Neonazi-Richter aus dem Dienst entlassen: Bayern denkt über Regelabfrage nach

15.10.2014

Verfassungsschutz und Justiz in Bayern kommen nicht aus den Schlagzeilen. Auch nach der Entlassung des Neonazis aus Brandenburg aus dem Richterdienst im oberfränkischen Lichtenfels bleibt die Frage, wie  ein dem Verfassungschutz bekannter Mann mit rechtsextremer Vergangenheit in die Justiz kommen kann. Bayerns Justizminister Bausback will den längst begrabenen Regelcheck von Bewerbern beim Verfassungsschutz wieder einführen.

Eine Überraschung war es nicht, was das Oberlandesgericht (OLG) Bamberg am Dienstag Abend vermeldete. Der Proberichter des Amtsgerichts (AG) Lichtenfels sei nach einer Anhörung aus dem Dienst entlassen worden. Er habe selbst darum gebeten, so die Mitteilung des Gerichts. Details aus dem Gespräch zwischen dem OLG-Präsidenten und Maik B., dessen rechtsextreme Vergangenheit vor wenigen Tagen bekannt wurde, wollte das Gericht nicht übermitteln. Fest steht: Maik B. wird keine Sitzungen mehr abhalten und nicht länger Urteile sprechen.

Erledigt dürfte die Sache damit natürlich nicht sein. Das Gebot der Stunde in Bayern heißt Schadensbegrenzung - mal wieder. In den vergangenen Jahren hat das Ansehen von Verfassungsschutz und Justiz im Freistaat gelitten. Maßgeblich verantwortlich dafür waren unter anderem die jahrelang erfolglose Suche nach den rechtsextremen NSU-Serienmördern und der Fall Gustl Mollath, der jahrelang zwangsweise in der Psychiatrie eingesperrt war. Nun kam die Richtertätigkeit von Maik B. ans Licht, der in seiner Studentenzeit in Brandenburg Sänger mehrerer rechtsradikaler Bands war- eines der Projekte hieß "Hassgesang".

Wenn ein Neonazi in Bayern Recht sprechen konnte, ohne dass es Verfassungsschutz und Justizapparat merkten, wäre das ein weiterer Rufschaden. Justizminister Winfried Bausback (CSU) weiß, dass schnelles Handeln nötig ist, um Schlimmeres zu vermeiden. Deswegen kündigte er schon am Montag an, dass Amtsrichter Maik B. seinen Job verlieren müsse, sofern sich die Vorwürfe bestätigen. In Bayern und auch und gerade in der bayerischen Justiz sei kein Platz für Rechtsextremismus, Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit, so Justizminister Bausback.

Bayreuther Polizist bringt Stein ins Rollen

Der Lichtenfelser Richter befand sich noch in der Probezeit. Bei der Einstellung wurde er - wie jeder angehende Staatsanwalt und Richter - gefragt, ob er Mitglied einer verfassungsfeindlichen Organisation ist. Seine rechtsextreme Vergangenheit hatte er offenbar verschwiegen. Allein das stellt einen Entlassungsgrund dar.

Dass sie dennoch aufgedeckt wurde, ist hauptsächlich einem aufmerksamen Polizisten zu verdanken. Im Februar hatte der Brandenburger Verfassungsschutz, welcher Maik B. in den Jahren 2003 bis 2013 in seinen Berichten erwähnte, sein bayerisches Pendant informiert, dass der Extremist seinen Wohnsitz in den Freistaat verlegt habe. Die Münchner Verfassungsschützer fanden zwar keinen Hinweis, dass B. sich in der rechten Szene bewegte, informierten nach Angaben des Innenministeriums aber den Staatsschutz bei der Polizei.

Ende September erstattete der Richter Anzeige, nachdem sein Spind aufgebrochen worden war - ein Fall von Alltagskriminalität. Einem Bayreuther Polizisten kam sein Name bekannt vor, er ging der Sache nach. So kam heraus, dass der aus Brandenburg nach Oberfranken gezogene Extremist mittlerweile als Richter tätig war.

