Aids-Zwangstests in Sachsen-Anhalt: Kein Grund zur Hysterie

von Thomas Traub

03.12.2012

2/2: Unbestimmte Rechtsbegriffe im Polizeirecht üblich

Allerdings muss der Test auch im Einzelfall verhältnismäßig sein. Es mag insofern problematisch erscheinen, dass der Gesetzentwurf die Voraussetzungen für eine körperliche Untersuchung nur recht vage umschreibt. Verlangt werden Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass von einer Person eine Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person ausgegangen ist.

Allerdings sind solche unbestimmten Rechtsbegriffe im Polizeirecht keine Seltenheit. Das allgemeine Polizeirecht dient schließlich der Abwehr von Gefahren, die nicht bereits von speziellen gesetzlichen Regelungen wie dem Umwelt-, Gewerbe- oder Versammlungsrecht erfasst sind. Die Formulierung speziellerer Tatbestandsvoraussetzungen ist angesichts der Vielfalt der Lebenssachverhalte kaum möglich, soll nicht die Effektivität der Gefahrenabwehr darunter leiden.

Risikogruppen werden nicht diskriminiert

Ein wichtiges Instrument, um die verhältnismäßige Anwendung einer Ermächtigungsgrundlage auch im Einzelfall zu gewährleisten, ist der Richtervorbehalt. Einen solchen sieht auch das geplante Gesetz vor. Damit wird die vorbeugende Kontrolle einer körperlichen Untersuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz sichergestellt.

Besondere Empörung hat der Gesetzentwurf deshalb ausgelöst, weil damit angeblich bestimmte vermeintliche Risikogruppen wie Homosexuelle oder Ausländer diskriminierend behandelt würden. Allerdings enthält weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Gesetzesbegründung irgendeinen Anhaltspunkt dafür, eine solche pauschalierende Ungleichbehandlung zu legitimieren. Ganz im Gegenteil verbietet das Sicherheits- und Ordnungsgesetz Sachsen-Anhalt in § 6 sogar ausdrücklich eine Benachteiligung wegen der Abstammung, der Herkunft und der sexuellen Identität. Die Gefahr muss also im Einzelfall durch konkrete Umstände begründet werden und darf nicht allein aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe abgeleitet werden.

Das Recht auf Nichtwissen

Gleich doppelt betroffen durch eine medizinische Zwangsdiagnostik ist schließlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Jeder hat ein Recht auf Nichtwissen. Es steht jedem frei, von dem Ergebnis einer medizinischen Diagnose verschont zu bleiben und weiterhin in Unkenntnis über eine Erkrankung zu leben. Dementsprechend soll über die Ergebnisse der Untersuchung auch nur derjenige informiert werden, der dies ausdrücklich wünscht.

Auch datenschutzrechtlich gibt das geplante Gesetz keinen Anlass für Kritik. Die Verwendung der erhobenen Daten soll ausschließlich für den Zweck erlaubt werden, eine medizinische Behandlung der möglicherweise infizierten Person zu planen. Die Daten müssen anschließend unverzüglich gelöscht werden.

Keine negativen Erfahrungen in anderen Bundesländern

Wie unspektakulär der Gesetzentwurf aus rechtlicher Sicht letztlich ist, zeigt schließlich ein Blick auf die Rechtslage der übrigen Bundesländer. In Mecklenburg-Vorpommern und in Niedersachsen gibt es Vorschriften, die der geplanten Regelung in Sachsen-Anhalt bis ins Detail entsprechen.

Gerichtliche Entscheidungen, die auf eine unverhältnismäßige Ausübung dieser Befugnis durch die Polizei schließen lassen, findet man nicht.

Insgesamt sind die heftigen Reaktionen, die der Entwurf hervorgerufen hat, also nicht gerechtfertigt. Das Gesetz selbst ist verfassungsgemäß. Polizeibehörden und Gerichte haben die Aufgabe, es auch im Einzelfall verhältnismäßig anzuwenden.

Der Autor Thomas Traub ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Kirchenrecht der Universität zu Köln.

Zitiervorschlag

Thomas Traub, Aids-Zwangstests in Sachsen-Anhalt: Kein Grund zur Hysterie . In: Legal Tribune Online, 03.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7694/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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