Absurde Verträge: Woran das Recht glaubt

von Dr. Markus Sehl

21.08.2013

Kartenlegen, Exorzismus, "Schwarze Löcher". Wie gefährlich ist Voodoo und muss der Staat seine Bürger vor apokalyptischen Prophezeiungen schützen? Die Rechtsordnung bekommt es immer wieder auch mit übersinnlichen Phänomenen zu tun. Maximilian Becker begibt sich in seiner Dissertation für das Zivilrecht an die Grenzen des Möglichen.

Nach einer aktuellen Studie des Wissenschaftsrats werden in Deutschland jedes Jahr über 1.500 juristische Dissertationen abgeschlossen. Nach den Promotionsordnungen der Universitäten müssen diese Arbeiten auch veröffentlicht werden.

Neben Titeln, die "Quo vadis WpHG, KrW-/AbfG, WRMG" und ähnliches fragen, fällt eine Neuerscheinung besonders auf: "Absurde Verträge". Maximilian Becker, der mittlerweile Juniorprofessor für Zivilrecht in Siegen ist, begibt sich mit seiner ungewöhnlichen Dissertation an eine äußere Grenze des Rechts.

Kartenlegefall Auslöser für die Dissertation

Kartenlegen, Astrologie oder Esoterik. Was ist noch möglich für die Rechtsordnung? Und wo verläuft die Grenze? Ausgangspunkt für Beckers Arbeit ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. Januar 2011 (Az. Az. III ZR 87/10) . Der in eine Lebenskrise geratene Beklagte hatte sich immer wieder – allein im Januar 2009 angeblich 217 Mal – telefonische Beratung von einer Kartenlegerin versprochen.

Als es zum Rechtsstreit um die ausstehenden Honoraransprüche kam, verließ ihn aber sein Vertrauen in die magische Kraft der Karten. Nun bestritt er, dass eine solche Leistung überhaupt objektiv möglich und er damit zur Zahlung verpflichtet sei. Der BGH entschied schließlich, dass Kartenlesen zwar eine "unmögliche" Leistung sei, der Beklagte aber das noch ausstehende Honorar von über 6.000 Euro trotzdem zahlen müsse.

"Dieser Fall war für mich der Auslöser, mich mit dem Phänomen absurde Verträge zu beschäftigen", sagt Becker. Darunter fallen für ihn Verträge über Leistungen, deren Unmöglichkeit dem Durchschnittverbraucher bei Vertragsschluss bereits offensichtlich sein muss.

Bemerkenswert erscheint dem Juniorprofessor, dass in der angesprochenen BGH-Entscheidung eine Wertverschiebung zu einem generellen Prinzip im Zivilrecht liege. Während nach § 326 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch der Schuldner grundsätzlich für seine Leistung auch selbst verantwortlich sei, kehre sich das Verhältnis mit dem Kartenlegefall um.

Absurde Verträge sind keine Kuriosität

Was nach einer juristischen Kuriosität klingt, wächst sich auf den zweiten Blick schnell zu einer umfangreichen Fallgruppe aus. Der geschätzte Jahresumsatz auf dem deutschen Esoterikmarkt reicht von einem zweistelligen Millionenbetrag bis in die Milliarden. Becker weist auch auf die zahlreichen Esoterik-Messen, Internetangebote und sogar Studiengänge an staatlichen Hochschulen hin, wie zum Beispiel das "Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften" in Frankfurt/Oder.

Bei okkulten Handlungen können Verbraucher noch leicht erkennen, wo die Grenzen des Möglichen verlaufen. Bei esoterischen Anwendungen, physikalischen Versuchen und Experimentalmedizin wird das zunehmend schwerer. Die Rechtsordnung weist selbst Einbruchstellen für umstrittene Lehren auf. So erinnert Becker daran, dass seit 2006 gesetzliche Krankenversicherungen die Kosten für bestimmte Akupunktur-Anwendungen übernehmen.

Auch § 2 des Sozialgesetzbuchs V sieht für Patienten "besondere Therapierichtungen" vor, die homöopathische und anthroposophische Arzneimittel einbeziehen. Das Recht kann diese Entwicklungen also nicht ausblenden und muss festlegen, welche Phänomene es ernst nimmt und welche rechtlichen Folgen es daran knüpfen will.

