Recht und Sprache: Beschei­dener Vor­schlag zur Stär­kung poli­tisch kor­rekten Sprach­ge­brauchs

von Martin Rath

06.05.2018

Es gilt heute fast als Rechtspflicht, Wörter zu meiden, die Menschen verletzen oder sie als Inhaber von Geschlechtsorganen fühlen lassen könnten, falsch angesprochen zu sein. Die Ethnolinguistik weist hierzu einen erfrischenden Lösungsweg.

Wer geschäftsmäßig mit dem Recht zu schaffen hat, kommt um das längst leidige Thema nicht herum: Welcher Gebrauch der deutschen Sprache ist hinreichend geschlechtersensibel und frei von moralisch anstößigen Begriffen?

Eigentlich sollte das Thema längst seinen Zenit überschritten haben, so dass die teure Redezeit in Parlamenten und Talkshows eher dem Verfall von Straßen und Schulen, dem Ausbau von Schienenwegen und Glasfaserkabeln als der sprachlichen Moralität gewidmet werden könnte.

Dem ist nicht so. Allein in den vergangenen Tagen ließ die Fernsehjournalistin Sandra Maischberger in ihrer Talkshow u.a. den evangelikalen TV-Prediger Peter Hahne dem mitunter moralisch abgelehnten Wort "Zigeunerschnitzel" nachtrauern, die saarländische "Linken"-Kommunalpolitikerin Marlies Krämer, Klägerin gegen das Fehlen von "-in"-Wendungen in Sparkassen-Vordrucken, erlebte nicht zum ersten Mal, dass der Streit um gendersensible Sprache in Deutschland zu maximaler Medienreichweite genügt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung klärte der emeritierte Sprachwissenschaftler Helmut Glück derweil noch einmal darüber auf, dass im Deutschen "Personenbezeichnungen (…) generisch maskulin, also nicht sexusmarkiert" seien.

Juristen (m/w) von Berufs wegen bestraft

Glücks Einwand wirkt aus mehr als einem Grund anrührend aus der Zeit gefallen. Zunächst dürfte es in weiten, akademisch gebildeten Kreisen als ausgemacht gelten, was der Linguist  Anatol Stefanowitsch vermutlich sehr viel reichweitenstärker zum generischen Maskulinum behauptete: Es nehme Frauen "natürlich" aus.

In der Sprache der Jurisprudenz steht die Verteidigung einer Neutralform von Personenbezeichnungen längst auf verlorenem Posten. So hatte z.B. die Landesregierung Nordrhein-Westfalens bereits 1993 auf dem Verordnungswege, der NRW-Gesetzgeber 1999 in § 4 Landesgleichstellungsgesetz verfügt, dass die Rechtsvorschriften des Landes, die dienstliche Kommunikation sowie Vordrucke "sprachlich der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung" zu tragen bzw. "geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zu verwenden" haben.

Der Idee, dass das generische Maskulinum eine genderneutrale Bezeichnung sein könnte, entsagte der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hier mit der Auskunft, dass "die weibliche und die männliche Sprachform zu verwenden" sei, wenn eine "geschlechtsneutrale Personenbezeichnung" nicht gefunden werden kann.

Legislatives Kuriositätenkabinett

Bemühungen, es ohne gesetzgeberischen Zwang gendersensibel hinzubekommen, ist seither mancher Weg verbaut. Ein Beispiel für eine rhetorisch gefällige Lösung gab etwa die Dissertation von Ines Sabine Roellecke aus dem Jahr 1996, in der die (generisch) rein maskuline Sprache des damaligen Ausländerrechts kontrastiert wurde, indem Roellecke in ihren referierenden und kommentierenden Aussagen durchgängig das Femininum verwendete.

Solchen rhetorisch gefälligen, gut zu lesenden und doch um die statistische Sichtbarkeit von Frauen und Männern im Text besorgten Übungen machte seither nicht nur der Gesetzgeber des wichtigsten deutschen Bundeslandes den Garaus.

