Als Jurist bei der Abschlussprüferaufsichtsstelle

"Die APAS ist nichts für Sub­sum­ti­ons­ma­schinen"

von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Wegen des Wirecard-Skandals hat die APAS Geldbußen und ein Wettbewerbsverbot gegen EY verhängt. Leiter Michael Sell erklärt, wie Juristen und Wirtschaftsprüfer dort ermitteln – und dass man für den Beruf das Ermittler-Gen braucht.  

Anzeige

LTO: Herr Sell, Anfang April hat die Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) Sanktionen gegen die Abschlussprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) und einzelne Wirtschaftsprüfer der Wirecard AG bzgl. der Abschlussprüfungen 2016 bis 2018 beschlossen. Was ist die APAS eigentlich? 

Michael Sell: Die APAS beaufsichtigt Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse (Public Interest Entities, PIEs) prüfen. Das sind kapitalmarktorientierte Unternehmen, Banken und Versicherungsunternehmen.  

Die APAS ist aufgebaut wie eine Bundesoberbehörde. Sie ist dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) angegliedert, quasi eine "Behörde in der Behörde". Sie ist fachlich unabhängig, unterliegt aber der Dienstsaufsicht des Bafa und der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Nach EU-Recht muss eine staatliche Organisation und nicht eine berufsständische Organisation wie die Wirtschaftsprüferkammer die Aufsicht über die Abschlussprüfer von PIEs übernehmen. 

Wie sieht diese Aufsicht aus? 

Es gibt zwei unterschiedliche Aufsichtsstränge: Inspektionen (präventive Untersuchungen) und Berufsaufsichtsverfahren (repressive Untersuchungen). Bei den Inspektionen prüfen wir ohne konkreten Anlass die Qualitätssicherungssysteme der Abschlussprüfer von PIEs. Insbesondere die Big Four, also Deloitte, KPMG, EY und PwC, prüfen wir im Jahresrhythmus, die mittelgroßen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in der Regel alle drei Jahre und einzelne kleineren alle sechs Jahre.  

Wenn aber – ähnlich wie im Strafrecht – der Anfangsverdacht für Berufspflichtverletzungen besteht, ermitteln wir repressiv. 

Wann liegen solche Anhaltspunkte für Berufspflichtverletzungen vor? 

Anhaltspunkte für Berufsaufsichtsverfahren stellen zum einen materielle Rechnungslegungsfehler dar, d.h. wenn entgegen den Vorgaben der nationalen (HGB) oder internationalen Rechnungslegungsgrundsätze (International Financial Reporting Standards, IFRS) bilanziert wurde und der Prüfer dies nicht beanstandet hat.  

Berufsaufsichtsverfahren werden jedoch auch dann eingeleitet, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Prüfer ihr Prüfungsurteil auf Basis unzureichender Prüfungshandlungen oder Prüfungsnachweise getroffen haben, zum Beispiel wenn diese nicht gewissenhaft vorgehen oder keine ausreichend kritische Grundhaltung zugrunde legen, also Dinge einfach glauben, ohne verlässliche Nachweise einzuholen. 

"Lügen ist eine eigene Berufspflichtverletzung" 

Wie läuft ein Verfahren bei der APAS ab?  

Man kann es sich vergleichbar mit einem Strafverfahren vorstellen, aber es handelt sich um ein berufsaufsichtliches Verwaltungsverfahren. Die Betroffenen haben ähnliche Rechte, zum Beispiel Aussageverweigerungsrechte und Anspruch auf rechtliches Gehör. Aber es gibt auch Unterschiede. Zum Beispiel müssen Berufsangehörige zwar nicht aussagen, aber wenn sie aussagen, muss die Aussage wahr sein. Lügen gegenüber der Aufsichtsbehörde kann als eigene Berufspflichtverletzung sanktioniert werden. 

