Die juristische Presseschau vom 17. März 2020: Kampf gegen Coro­na­virus / Cum-Ex-Pro­zess vor Abschluss / Nußb­erger im Inter­view

17.03.2020

Im Kampf gegen den Coronavirus werden Grenzen und Geschäfte geschlossen. Der Cum-Ex-Prozess vor dem LG Bonn soll schnell zu einem Abschluss kommen und Angelika Nußberger äußert sich über die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem EGMR.

Thema des Tages

Coronavirus: Im Kampf gegen den Coronavirus greifen Regierungen zu drastischen Maßnahmen, die stark in den Alltag und die Freiheiten der Bürger eingreifen. In Deutschland dürfen nur noch Geschäfte für die Grundversorgung öffnen. Viele innereuropäische Grenzen wurden geschlossen, wie u.a. die FAZ (Helene Bubrowski u.a.) und die SZ (Karoline Meta Beisel u.a.) berichten. Im Bundestag wird unterdessen darüber nachgedacht, wie die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sichergestellt werden kann. Auch eine Grundgesetzänderung sei im Gespräch, melden SZ (Constanze von Bullion u.a.) und lto.de. Geplant ist auch eine Anpassung des Insolvenzrechts, wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) schreibt. Die Pflicht, bei Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen, soll bis zum 30. September ausgesetzt werden. Auch die Justiz reagiert auf die Epidemie. Immer mehr Verhandlungen werden abgesagt, Justizvollzugsanstalten verschärfen Hygienevorschriften und legen Notfallpläne an, berichtet die taz (Konrad Litschko). Unklar ist in vielen Bundesländern noch, wie es mit den Examensprüfungen weitergeht, so lto.de (Marcel Schneider).

Reinhard Müller (FAZ) weist darauf hin, dass die Verkündung des Katastrophenfalls wie in Bayern nicht Recht und Gesetz außer Kraft setze. Zum "Notstand demokratischer Prägung" gehöre Augenmaß und Transparenz. Ulrich Ladurner (zeit.de) sieht in den Grenzschließungen einen Schritt in Richtung Kleinstaaterei, die der Bewältigung der Krise im Weg stehe. Karoline Meta Beisel (SZ) pocht darauf, dass die EU-Kommission die Einhaltung der Verträge überwacht, und fordert, dass die Einreiseverbote nicht auf Dauer bleiben. Der Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Köln Martin W. Huff fordert auf lto.de die weitgehende Schließung der Gerichte und die Einrichtung eines erweiterten Eildienstes.

Die Rechtsanwälte Ulrich Karpenstein und Roya Sangi erläutern auf verfassungsblog.de verschiedene europarechtliche Probleme, die sich bei der Bewältigung der Krise stellen, von der Freizügigkeit über das Beihilfenrecht bis hin zur allgemeinen Notstandsklausel des Art. 347 AEUV. Rechtsprofessor Daniel Thym befasst sich auf lto.de speziell mit der Zulässigkeit der Grenzschließungen. Helene Bubrowski (FAZ) konstatiert, dass die Grenzkontrollen nicht mit der Flüchtlingskrise 2015 vergleichbar seien. Damals sei es um die Rechte von Geflüchteten gegangen. Das Virus habe hingegen keine Rechte, sondern bedroht die öffentliche Gesundheit.

Rechtspolitik

Interne Ermittlungen: Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zum Sanktionsrecht für Unternehmen sieht vor, dass interne Ermittlungen nicht mehr von denselben Rechtsanwälten vorgenommen werden dürfen, die auch die Verteidigung des Unternehmens übernehmen. Dies wird damit begründet, dass Untersuchungen durch Verteidiger weniger glaubwürdig seien. Kritiker sehen in dem Vorhaben den Ausdruck eines Misstrauens gegen die Anwaltschaft und befürchten, dass die schriftliche Dokumentation der anwaltlichen Beratung und Prozessvertretung generell der Beschlagnahme ausgesetzt wird. Das Hbl (Heike Anger) stellt die Kontroverse dar.

Frauenquote für Führungspositionen: Die Pläne zur Ausweitung der Frauenquote in Führungspositionen stoßen in der Union teilweise auf Kritik. Die FAZ (Tillmann Neuscheler/Marcus Jung) lässt Astrid Hamker, Präsidentin des CDU-Wirtschaftsrats, zu Wort kommen, die in dem Vorhaben eine "Gängelung der Wirtschaft und der Frauen" sieht. Nach dem Entwurf soll die Quote künftig auch für Vorstände gelten und auf mehr Unternehmen ausgeweitet werden. Zudem sollen Unternehmen in Bundeseigentum mit gutem Beispiel vorangehen und eine Quote von 50 Prozent erfüllen.

NetzDG: netzpolitik.org (Thomas Rudl) weist darauf hin, dass die geplante Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes auch die Übermittlung von Portnummern an das Bundeskriminalamt vorsieht. Dadurch verspricht sich das Bundesinnenministerium Rückschlüsse auf zu einem bestimmten Zeitraum eingeloggte Nutzer. Das Bundesjustizministerium stellt derweil klar, dass keine neue Speicherpflicht begründet werde. Die großen Anbieter speichern derzeit nicht die Portnummern.

Kopftuchverbot für Referendarinnen: Die ehemalige Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff kritisiert im Hbl Forderungen aus der Politik, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts solle Anlass sein, nun auch in anderen Bundesländern das Kopftuchverbot für Referendarinnen einzuführen. Der Gesetzgeber dürfe eine Regelung wie die im konkreten Fall geprüfte erlassen, müsse das aber nicht.