Über das legislative Kuriositätenkabinett, in dem beispielsweise der von dem NS-Juristen Roland Freisler 1941 eingeführte Begriff "Mörder" als generisches Maskulinum musealen Bestandsschutz genießt, während die unter der sozialliberalen Regierung Willy Brandts 1970 novellierte Straßenverkehrsordnung im Jahr 2003 u.a. vom "Fußgänger" und "Radfahrer" befreit werden musste – als ob Frauen zuvor im öffentlichen Straßenraum herumschwebten – ist erschöpfend berichtet worden.

Unerschöpfliches Streitthema

Die hohe Prävalenz des generischen Maskulinums bzw. der als männlich zu brandmarkender Formen, bietet schier unerschöpflichen Streitstoff:

Helmut Glück führt im erwähnten FAZ-Artikel an, es sei "absurd", solche Formen wie "Bürger- und Bürgerinnenmeister und -meisterin" zu bilden. Das ist eine optimistische Annahme. Bekanntlich können schon heute so freundliche Sätze wie: "Der Kunde kann sich darauf verlassen, dass die Sparkasse seine Aufträge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns ausführt und das Bankgeheimnis wahrt" bis vor den Bundesgerichtshof und in die Primetime-Programme von ARD und ZDF führen – mangels Gendersensibilität, nicht etwa wegen geschädigter Kundschaft. Ein Rechtsstreit um Schülerinnen- und Schülersprecherinnen und -sprecher mag da nur eine Frage der Zeit sein.

Mit radikalen Versuchen, mittels Unterstrich oder Gender-Asterisk ("Schüler_innen", "Lehrer*innen") wird zwar der reinen Lehre der Geschlechtergerechtigkeit gedient. Zugleich wirkt sich derlei – soweit sich das anhand der anekdotischen Evidenz einiger hundert selbst beobachteter Fälle sagen lässt – für geistig Behinderte sowie für Menschen, deren Großeltern nicht aus Deutschland kommen ("Menschen mit Migrationshintergrund") als soziale Barriere aus: Kaum hat sich die Gastarbeitertochter an der Universität halbwegs auf die von jeher bestehenden "feinen Unterschiede" (Bourdieu) der akademischen Sprache und Lebenswelt eingestellt, muss sie herausfinden, wie viele Gendersternchen angemessen sind oder ob es die Gefühle ihrer sprachradikalen Dozentin verletzt, wenn sie auch beim § 211 StGB der Doktrin gemäß gendert.

Toxische Vokabeln und Redewendungen

Hinzu kommt ein weites Feld von Wörtern, die kaum weniger dazu taugen, als Zeichen fehlender Wertschätzung wahrgenommen zu werden und juristische bzw. rechtspolitische Streitigkeiten nach sich ziehen, Wörter vom Kaliber "Mohrenkopf" und "Zigeunerschnitzel", "Eskimo" oder "Neger".
In einer zänkischen Gesellschaft kann selbst das heute noch gut gemeinte „Person of Color“ schnell zum rassistischen Anachronismus umgefärbt werden. Geusenwörter ("Lesbe", "schwul") zu bilden, fällt schwer, wenn das Arbeits- und Strafrecht den Anreiz setzt, die affektive Verletzung in den 10-Minuten-Ruhm einer Marlies Krämer auszumünzen.

Ein beredtes Bespiel dafür, dass im Deutschen das Streitpotenzial nicht beseitigt ist, wenn Anführungszeichen gesetzt, aber nicht gesprochen werden, gab schon vor 30 Jahren der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger mit seiner Ansprache zum 50. Jahrestag der "Reichskristallnacht" – ihm missriet, wenn auch nicht allein, die Betonung toxischer Vokabeln und Redewendungen.

isiXhosa statt Sternchen und Unterstrichen?