Die Ermittlungen werden von Wirtschaftsprüfern und Juristen geführt. Sie enden in einer Beschlusskammervorlage, ähnlich wie das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft. Die fünfköpfige Beschlusskammer – ebenfalls besetzt mit Wirtschaftsprüfern und Juristen – entscheidet dann, ob eine Berufspflichtverletzung vorliegt – und, wenn ja, welche Sanktionen verhängt werden. 

Welche Sanktionsmöglichkeiten hat die APAS bei Verstößen? 

Die möglichen Sanktionen sind in der Wirtschaftsprüferordnung festgelegt: Die leichteste ist eine Rüge, also die formelle Feststellung, dass man eine Berufspflichtverletzung begangen hat. Das stärkste Mittel ist ein Ausschluss der entsprechenden Prüfer aus dem Beruf. 

Wie bei Ordnungswidrigkeiten und Straftaten müssen die Betroffenen aber schuldhaft gehandelt haben. Im Regelfall geht es um Fahrlässigkeit. Vorsätzliche Berufspflichtverletzungen kommen nur selten vor. 

"Das Wettbewerbsverbot macht sich schon bemerkbar" 

Welche Sanktionen wurden gegen EY und die Wirtschaftsprüfer beschlossen? 

Sofern der (noch nicht ergangene) Maßnahmenbescheid bestandskräftig wird, muss die Abschlussprüfungsgesellschaft eine Geldbuße von 500.000 Euro zahlen und darf zwei Jahre lang keine Abschlussprüfungen bei PIEs durchführen. Das Verbot bezieht sich allerdings nur auf neue PIE- Mandate. 

Auch gegen fünf Wirtschaftsprüfer wurden Geldbußen zwischen 23.000 Euro und 300.000 Euro verhängt. Ursprünglich lief das Verfahren gegen zwölf Wirtschaftsprüfer, sieben haben allerdings bereits ihre Zulassung zurückgegeben, sind also aus dem Beruf ausgeschieden. Eine Berufsaufsicht kann aber nur über Berufsangehörige bestehen. Wenn diese eine Wiederzulassung beantragen würden, würden diese Verfahren aber natürlich weitergeführt. 

Was bedeuten diese Sanktionen für EY? 

Bei der Bemessung der Sanktionen kam es auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG) mit Wirkung zum 1. Juli 2021 an. Da waren 500.000 Euro die höchste Summe. 

Wesentlich härter ist das Verbot der Durchführung der Abschlussprüfungen bei PIEs für zwei Jahre. Die Big Four übernehmen ungefähr 85 Prozent aller PIE-Prüfungen in Deutschland – und das macht sich dann schon bemerkbar. Das Verbot bezieht sich allerdings nicht auf die Bestandsmandate, d.h. die Mandate, bei denen sie bereits als Wirtschaftsprüfer tätig sind, sondern nur auf neue Mandate. Bei Bestandsmandaten werden die jeweiligen Prüfer im Regelfall immer wieder bestellt, bis man – das ist gesetzlich vorgegeben – rotieren muss. Nach zehn Jahren muss eine andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft das Unternehmen prüfen.  

Da wir aber auch für die Funktionsfähigkeit des Marktes verantwortlich sind, greifen wir in die Bestandsmandate nicht ein. Der Prüfermarkt ist ein Oligopol, zumindest bei den PIEs, mit Netzwerkgesellschaften auf der ganzen Welt. Mittlere Kanzleien haben keine unmittelbaren Kapazitäten für diese Prüfungen – und die anderen drei der Big Four könnten den Ausfall einer Big-Four-Gesellschaft auch nicht plötzlich substituieren.  

"Das bislang umfangreichste Verfahren der APAS" 

Wie geht das Berufsaufsichtsverfahren jetzt weiter? 

Aus der Beschlusskammerentscheidung werden jetzt die Bescheide gefertigt. Das wird aber noch einige Zeit dauern. Das Verfahren war das umfangreichste, das die APAS bislang durchgeführt hat. So ein Bescheid ist mehrere hundert Seiten lang und muss detailliert die Fehler darlegen.  

