Fischer zum Sexualstrafrecht: "Im Rausch der unbegrenzten Verfolgung"

Interview von Pia Lorenz

19.08.2014

Die Kieler Professorin Monika Frommel hat im LTO-Interview zu Forderungen nach einer Reform des Sexualstrafrechts Rechtsansichten von BGH-Richter und StGB-Kommentator Thomas Fischer kritisiert. Der meint, Frommel irre in fast jeder Hinsicht. Im Gespräch mit LTO wehrt er sich auch gegen den Vorwurf, unermüdlich zu polemisieren.

LTO: Herr Professor Fischer, was stört Sie so sehr an den Aussagen von Frau Frommel im LTO-Interview zur Frage nach der Notwendigkeit einer Reform des Sexualstrafrechts ? Sind Sie nicht sogar einer Meinung mit ihr, wenn sie es ablehnt, die Strafbarkeit jeglicher sexuellen Handlung "gegen den Wille" einer Person auszudehnen?

Prof. Dr. Thomas FischerFischer: Völlig richtig. Frau Frommel plädiert für eine Beibehaltung der – angeblich von ihr seit jeher vertretenen – Regelung, wonach das Tatbestandsmerkmal "Ausnutzen einer schutzlosen Lage" in § 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) ausreichend und erforderlich sei, um "Beweisschwierigkeiten" zu vermeiden, die auftreten würden, wenn man  ausschließlich auf die inneren, nicht geäußerten Gedanken der geschädigten Person abstellen würde.

Dazu kann man nur sagen: Da hat sie Recht. Wie man nach Monaten oder Jahren beweisen soll, was jemand in einer Situation gedacht hat, die sich durch nichts von alltäglichen Situationen unterschied, ist ein Rätsel. Diesen verfassungsrechtlichen Einwand habe ich schon vor langer Zeit formuliert - gegen entsprechende Vorschläge von Frau Frommel und anderen.

Insofern irritiert mich Frau Professor Frommels Beschreibung ihrer eigenen Position. Sie selbst hat lange das Gegenteil dessen vertreten, was sie nun als ihre Erkenntnis ausgibt, und auch in ihrer Kommentierung im "Nomos Kommentar" wiederholt sie an vielen Stellen diese Ansicht.

"Ausnutzen" ist keine konkrete Tathandlung

LTO: Sie halten also – wie auch Frau Frommel - das Tatbestandsmerkmal des "Ausnutzens einer schutzlosen Lage" für ausreichend, um Fälle sexuell motivierter Gewalt zu erfassen? Frau Frommel wirft Ihnen vor, Sie würden seit dem Jahr 2000 "unermüdlich gegen die Ausnutzungsvariante polemisieren".

Fischer: Frau Professor Frommels Darstellung der geltenden Rechtslage ist nicht zutreffend. Dabei ist diese eigentlich einfach: Das Gesetz unterscheidet – zu Recht – zwischen Missbrauch und Nötigung.

Der sexuelle Missbrauch ist strafbar, wenn er Personen betrifft, die besonders schutzwürdig sind wie zum Beispiel Kinder. Von erwachsenen Menschen erwartet der Gesetzgeber hingegen in der Regel, dass sie ihr Sexualverhalten einigermaßen unter Kontrolle haben, also auch einmal "Nein" sagen können.

Dieses "Nein" kann eine andere Person nur dann überwinden, wenn sie Zwang, also irgendein Nötigungsmittel anwendet. Nötigungsmittel sind Gewalt, Drohung und seit 1997 auch das Ausnutzen einer schutzlosen Lage.

Nun ist "ausnutzen" aber offensichtlich keine konkrete Tathandlung. Niemand kann sagen, was "ausnutzen" ist, wenn er nicht weiß, was der Ausnutzende und der Auszunutzende denken, wollen, verstehen und tun.

"Aus gutem Grund nichts, was dem Diebstahl entspricht"

LTO: Inwiefern?

Fischer: Aus dem Begriff "Ausnutzen" ergibt sich doch nicht, was der Täter nun eigentlich tun muss, um den Tatbestand zu erfüllen. Wie zwingt er beispielsweise eine Person, die das nicht will, dazu, eine sexuelle Handlung an ihm auszuführen? Durch Gewalt oder Drohung. Aber was muss er tun, um sie "durch Ausnutzen" dazu zu zwingen? Vielleicht durch Sprechen oder Zeichengeben.

Wir sprechen hier nicht vom "Missbrauch", sondern von der Nötigung; das sind unterschiedliche Tatbestände. Das bloße Ausnutzen einer Situation kann ein "Missbrauch" sein, ist aber für sich allein noch kein nötigender Zwang.

Wer die Abwesenheit des Eigentümers ausnutzt, um dessen Geldbeutel wegzunehmen, begeht keinen Raub, sondern einen Diebstahl. Im Sexualstrafrecht gibt es – aus guten Gründen – seit ungefähr 100 Jahren keinen Tatbestand mehr, der dem des Diebstahls in dem genannten Beispiel entspricht: Früher wurde bestraft, wer eine Frau unter Vortäuschung der Heiratsabsicht zum Geschlechtsverkehr verführte.

Ich kann mir kaum vorstellen, dass Frau Professor Frommel und die von ihr pluralisch genannten Frauenbewegungen auf dieses Strafrechtsniveau zurück möchten.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Fischer zum Sexualstrafrecht: "Im Rausch der unbegrenzten Verfolgung" . In: Legal Tribune Online, 19.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12936/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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