einsatz vorgesehenen Fahrzeuge für diesen Zweck versichert sind. Denn dies ist – wie das OLG Karlsruhe (Urt. v. 30.04.1986, Az. 4 U 9/85) beschrieben hat – nicht immer der Fall. Damals bestand kein Versicherungsschutz, als eine landwirtschaftliche Zugmaschine auf der Rückfahrt vom Zug umkippte und erheblich beschädigt wurde.

Für Karneval am Arbeitsplatz gibt es nicht überall Verständnis

Das Verhalten zu Arbeitskollegen während der Karnevalszeit sollte man sich gut überlegen. Dies zeigt ein Verfahren vor dem OVG Koblenz (Beschl. v. 02.04.2004, Az. 10 A 11997/03): Bei einem Behördenleiter führten allzu enge private Kontakte zu Mitarbeitern - unter anderem bei Karnevalsveranstaltungen - zur Feststellung der mangelnden Eignung.

Und auch nicht alles, was Unternehmen an Karneval veranstalten, ist eine dienstliche Veranstaltung. So stellte das BSG (Urt. v. 22.9.2009, Az. B 2 U 27/08 R) fest, dass ein "Faschingsfußballturnier" nicht zwingend als dienstliche Veranstaltung anzusehen ist und Unfälle dabei auch als Arbeitsunfall zu bewerten sind. Das Gericht begründet dies auch gerade mit der regional unterschiedlich ausgeprägten Karnevalsbegeisterung.

Auch für einen Karnevalsfan nachvollziehbar ist die Entscheidung des BFH (Urt. v. 18.04.1996, Az. V R 25/95), die einen feierlustigen Richterkollegen betraf. Eine Fünf-Monats-Frist für das Abfassen der schriftlichen Urteilsgründe muss eingehalten werden. Auch wenn der letzte Tag der Frist der Rosenmontag ist, gibt es keine Fristverlängerung: Es wäre genügend Zeit vor den tollen Tagen für das Formulieren gewesen.

Wer vom "närrischen Recht" jetzt noch nicht genug hat, dem sei zum Abschluss noch eine Entscheidung des LG Köln empfohlen (Urt. v. 22.01.1986, Az. 19 S 138/85): Darin schildert der unvergessene Kölner Richter Eugen Menken einen Verkehrsunfall an "Wieverfastelovend" und bewertet auf unvergleichliche Weise die Zeugenaussagen von Mitgliedern der "Treuen Husaren" sowie der "Fahrerin eines schwarzen Japaners". Da bleibt garantiert kein Auge trocken!

Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist in Leverkusen. Er ist auch Leutnant der Reserve der Ehrengarde der Stadt Köln von 1902 e.V., einem der Kölner Traditionskorps.

Zitiervorschlag

Martin W. Huff, Karneval und Justiz: Närrisches Treiben vor dem Kadi . In: Legal Tribune Online, 11.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1912/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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