Der Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr sieht bereits ein ähnliches Versagen wie im NSU-Skandal: "derselbe Pfusch". Wie ein Sprecher des Innenministeriums in München am Dienstag sagte, überprüfte der bayerische Verfassungsschutz Maik B. zwar nach dem Hinweis aus Brandenburg. Die Sicherheitsbehörden prüften aber offenbar nicht, ob B. im öffentlichen Dienst war. Bisher sind Rechtsextremisten in der Regel nur bei der Bundeswehr aufgefallen, nicht aber im Justizapparat.

In Brandenburg war Maik B. seit Jahren bekannt - er wohnte früher in Teltow bei Berlin und veröffentlichte nach Recherchen der linken "Antifa Berlin" seine erste CD im Jahr 2001. "Adolf Hitler, Sieg Heil tönt zu Dir empor", soll er vor Jahren gedichtet und gesungen haben. Bei "Hassgesang" handelte es sich wohl im Wesentlichen um ein Ein-Mann-Projekt.

Wiedereinführung des Radikalenerlasses gefordert

Bausback und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) versuchen nun, aus der Defensive zu kommen. Ihr Vorschlag birgt Zündstoff: Er läuft auf eine Wiedereinführung des Radikalenerlasses aus den siebziger Jahren hinaus. Bausback fordert vor der Einstellung von Richtern und Staatsanwälten wieder eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz. "Darüber müssen wir diskutieren", sagt er.

Sein Chef, Ministerpräsident Horst Seehofer, zeigte sich am Dienstag allerdings weniger begeistert von der Idee seiner Parteikollegen. Er habe Bedenken, wegen eines Einzelfalls einen solchen "Eingriff" vorzunehmen, sagte er während eines Besuchs bei einer Rüstungsfirma.

Der Radikalenerlass war 1972 durch Bundeskanzler Willy Brandt gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder beschlossen worden. Damit wurde festgelegt, dass die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation Zweifel an der Verfassungstreue des Beamtenanwärters begründe. Eine Ablehnung war also gerechtfertigt. Entsprechende Informationen über die Anwärter holten sich die Behörden mittels einer sogenannten Regelanfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz, provisorisch und ohne jeden Anhaltspunkt.

Allzu lange hielt sich diese Praxis jedoch nicht. Brandts Nachfolger Helmut Schmidt stellte sehr bald fest, dass mit "Kanonen auf Spatzen geschossen" werde und kündigte 1976 den mit den Ländern erlassenen Beschluss einseitig auf. Die Bundesländer selbst hielten zwar zunächst an der Regelabfrage fest. Doch mit immer größer werdender Kritik sahen auch diese nach und nach von der "Gesinnungsschnüffelei", wie es einst SPD-Politiker Herbert Wehner nannte und aktuell die Opposition im Bayerischen Landtag beschreibt, ab.

"Gesinnungsschnüffelei" oder "wehrhafte Demokratie"?

Als letztes Land verabschiedete sich ausgerechnet Bayern von der umstrittenen Methode. Seit 1991 haben Bewerber lediglich in einem Fragebogen zu erklären, ob sie jemals Mitglied einer "extremistischen oder extremistisch beeinflussten" Organisation waren. Der nun bekannt gewordene Fall Maik B. entfacht jedenfalls im Freistaat neues Diskussionspotenzial. Denn eine Anfrage beim Verfassungsschutz ist den Behörden zwar nach wie vor nicht verwehrt. Ohne Anhaltspunkte bleibt diese aber in aller Regel aus. Wie Spiegel-Online berichtete, hatte das Justizministerium diese auch bezüglich des Lichtenfelser Amtsrichters erst nachträglich gestellt.

Viel zu spät, findet die Opposition, was wiederum Justizminister Bausback nicht nachvollziehen will. Der CSU-Politiker verweist darauf, dass SPD und Grüne noch in der vergangenen Wahlperiode forderten, bei der Einstellung neuer Beamter auf die Frage nach der Verfassungstreue grundsätzlich zu verzichten - mit dem Argument der Gesinnungsschnüffelei.  "Das hat nichts mit Gesinnungsschnüffelei zu tun", sagt Bausback, "sondern mit wehrhafter Demokratie." Für Amtsrichter Maik B. bedeutete das Bekenntnis zur wehrhaften Demokratie jedenfalls, dass seine Amtszeit als Staatsdiener am Dienstag  endete.

una/LTO-Redaktion

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Neonazi-Richter aus dem Dienst entlassen: Bayern denkt über Regelabfrage nach . In: Legal Tribune Online, 15.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13484/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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