Für Empörung sorgte zum Ende der vergangenen Woche eine geplante Änderung des Polizeigesetzes in Sachsen-Anhalt. In den Medien war zu lesen, dass dort künftig Risikogruppen zwangsweise auf HIV und Hepatitis-Infektionen getestet werden sollten. Thomas Traub hat an dem Gesetzentwurf wenig auszusetzen – die verfassungsmäßige Anwendung ist das Entscheidende.
Sachsen-Anhalt will sein Polizeigesetz um eine Ermächtigungsgrundlage für die Durchführung unfreiwilliger HIV-Tests erweitern. Der entsprechende Gesetzentwurf ist nicht erst seit dem vergangenen Freitag in der parlamentarischen Diskussion und er ist auch nicht der erste seiner Art. In anderen Bundesländern gelten entsprechende Ermächtigungen längst. Dennoch löste das Vorhaben erst jetzt nach einem Bericht in der Mitteldeutschen Zeitung zahlreiche Reaktionen von Aids-Hilfe, Schwulen- und Lesbenverband aus.
Die Kritik ist deutlich. Von einer unerträglichen Stigmatisierung einzelner Bevölkerungsgruppen spricht selbst die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die eher für ausgewogene als alarmistische Stellungnahmen bekannt ist. Es lasse sich kaum aufzählen, wie viele Grundrechte solche HIV- und Hepatitis-Zwangstests verletzen würden.
Polizisten und Sanitäter besser schützen
Und tatsächlich: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, der Gleichheitsgrundsatz, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und nicht zuletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – die Reihe der betroffenen Grundrechte ist lang. Doch ein näherer Blick auf den Wortlaut des Gesetzentwurfes führt zu einer beruhigenden Prognose: Wendet die Polizei das Gesetz ordnungsgemäß an, wird es nicht zu Grundrechtsverletzungen kommen.
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art.2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) schützt die körperliche Integrität umfassend. Schon ein Nadelstich und die unfreiwillige Abnahme von Blut sind ein Eingriff. Doch wird das Grundrecht nicht schrankenlos gewährleistet. Gerechtfertigt ist etwa die Blutentnahme, um die Alkoholkonzentration beim Verdacht einer Trunkenheitsfahr zu bestimmen (§ 81a Strafprozessordnung), da damit einer effektiven Strafverfolgung gedient ist.
Auch mit den Zwangstests verfolgt die Landesregierung ein legitimes Ziel. Sie will Personen besser schützen, die einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt sind. Das sind beispielsweise Polizisten und Sanitäter, die sich an Spritzen verletzten oder deren eigene offene Wunden mit Körperflüssigkeiten von Unfallopfern in Berührung kommen können.
Frühzeitige Kenntnis ermöglicht Prophylaxe
Eine Blutentnahme zur Feststellung besonders gefährlicher Krankheitserreger soll in Zukunft auch gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden können, damit frühzeitig Klarheit über das Infektionsrisiko herrscht.
Die frühzeitige Kenntnis eines Infektionsrisikos ermöglicht eine Postexpositionsprophylaxe; das heißt, etwa eine Impfung oder die Einnahme spezieller Medikamente kurz nach einem Kontakt mit Hepatitis B-Erregern oder dem HI-Virus, um die Infektionsgefahr zu verringern oder zumindest den Verlauf der Krankheit abzumildern.
Diese Motivation kann einen Zwangstest durchaus rechtfertigen. Es darf nicht vergessen werden, dass der Staat auch eine Schutzpflicht für die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger hat, in diesem Fall gegenüber den Polizisten und Sanitätern: Er muss sich schützend und fördernd vor das Grundrecht stellen und es auch vor Verletzungen durch Dritte schützen.
2/2: Unbestimmte Rechtsbegriffe im Polizeirecht üblich
Allerdings muss der Test auch im Einzelfall verhältnismäßig sein. Es mag insofern problematisch erscheinen, dass der Gesetzentwurf die Voraussetzungen für eine körperliche Untersuchung nur recht vage umschreibt. Verlangt werden Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass von einer Person eine Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person ausgegangen ist.