Justiz

LG Bonn – Cum-Ex: Der Prozess gegen zwei britische Aktienhändler wegen Beteiligung an den sogenannten Cum-Ex-Geschäften wird wegen der Corona-Krise abgekürzt. Wie die FAZ (Marcus Jung), die SZ (Jan Willmroth/Nils Wischmeyer), das Hbl (Volker Votsmeier) und lto.de berichten, könnte noch diese Woche ein Urteil ergehen. Dazu wolle man auf die sogenannte Einziehungsbeteiligung von vier Banken verzichten und die Frage der Einziehung später separat verhandeln. Den Angeklagten wird schwere Steuerhinterziehung in 33 Fällen vorgeworfen.

LG Freiburg – Auftragsmord: Vor dem Landgericht Freiburg nähert sich das Prozessende in einem spektakulären Kriminalfall. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, einen Drogendealer mit einer mit einem Jutebeutel bedeckten Waffe erschossen zu haben. Den Auftrag soll ein Freiburger Rechtsanwalt erteilt haben, der Geld von dem Drogendealer verwahrt haben soll. Der Angeklagte bestreitet einen Tötungsvorsatz und führte über seinen Verteidiger überraschend einen Brief in das Verfahren ein, der von dem angeblichen Auftraggeber stammen soll, der sich in Untersuchungshaft das Leben genommen hat. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet.

LG Stuttgart – Lkw-Kartell: Die FAZ (Oliver Schmale/Marcus Jung) berichtet von Schadensersatzprozessen, die vor dem Landgericht Stuttgart gegen am sogenannten Lkw-Kartell beteiligte Unternehmen geführt werden. Bei einer Klage auf Schadensersatz in Höhe von 95 Millionen Euro gehe es um die Frage, ob die Abtretungen der rund 300 betroffenen Unternehmen an die klagende Gesellschaft wirksam sind. Der beklagte Daimler-Konzern berufe sich auf ein abweisendes Urteil das Landgerichts München, bei dem der zugrundelegende Sachverhalt jedoch im Detail abweicht.

BGH – Wetter-App: Jost Müller-Neuhof (Tsp) nimmt das Urteil des Bundesgerichtshofs, nach dem die kostenlose Wetter-App des Deutschen Wetterdienstes gegen Wettbewerbsrecht verstößt, zum Anlass, sich Gedanken über die Aufgaben des Dienstes zu machen: "Konsequent wäre es, das staatliche Wettergeschäft entweder zu privatisieren oder aber, wofür gute Gründe sprächen, staatlich zu halten und dann mit allen Informationen für alle zu öffnen."

BVerfG – Stephan Harbarth: Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth sieht kein Problem darin, dass er vor seiner Amtszeit als CDU-Politiker an Gesetzgebungsverfahren beteiligt war. Das meldet lto.de unter Berufung auf die Augsburger Allgemeine. Harbarth wird voraussichtlich in den nächsten Wochen die Nachfolge des ausscheidenden Präsidenten Andreas Voßkuhle antreten.

Recht in der Welt

Russland – Verfassungsreform: Das russische Verfassungsgericht hat die von Präsident Wladimir Putin angestrengte Verfassungsänderung gebilligt. Das meldet zeit.de. Die Reform sieht eine Ausweitung der Befugnisse des Präsidenten vor und ermöglicht eine Verlängerung von Putins Amtszeit. Am 22. April sollen die Bürger über die Pläne abstimmen.

Angelika Nußberger im Interview: Angelika Nußberger ist Ende letzten Jahres als Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgeschieden, entscheidet aber noch immer über einige Fälle mit. lto.de (Christian Rath) sprach mit ihr über ihre Altfälle, das Urteil zu Pushbacks in Melilla sowie über ihre neuen Tätigkeiten in der Venedig-Kommission und am bosnischen Verfassungsgericht.

Sonstiges

Kapp-Putsch: Der Rechtsanwalt und Rechtshistoriker Patrick Heinemann setzt sich im FAZ-Einspruch mit dem Kapp-Putsch und dessen Aufarbeitung durch die Justiz auseinander. Zunächst hätten die Kriegsgerichtsräte ein geringes Interesse an einer Verfolgung der Putschisten gezeigt. Anschließend habe sich die Weimarer Justiz als auf dem rechten Auge blind erwiesen.

"Me Too" und Rechtsstaat: In seiner Kolumne auf spiegel.de nimmt der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer die Debatte um Missbrauchsvorwürfe gegen Woody Allen zum Anlass, sich Gedanken zum Verhältnis von "Me Too" und Rechtsstaat zu machen. "Me Too" sei "keine Rechtsregel, keine Beweisregel, kein Schuldspruch und noch nicht einmal eine Anklage", sondern einfach eine subjektive, erlaubte Meinung. Wer "Me Too" für ein entscheidendes Argument halte, solle den "Rechtsstaat" da zunächst mal rauslassen.

Das Letzte zum Schluss

Grillhähnchen für Knackis: Die Justizvollzugsanstalt Geldern ist auf der Suche nach einem gastronomischen Service, der 600 halbe Hähnchen sowie Pommes rot-weiß für ihre Insassen liefern kann. Es geht um die Versorgung bei dem geplanten Sommerfest. Der Auftrag wurde ausgeschrieben und hat im Netz für Aufsehen gesorgt. Die SZ (Martin Zips) sprach mit dem Juristen und Anstaltsleiter Andreas Schüller.

 

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lto/dw

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 17. März 2020: Kampf gegen Coronavirus / Cum-Ex-Prozess vor Abschluss / Nußberger im Interview . In: Legal Tribune Online, 17.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40873/ (abgerufen am: 04.05.2024 )

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