Besondere Regeln für Geimpfte?: Ethi­krat emp­fiehlt Locke­rungen nur unter beson­deren Vor­aus­set­zungen

04.02.2021

Noch ist nicht klar, ob geimpfte Personen das Virus weiter verbreiten können, oder nicht. Deshalb ist es zu früh, um über Lockerungen für Geimpfte zu reden, findet der Ethikrat. In Alten- und Pflegeheimen sehe das allerdings anders aus.

Der Deutsche Ethikrat hält es für falsch, die Corona-Einschränkungen für Geimpfte früher zu beenden. Ohnehin müsse erst geklärt werden, ob von geimpften Menschen weiterhin eine Ansteckungsgefahr ausgehe oder nicht, sagte die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, am Donnerstag in Berlin. 

Die tiefgreifenden Einschränkungen seien nur so lange gerechtfertigt, wie die Versorgung schwer erkrankter Patienten das Gesundheitssystem akut zu überlasten drohe. "In dem Maße, in dem dieses Risiko erfolgreich gesenkt werden kann, müssen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung, die gravierende Grundrechtseingriffe beinhalten, für alle zurückgenommen werden", so der Ethikrat in einer Stellungnahme.

"Eine vorherige individuelle Rücknahme nur für Geimpfte" ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn hinreichend gesichert wäre, dass sich das Virus nicht mehr weiterverbreiten könne. "Dabei wären allerdings auch Fragen der Gerechtigkeit sowie der Folgen für die Akzeptanz der Impfstrategie zu berücksichtigen", hieß es. Weiter hieß es in den Empfehlungen: "Je mehr aber mit dem Fortschreiten des Impfprogramms besonders gravierende Risiken reduziert werden und verbesserte Kenntnisse hinsichtlich der Nichtansteckungsfähigkeit vorliegen, desto eher sind individuelle Rücknahmen von Freiheitsbeschränkungen für geimpfte Personen vorstellbar und gegebenenfalls geboten."

Das Befolgen von Regelungen wie Maske-Tragen oder Abstand halten könne man auch Geimpften weiterhin zumuten, wenn das notwendig sei, hält der Rat in seiner Empfehlung "Besondere Regeln für Geimpfte?" fest. Ratsmitglied Sigrid Graumann sagte, es sei beispielsweise in der U-Bahn "nicht zumutbar, dass jemand kontrolliert, wer einen Impfpass dabei hat und wer nicht". Wenn viele U-Bahn-Fahrer ohne Maske unterwegs wären, sei zu befürchten, dass auch die Bereitschaft der anderen Fahrgäste, sich an die Vorschrift zu halten, sinke. Das Befolgen von Regelungen wie Maske-Tragen der Abstand halten könne man auch Geimpften weiterhin zumuten, wenn das notwendig sei.

Konkaktbeschränkungen in Pflegeheimen nach Impfung aufheben

Auf die Frage, ob man von "Privilegien" für geimpfte Menschen sprechen solle, sagte Buyx: "Ich würde mich freuen, wenn man den Begriff nicht mehr benutzen würde." Er sei unpräzise und sorge für eine unnötige Verschärfung der öffentlichen Debatte.

Die kritische Beurteilung möglicher besonderer Regeln für freiwillig geimpfte Personen gelte jedoch nicht die Bewohner von Pflege-, Senioren-, Behinderten- und Hospizeinrichtungen. Der Ethikrat plädierte dafür, die zum Schutz vor Covid-19 extremen Kontaktbeschränkungen dort nach der Impfung aufzuheben. Der Verzicht auf gemeinsame Mahlzeiten und andere Isolationsmaßnahmen, die Depressionen und ein rasches Voranschreiten von Demenz begünstigen könnten, sei hier "nur zu rechtfertigen, solange die in solchen Einrichtungen Lebenden noch nicht geimpft sind".

Hier gehe es nicht um Sonderrechte, sondern um die "Rücknahme von der Benachteiligung", betonte Graumann. In den Einrichtungen zum Schutz der Menschen, die nicht geimpft werden könnten oder nicht geimpft werden wollten, weiter alle Maßnahmen aufrechtzuerhalten, wäre nicht mehr angemessen. Die nicht geimpften Bewohner müssten dann mit anderen Maßnahmen wie Schnelltests, FFP2-Masken und Schutzkleidung für Pflegekräfte geschützt werden.

Konzertbesuch nur für Geimpfte?

Der Rat betonte, es müsse zwischen staatlichen Maßnahmen und Vorgaben von Unternehmen unterschieden werden. Private Anbieter hätten zwar grundsätzlich Vertragsfreiheit. Wenn es um die "gleichberechtigte Teilhabe am Leben" gebe, sollte es jedoch aus Sicht des Rates keine Ungleichbehandlung geben. Wenn aber beispielsweise nach einer generellen Wiedereröffnung von Konzerthallen ein Veranstalter entscheiden sollte, nur Geimpften den Zugang zu erlauben, so wäre dies durchaus möglich. "Daraus ergibt sich aber keine Impfpflicht durch die Hintertür", betonte Buyx. Schließlich wäre es etwa denkbar dann Tests als Alternative anzubieten. Einen vorgezogenen Zugang zur Impfung für Profi-Sportler, die an internationalen Wettbewerben teilnehmen, lehnte der Rat ab.

Unterdessen hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) nach Medienberichten keine grundsätzlichen Einwände gegen den Appell des Konzertveranstalters Eventim, eine Corona-Impfung künftig zur möglichen Voraussetzung für eine Teilnahme an Veranstaltungen machen zu können. Lambrecht sagte am Mittwoch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): "Es macht einen großen Unterschied, ob der Staat Grundrechte einschränken muss oder ob Private Angebote für bestimmte Personengruppen machen möchten. Private dürfen im Grundsatz selbst bestimmen, mit wem sie Geschäfte machen möchten. (...) Wenn zum Beispiel die Restaurants wieder öffnen dürfen und ein Restaurantinhaber dann ein Angebot nur für Geimpfte machen möchte, wird man ihm dies nach geltender Rechtslage schwerlich untersagen können.“

Auch der Wissenschaftliche Dienst (WD) des Bundestages hatte in einem vergangene Woche veröffentlichten Gutachten zur Frage nach Lockerungen für Geimpfte Stellung genommen. Solange nicht feststehe, ob geimpfte Personen weiter infektiös seien, "fehlt es an einer tatsächlichen Grundlage für eine Lockerung bestehender infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen", so der WD. Falls von geimpften Personen keine Infektionsgefahr mehr ausgehen sollte, kämen generalpräventive freiheitsbeschränkende Maßnahmen laut WD nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.

Der Ethikrat ist ein Gremium, das mit seinen Stellungnahmen Orientierung für Politik und Gesellschaft geben soll. Seine Mitglieder des Ethikrates werden vom Bundestagspräsidenten ernannt.

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Besondere Regeln für Geimpfte?: Ethikrat empfiehlt Lockerungen nur unter besonderen Voraussetzungen . In: Legal Tribune Online, 04.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44187/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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