Interview mit Thomas Fischer: "Wenn Protest gegen Unsinn mich zum Rebell macht, bin ich gern einer"

"Wenn jemand fachliche Differenzen nicht von persönlichen trennen kann, ist das weder meine Schuld noch Sorge"

LTO: Essen Sie mit den Kollegen vom 5. Senat eigentlich am gleichen Tisch zu Mittag? Wenn man die Auseinandersetzungen, insbesondere zum Thema Vier-Augen-Prinzip, von  außen betrachtet, gewinnt man den Eindruck, am BGH müsse die Luft zum Schneiden dick sein.

Fischer: Der 5. Strafsenat hat seinen Tisch in Leipzig aufgeschlagen. Der 2. Strafsenat isst in Karlsruhe, mal allein, mal mit anderen.

Es ist absurd, inhaltliche Differenzen mit persönlichem Streit gleichzusetzen. Das ist ein Niveau, auf dem ich nicht wirklich diskutieren möchte und das dem Ernst der Sachfragen auch nicht angemessen ist. Wer meint, dass er "beleidigt" sein muss, weil irgendjemand das sogenannte "Zehn-Augen-Prinzip" (ZAP) befürwortet und damit eine jahrzehntelange "Tradition" in Frage stellt, der soll eben beleidigt sein.

Die Frage ist doch: Worüber und Warum? Die Mitglieder des 5. Strafsenats haben in einer etwas peinlichen Veröffentlichung behauptet, sie seien beschuldigt worden, bewusst Rechtsfehler zu begehen, Sachverhalte zu verfälschen usw. Die Kollegen irrten hier schon im Ansatz. Sie hatten leider überhaupt nicht verstanden, worum es ging, oder ließen sich dies jedenfalls nicht anmerken. Es wäre besser gewesen, sie hätten vorher einmal in Karlsruhe angerufen. 

Beleidigtsein einzelner Personen hat aber keine Bedeutung in der Sache. Das wissen die Kollegen des 5. Strafsenats ebenso wie die des 2. Richter an obersten Bundesgerichten haben eben etwas schwache Nerven. Ihnen zittert die Teetasse, wenn einmal ein neuer Gedanke daherkommt, und dann meint eine Minderheit unter ihnen, nun müsse man mit allen Mitteln die Teetassen-Revolution bekämpfen. Das ist rührend, aber falsch. Die Kollegen sollten lieber einmal all ihren Mut zusammennehmen und über die Sache nachdenken, als sei alles offen und als könne ihnen nichts geschehen.   

"Ich will keine Entscheidungen an mich ziehen", "Manche Kritik wirkt wie krampfhafter Versuch, mein Verhalten zu skandalisieren

LTO: Die Differenzen, die Sie mit einigen Richterkollegen haben, insbesondere zum ZAP, betreffen jedenfalls nicht nur Detailfragen, sondern rühren an das Grundverständnis dessen, was gerechte richterliche Entscheidungsfindung ausmacht. Ärgert es Sie mitunter, die von Ihnen beklagten Missstände am BGH miterleben zu müssen – bzw. wünschten Sie bei einigen Verfahren mit Potential zur Grundsatzentscheidung, der Geschäftsverteilungsplan wäre ein anderer?

Fischer: Nein.

LTO: Teilweise droht die Debatte ins Kleinliche und Persönliche zu kippen. Ihnen wurde vorgeworfen, in dem Urteil, mit welchem Sie unlängst eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation zum Verfahrenshindernis erklärten, nicht ausdrücklich betont zu haben, dass Sie an einer früheren, anderslautenden Entscheidung selbst beteiligt waren. Was halten Sie davon?

Fischer: Nichts. Von dem von Ihnen erwähnten "Vorwurf" erfahre ich soeben zum ersten Mal. Er scheint mir gänzlich absurd. Ich habe in der genannten Sache in der Hauptverhandlung den Vorsitz geführt und das Urteil verkündet. Das ist die Aufgabe des Vorsitzenden eines Spruchkörpers.

Für irgendwelche persönlichen Erklärungen bestand oder besteht weder Anlass noch Raum. In der Entscheidung ist die bisher ständige Rechtsprechung des BGH – aller Strafsenate – zu den Rechtsfolgen rechtsstaatswidriger Tatprovokation aufgegeben worden, nachdem der EGMR entschieden hatte, diese ständige Rechtsprechung widerspreche der Menschenrechtskonvention. Welche persönliche Erklärung sollte denn dazu ein Richter abgeben? Die Rechtslage hat sich geändert; unter Berücksichtigung des Europarechts hat der Senat entschieden wie geschehen. Weder wenn ich "dafür" noch wenn ich "dagegen" war, hätte es irgendetwas zu erklären gegeben.

Ich wiederhole: Ein vollkommen absurder "Vorwurf"! Er zeigt, wenn überhaupt, allenfalls ein krampfhaftes Bemühen, in jede beliebige Äußerung oder Diensthandlung des Vorsitzenden des 2. Strafsenats irgendein "Geheimnis" oder am besten eine Art von "Skandal" hineinzuinterpretieren.

Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Interview mit Thomas Fischer: "Wenn Protest gegen Unsinn mich zum Rebell macht, bin ich gern einer" . In: Legal Tribune Online, 14.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16207/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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