Die mit dem Förderpreis der Universität Siegen ausgezeichnete Dissertation macht als zentrale Grenzmarkierung die wissenschaftliche Unmöglichkeit aus. Was zunächst als bloße Überweisung des Problems an die Naturwissenschaften erscheint, wird von Becker in der Tiefe ausgeleuchtet. "Da ich mich privat schon seit längerem für Philosophie und Wissenschaftstheorie interessiere, reizte mich vor allem der Konflikt unterschiedlicher Realitätsauffassungen."

Totbeten, Verhexen oder Voodoo und das Strafrecht

Mit unterschiedlichen Realitätsauffassungen hatte es auch das Landgericht (LG) Mannheim Anfang der 90er Jahre zu tun. Für offenkundig unmöglich hielt das Gericht einen Vertrag über eine "Teufelsaustreibung" und verurteilte die Anbieterin wegen der bewussten Ausnutzung ihres Opfers (Urt. v. 30.04.1992, Az. (12) 4 Ns 80/91). Nicht nur das Zivilrecht hat es also mit übersinnlichen Phänomenen zu tun, auch das Strafrecht muss immer wieder entscheiden, was wissenschaftlich möglich oder unmöglich ist.

Ob Totbeten, Verhexen oder Voodoo. Das Strafrecht muss klären, wann eine Tathandlung derart ungefährlich ist, dass sie nicht mehr strafwürdig ist. Die Trennlinie verläuft hier zwischen einem grob unverständigen, aber strafbaren Versuch und dem abergläubischen "Versuch", der nicht mal mehr als untauglicher Versuch strafbar sein kann. "Die Rechtsordnung nimmt Versuche, die auf Realitätsauffassungen beruhen, die vom naturwissenschaftlichen Horizont allzu weit abweichen, schlicht nicht ernst", so Becker.

Schließlich hatte sich auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2010 mit der Frage zu beschäftigen, ob die Bundesregierung ihre Bürger auch vor "Schwarzen Löchern" schützen muss. Die Beschwerdeführerin befürchtete, dass Experimente am Kernforschungszentrum im schweizerischen Genf eine apokalyptische Kettenreaktion auslösen, die zum Erkalten der Sonne und zur Vernichtung der Erde durch sogenannte "Schwarze Löcher" führen könnte.

Die Vernichtung der Erde vor dem BVerfG

Obwohl sich die Verfassungsbeschwerde auf eine wissenschaftliche Stellungnahme stützte, waren weder die Fachgerichte noch das BVerfG von einer realen Gefährdung überzeugt. Es fehle an der ausreichend substantiierten Darlegung, dass eine Grundrechtsverletzung überhaupt möglich sei. Unbeeindruckt stellt das Gericht fest: "Die Größe eines vermeintlichen Schadens – hier die Vernichtung der Erde – erlaubt keinen Verzicht auf die Darlegung, dass ein wenigstens hypothetisch denkbarer Zusammenhang zwischen der Versuchsreihe und dem Schadensereignis besteht" (Beschl. v. 18.02.1010, Az. 2 BvR 2502/08).

Kurz nach der Jahrtausendwende wandte sich eine Gruppe von Schülern an das BVerfG. Sorgen machte ihr der seinerzeit in Florida bevorstehende Start der "Cassini/Huygens-Mission" zum Saturn. Die Sonde an Bord der Trägerrakete sollte unter Verwendung von Plutonium betrieben werden. Die Schüler wollten den Raumflug mit deutscher Beteiligung unter allen Umständen verhindern, weil sie befürchteten, bei Start oder Wiedereintritt in die Atmosphäre könnte radioaktives Plutonium freigesetzt werden. Die Karlsruher Richter ließen die Grundrechtsrelevanz offen und lehnten die Verfassungsbeschwerde aus anderen Gründen als unzulässig ab.

Warum diese Fällen kurios und unterhaltsam wirken, wird bei Beckers Arbeit gleich miterklärt. Die Komik entstehe durch eine Konfrontation der Realität mit der stark abweichenden Erwartungshaltung der Betroffenen. Muss ein ungewöhnliches Forschungsinteresse, das auch mit der  "Lächerlichkeit" der besprochenen Fälle arbeitet, gerade im juristischen Wissenschaftsbetrieb nicht besonders verteidigt werden? "Eigentlich nicht", meint Becker. Wichtig sei vor allem, dass man so sehr im Thema steckt, dass man es gegenüber Kritikern gut vertreten könne. Bei aller Kreativität sollte man immer darauf achten, "dass das Thema Kopf und Fuß hat".

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Absurde Verträge: Woran das Recht glaubt . In: Legal Tribune Online, 21.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9404/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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