Die Bescheide werden dann den Betroffenen zugestellt. Diese können Einspruch einlegen, über den dann der Gemeinsame Ausschuss der Beschlusskammern, dessen Vorsitzender ich qua Amt bin, entscheidet. Wenn die Betroffenen mit dem Ergebnis des Einspruchsverfahrens nicht einverstanden sind, können sie die gerichtliche Überprüfung beantragen. Dafür ist ausschließlich die Kammer für Wirtschaftsprüfersachen am Landgericht Berlin zuständig. Die nächsten Instanzen wären dann das Kammergericht Berlin und der Bundesgerichtshof. 

Ähnlich wie im Bereich der Justiz bindet die Aufarbeitung des Wirecard-Komplexes sicher auch bei der APAS enorme personelle Ressourcen. Haben Sie händeringend Personal gesucht? 

Ja, aber wir haben nicht allein deshalb neue Mitarbeitende eingestellt. Innerhalb der APAS hatten wir einen Ermittlungsschwerpunkt "Wirecard". Damit verzögerten sich andere Ermittlungen natürlich, aber Verjährungen gibt es bislang nicht.  

Zukünftig können wir uns schwerpunktmäßig auch wieder auf andere Ermittlungen konzentrieren, zum Beispiel gegen die Abschlussprüfer der Greensill Bank oder von Adler Real Estate. 

Wir haben bisher immer weniger Personal gehabt, als uns unser Haushaltsplan zur Verfügung stellt. Das liegt daran, dass der Markt nicht sehr groß ist. Wir brauchen fachlich besonders versierte Wirtschaftsprüfer mit zumindest ersten Erfahrungen in der Durchführung von PIE-Prüfungen – und die wechseln nicht so oft in den Öffentlichen Dienst. Und wir suchen Juristen, die eine echte Fachkarriere machen wollen, sich also auf das Berufsaufsichtsrecht bei Wirtschaftsprüfern spezialisieren wollen.  

Arbeit für Leute mit Ermittler-Gen 

Welche Aufgaben haben Juristen bei der APAS? 

Juristen ermitteln mit, schreiben und prüfen Beschlusskammervorlagen und schreiben allgemeine Auslegungen zu Fragen der Wirtschaftsprüferordnung oder EU-Abschlussprüferverordnung und -richtlinie. Sie bereiten die Beschlusskammerarbeit vor und votieren ggf. als Beschlusskammermitglied – wie bei Gerichtsentscheidungen – auf der Basis ihrer Rechtsansicht. Außerdem formulieren sie Bescheide und vertreten die APAS vor Gericht. 

Was muss man mitbringen, um als Jurist bei der APAS einzusteigen? 

Neben zwei Staatsexamina, davon mindestens eines im befriedigenden Bereich, auf jeden Fall den Willen, sich in ein Spezialgebiet einarbeiten zu wollen. An der Uni lernt man Wirtschaftsprüferaufsicht nicht. Und man sollte ein Grundinteresse für wirtschaftliche Zusammenhänge mitbringen. Das ist zwar sehr speziell – aber dafür arbeitet man an wirtschaftlich bedeutsamen – teils öffentlichkeitswirksamen – Sachverhalten mit und unterstützt die Aufarbeitung von Fehlverhalten. Die Arbeit eignet sich für Kollegen mit dem "Ermittler-Gen" und nicht für reine "Subsumtionsmaschinen".  

Vielen Dank für das Gespräch! 

Michael Sell ist Rechtsanwalt und Steuerberater und seit September 2021 Leiter der APAS. Er ist seit fast 30 Jahren im Öffentlichen Dienst tätig, zuvor unter anderem als Leiter der Steuerabteilung im Bundesfinanzministerium.

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Wirtschaftsjuristen

Verwandte Themen:
  • Wirtschaftsjuristen
  • Wettbewerbsverbot
  • Wirecard

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter