Bahn will Urlaubsrückkehr ihrer Mitarbeiter : "Kein Eisenbahner ist für das Chaos in Mainz verantwortlich"

Interview mit Christian Oberwetter

13.08.2013

Am Mainzer Hauptbahnhof fallen Züge en masse aus, weil die Fahrdienstleiter teils krank, teils im Urlaub sind. FDP-Generalsekretär und Bahn-Aufsichtsratsmitglied Patrick Döring hat gegenüber der Bild am Sonntag gefordert, die urlaubsabwesenden Eisenbahner sollten vorzeitig zurückkehren. Christian Oberwetter im LTO-Interview  über Personalplanung, Teamgeist und Prämien für urlaubsreife Mitarbeiter.

LTO: Wenn es nach dem Willen von Herrn Döring geht, sollen die Angestellten der Deutschen Bahn ihren Urlaub abbrechen, damit die Kunden den ihren nicht verpassen. Ist das ein legitimes Anliegen?

Oberwetter: Persönlich kann man das beurteilen, wie man will. Eine rechtliche Verpflichtung der Mitarbeiter, vorzeitig aus dem Urlaub zurückzukommen, gibt es aber nicht.

LTO: Aber am Mainzer Bahnhof herrscht Chaos. Laut Bild am Sonntag sind dort von 15 Mitarbeitern der Deutschen Bahn fünf erkrankt und drei weitere im Urlaub. Ist es nicht egoistisch, auf seinen Urlaub zu pochen, wenn die eigene Abteilung so knapp besetzt ist?

Oberwetter: Das würde ich nicht so sehen. Das Risiko einer ungünstigen Kombination aus Krankheit und Urlaub hat das Unternehmen zu schultern, nicht der einzelne Mitarbeiter. Wenn acht von 15 Mitarbeitern gleichzeitig weg sind, dann ist das natürlich ein unglücklicher Zufall. Bei der hohen Gesamtzahl von Beschäftigten und Standorten der Deutschen Bahn kommen aber eben auch unglückliche Zufälle immer wieder einmal vor. Gerade ein Unternehmen, das so stark in der Öffentlichkeit steht, sollte entsprechend vorsorgen, damit auch in solchen Situationen der Betrieb nicht zum Erliegen kommt.

"Überleben des Betriebs müsste in Gefahr sein"

LTO: Der Urlaub des Mitarbeiters geht dem betrieblichen Interesse also in jedem Fall vor?

Oberwetter: Da muss man differenzieren. Wurde der Urlaub noch nicht bewilligt, kann der Arbeitgeber ihn wegen eines personellen Engpasses vorübergehend ablehnen, das ist durchaus zulässig.

Wenn der Urlaub hingegen bereits zugestanden wurde und entweder abgebrochen oder kurzfristig abgesagt werden müsste, sieht die Sache anders aus. Dann hat der Angestellte bereits Dispositionen im Hinblick auf den Urlaub getroffen und sich auf diesen eingestellt. Die beabsichtigte Erholungswirkung würde völlig verfehlt, wenn er dann mittendrin zurückbeordert würde – oder auch nur mit dieser Sorge leben müsste.

Eine Ausnahme hierzu kann es allenfalls in gravierenden Ausnahmefällen geben. Dann müsste aber schon das Überleben des Betriebs selbst in Gefahr sein. Unterhalb dieser Schwelle muss man auch nervige und ärgerliche Ausfälle hinnehmen. Und so peinlich und kostspielig das Chaos in Mainz für die Deutsche Bahn sein mag - in die Insolvenz gehen wird sie darüber nicht.

"Für eine ausreichend hohe Prämie käme bestimmt der eine oder andere zurück"

LTO: Also kann die Bahn gar nichts tun, um sich in dieser Situation selbst zu helfen?

Oberwetter: Sie hätte zunächst einmal besser vorsorgen können. Darüber hinaus kann sie ihren Angestellten natürlich Anreize bieten, aus freien Stücken aus dem Urlaub zurückzukehren. Darauf wollte Herr Döring sicherlich hinaus, als er an den Teamgeist im Unternehmen appellierte. Aber neben einer Erstattung der Reisekosten und der Urlaubstage kommt auch eine finanzielle Prämie als kleines Dankeschön für den Urlaubsverzicht in Betracht. In Abhängigkeit von der Höhe dieser Prämie würde sich bestimmt der eine oder andere Freiwillige finden.

LTO: Könnte das Unternehmen Mitarbeiter von anderen Standorten abordnen?

Oberwetter: Auch das ist möglich, aber nur mit Einschränkungen. Zunächst einmal müssen an dem anderen Standort genügend personelle Ressourcen verfügbar sein, sonst verschiebt man das Problem nur.

Wenn die Maßnahme für mehr als einen Monat erfolgen soll oder wenn sie für die Mitarbeiter mit einem deutlich längeren Arbeitsweg verbunden ist, gilt sie zudem als Versetzung im arbeitsrechtlichen Sinne. Dann hat der Betriebsrat ein Mitspracherecht und könnte sich querstellen. Allerdings hat der Betriebsrat, obwohl er das Vertretungsorgan der Arbeitnehmer ist, auch die Interessen des Unternehmens zu berücksichtigen. In einem akuten Notfall würde er sich gegen eine solche Versetzung also wohl nicht sperren.

LTO: Herr Oberwetter, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Hamburg.

Die Fragen stellte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

Christian Oberwetter, Bahn will Urlaubsrückkehr ihrer Mitarbeiter : "Kein Eisenbahner ist für das Chaos in Mainz verantwortlich" . In: Legal Tribune Online, 13.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9341/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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