Angesichts des Konfliktpotenzials, das aus Wörtern gebraut wird, die von mehr oder minder großen Gruppen der inländischen Bevölkerung für toxisch gehalten werden, ist es lehrreich, auf Sprachen und Ethnien zu schauen, die mit diesem Problem gründlicher vertraut sind. Viel einfacher haben es hier z.B. jene rund neun Millionen Menschen, die sich der südafrikanischen Amtssprache isiXhosa bedienen.

Damit hat es folgende Bewandtnis: Das isiXhosa enthält sogenannte Schnalz- oder Klicklaute, die von Muttersprachlern gerne vorgestellt werden und die man sich besser einmal kurz selbst anhört. Anderen Bantu-Sprachen, zu denen das isiXhosa zählt, sind diese Klicklaute fremd.

In einem unter Ethnologen weltberühmten Aufsatz, "The Sociohistory of Clicks in Southern Bantu" (1990), beschrieb der amerikanische Linguist  Robert K. Herbert (1951–2007), wie diese Klicklaute u.a. ins isiXhosa kamen: Unter den Xhosa existieren bis heute einige – aus europäischer Sicht kuriose – soziale Tabus, beispielsweise zur Meidung der Schwiegermutter oder des Schwiegervaters. Diese reichen so weit, dass beispielsweise mit dem Namen eines solchen Menschen verwandte Wörter, Wörter aus der gleichen Sprachwurzel oder auch ähnlich klingende Wörter vermieden werden.

Die daraus resultierende sogenannte Meidungssprache engt das Ausdrucksvermögen sehr ein – ein Grund wohl, aus dem sich Gendersensible hierzulande eher an Behördensprache denn an schöner Literatur zu schaffen machen. Um tabuisierte Wörter vermeiden zu können, integrierten, so Herbert, frühere isiXhosa-Generationen die Klicklaute aus den benachbarten Khoisan-Sprachen – früher als "Buschleute" bekannt – in ihr Repertoire.

Wenn die Teufelin nicht mehr in den Karton passt

Sollte sich der Springteufel der sprachpolitischen Erregungszustände nicht zurück in den Karton falten lassen – in Frankreich wurde der Versuch unlängst unternommen – wäre dies nun der bescheidene Vorschlag: Die International Phonetic Association kennt fünf Klicklaute, denen sie jeweils eines der bekannten IPA-Zeichen zuordnet.

Dem Deutschmuttersprachler fällt es zwar regelmäßig schwer, diese Laute zu bilden, doch verlaufen Streitigkeiten über geschlechter- oder allgemein sensible, potenziell toxische Wörter zumeist schriftsprachlich, online, ohne Zwischentöne, arm an Ambiguitätstoleranz.

Im Schriftsprachlichen könnte künftig z.B. ein potenziell frauenfeindlich zu lesender Satz wie: "Dem Ingenieur ist nichts zu schwör", beim Wort "Ingenieur" mit Klicklaut markiert werden. Es wäre nur eine Konvention darüber herzustellen, welcher Klicklaut bzw. welches IPA-Symbol wann jeweils Zustimmung, Ablehnung, Ironie, männ- oder weibliche Betroffenheit oder ein amtliches Sensibilitätsbewusstsein für potenzielle Worttoxizität ausdrückt.

Sollte sich dies in der gehoben-verschroben akademischen Sprache durchsetzen, wäre eine Ausweitung auf den Behördenverkehr, dann die Gesetzgebung in Angriff zu nehmen. In stilistischer und pragmatischer Hinsicht, nicht zuletzt mit Blick auf das Vertrauen, das man einander auch im Streit der "res publica" schuldet, ist das natürlich die Hölle – quälen könnten sich damit aber alle ihrer Insassen, nicht bloß die, die sich zuerst verletzt fühlen.

Hinweis: Der Titel dieses Essays ist unbescheiden bei Jonathan Swift ausgeborgt: "A Modest Proposal: For Preventing the Children of Poor People in Ireland from Being a Burden".

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Recht und Sprache: Bescheidener Vorschlag zur Stärkung politisch korrekten Sprachgebrauchs . In: Legal Tribune Online, 06.05.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28473/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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