Allerdings sind solche unbestimmten Rechtsbegriffe im Polizeirecht keine Seltenheit. Das allgemeine Polizeirecht dient schließlich der Abwehr von Gefahren, die nicht bereits von speziellen gesetzlichen Regelungen wie dem Umwelt-, Gewerbe- oder Versammlungsrecht erfasst sind. Die Formulierung speziellerer Tatbestandsvoraussetzungen ist angesichts der Vielfalt der Lebenssachverhalte kaum möglich, soll nicht die Effektivität der Gefahrenabwehr darunter leiden.
Risikogruppen werden nicht diskriminiert
Ein wichtiges Instrument, um die verhältnismäßige Anwendung einer Ermächtigungsgrundlage auch im Einzelfall zu gewährleisten, ist der Richtervorbehalt. Einen solchen sieht auch das geplante Gesetz vor. Damit wird die vorbeugende Kontrolle einer körperlichen Untersuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz sichergestellt.
Besondere Empörung hat der Gesetzentwurf deshalb ausgelöst, weil damit angeblich bestimmte vermeintliche Risikogruppen wie Homosexuelle oder Ausländer diskriminierend behandelt würden. Allerdings enthält weder der Wortlaut des Gesetzes noch die Gesetzesbegründung irgendeinen Anhaltspunkt dafür, eine solche pauschalierende Ungleichbehandlung zu legitimieren. Ganz im Gegenteil verbietet das Sicherheits- und Ordnungsgesetz Sachsen-Anhalt in § 6 sogar ausdrücklich eine Benachteiligung wegen der Abstammung, der Herkunft und der sexuellen Identität. Die Gefahr muss also im Einzelfall durch konkrete Umstände begründet werden und darf nicht allein aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe abgeleitet werden.
Das Recht auf Nichtwissen
Gleich doppelt betroffen durch eine medizinische Zwangsdiagnostik ist schließlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Jeder hat ein Recht auf Nichtwissen. Es steht jedem frei, von dem Ergebnis einer medizinischen Diagnose verschont zu bleiben und weiterhin in Unkenntnis über eine Erkrankung zu leben. Dementsprechend soll über die Ergebnisse der Untersuchung auch nur derjenige informiert werden, der dies ausdrücklich wünscht.
Auch datenschutzrechtlich gibt das geplante Gesetz keinen Anlass für Kritik. Die Verwendung der erhobenen Daten soll ausschließlich für den Zweck erlaubt werden, eine medizinische Behandlung der möglicherweise infizierten Person zu planen. Die Daten müssen anschließend unverzüglich gelöscht werden.
Keine negativen Erfahrungen in anderen Bundesländern
Wie unspektakulär der Gesetzentwurf aus rechtlicher Sicht letztlich ist, zeigt schließlich ein Blick auf die Rechtslage der übrigen Bundesländer. In Mecklenburg-Vorpommern und in Niedersachsen gibt es Vorschriften, die der geplanten Regelung in Sachsen-Anhalt bis ins Detail entsprechen.
Gerichtliche Entscheidungen, die auf eine unverhältnismäßige Ausübung dieser Befugnis durch die Polizei schließen lassen, findet man nicht.
Insgesamt sind die heftigen Reaktionen, die der Entwurf hervorgerufen hat, also nicht gerechtfertigt. Das Gesetz selbst ist verfassungsgemäß. Polizeibehörden und Gerichte haben die Aufgabe, es auch im Einzelfall verhältnismäßig anzuwenden.
Der Autor Thomas Traub ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Kirchenrecht der Universität zu Köln.
Thomas Traub, Aids-Zwangstests in Sachsen-Anhalt: Kein Grund zur Hysterie . In: Legal Tribune Online, 03.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7694/ (abgerufen am: 28.05.2023 )
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