Indianerrecht: Kopf­geld­jagd auf Staats­kosten

von Martin Rath

13.10.2013

Nach einem kurzen Krieg zwischen den Kansas-Sioux und den USA im Sommer 1862 gingen der weißen Bevölkerung des jungen US-Bundesstaats Minnesota im Folgejahr die Nerven durch. Bestärkt durch den Medienrummel lobte die Regierung hohe Jagdprämien auf männliche Indianer aus. Das legale Unrecht kam vor Gericht nur sehr obskur zur Sprache.

Am 9. Oktober 1863 wurden einem John C. Davis aus der Kasse der Nationalgarde von Minnesota 25 Dollar für die Tötung eines Indianers gezahlt, nachgewiesen durch die Vorlage der abgetrennten Kopfhaut. Der Getötete gehörte dem Volk der Kansas an, das man hierzulande meist "Sioux" nennt. Mit der von Staats wegen betriebenen Kopfgeld-Jagd auf männliche Kansas befasst sich die auf Indianerrecht spezialisierte Juraprofessorin Colette Routelin ihrer Studie "Minnesota Bounties on Dakota Men During the U.S.-Dakota War" (William Mitchell Legal Studies Research Papers No. 2013-1).

Zur Kopfgeldjagd wurde bisher nicht geforscht, doch der Indianerkrieg bewegte sich im bekannten Rahmen: In den 1850er-Jahren war es zwischen der US-Bundesregierung und Völkern der Sioux im Raum der heutigen Staaten Minnesota, Nord- und Süd-Kansas zu sehr unfairen Verträgen gekommen: Die Indianer verzichteten zugunsten der Regierung, namentlich der zuwandernden Siedler auf weitläufige Gebiete, in denen sie bisher ihren Lebensunterhalt auf hergebrachte Weise erwirtschaftet hatten – gegen Garantie von staatlichen Geldleistungen, Ernährung und Zuweisung territorialer Schutzräume.

Auf Seiten der Mdewakanton-Dakota war an diesen Verträgen Häuptling Thaóyate Dúta (ca. 1810-1863, englisch "Little Crow") beteiligt, dessen Tötung eine hässliche Geschichte des US-Parlamentarismus nach sich zog – dazu sogleich.

Dakotakrieg 1862, Jagdprämie 1863

Die Dakota fanden sich binnen eines Jahrzehnts auf ein Gebiet zusammengedrängt, das bei traditioneller Bewirtschaftung die Ernährung nicht mehr sicherte. Landwirtschaft lernt niemand von heute auf morgen. Die vertragsmäßigen Zahlungen der US-Regierung verspäteten sich oft, sodass – insbesondere im harten Winter 1861/62 – die Verschuldung der Indianer bei Zwischenhändlern böses Blut verursachte.

Nachdem am 17. August 1862 vier junge Dakota-Männer einen weißen Siedler, Frau, Tochter und zwei weitere Personen ermordet hatten, beschlossen die Stammesautoritäten, gegen die fremde Macht in den Krieg zu ziehen, weil sie befürchteten, die Morde würden ohnehin ihrem Volk zur Gänze angelastet werden. Dem Konflikt fielen schätzungsweise 500 bis 600 weiße Siedler zum Opfer, nach Kriegsende folgte die Revanche.

Bereits am 26. September ging der Krieg zu Ende. Die Indianer übergaben 269 gefangene Weiße, 1.800 Dakota begaben sich selbst in Gefangenschaft. Der Politiker und Offizier Henry Sibley (1811-1891) setzte am 28. September 1862 ein fünfköpfiges Militärgericht ein, das binnen weniger Tage über 392 Indianer verhandelte – in mitunter nur 5-minütigen Prozessen. Den Angeklagten wurden alle Verteidigungsrechte vorenthalten, der Belastungsbeweis vom Hörensagen war zugelassen. Von den 392 Angeklagten verurteilte das Gericht 323, davon 303 zum Tod.

Vollstreckt werden durften die Urteile nur nach Bestätigung durch den US-Präsidenten. Abraham Lincoln (1809-1865) geriet darüber in eine Zwickmühle. Er hatte die Absicht, die Todesstrafe nur in Fällen von Mord und Vergewaltigung vollstrecken zu lassen. Nach Durchsicht der Protokolle blieben nur drei solcher Fälle – politisch war das zu wenig, wollte der Präsident sich in Minnesota nicht unbeliebt machen. Am 26. Dezember 1862 ließ Lincoln schließlich 38 Dakota hinrichten. Der Galgen war eigens konstruiert worden, alle zugleich zu töten. 4.000 kriegsgefangene Männer, Frauen und Kinder hatten die Hinrichtung mit anzusehen. Hunderte Dakota starben in der Internierung und während der von Lincoln verfügten Deportation – darunter viele, die sich während des Krieges schützend vor die weißen Siedler gestellt hatten.

Pferdediebstahl als Auslöser für Kopfgeld-Jagd

Nach Kriegsende, im Herbst 1862, war eine Anzahl Dakota westwärts geflohen, darunter auch Häuptling Thaóyate Dúta. Colette Routel nennt einige Überfälle, die sie im anbrechenden Jahr 1863 auf Siedler in Minnesota verübten. Motiv war ganz überwiegend der Pferdediebstahl – notwendig, um auf der Flucht gen Westen zu überleben.

Obwohl die Überfälle offenbar von jeweils nur vier oder fünf Dakota-Männern verübt wurden, wollten die Zeitungen von 50-köpfigen Truppen wissen. In der weißen Bevölkerung, zu guten Teilen eben erst aus Deutschland zugewanderte Siedler, brach Panik aus.

Nach dem Mord an einer Siedlerfamilie im Juni 1863 erließ Oscar Malmros, Chef der Nationalgarde, abgesprochen mit Governor Ramsey, beginnend am 3. / 4. Juli 1863 eine Serie von Verordnungen, mit denen er eine rund 50-köpfige Truppe zur systematischen Tötung männlicher Kansas-Indianer aufstellte und immer höhere Prämien für getötete Kansas-Männer auslobte.

Die Verordnungen wurden in den Zeitungen zwar teils als barbarisch kritisiert, weil man am "Skalpieren", also dem Abziehen der Kopfhaut als Leistungsbeweis der Tötung Anstoß nahm. Auch der Umstand, dass kein Unterschied zwischen "schuldigen" und "unschuldigen" Indianern gemacht werden sollte stieß nicht nur auf Beifall. Malmros besserte dergestalt nach, dass die zu jagenden Indianer nun "feindlich" zu sein hätten.

In einem der nur vier Fälle, in denen es zur Auszahlung des Kopfgeldes kam, blieb die einschränkende Formulierung ohne Bedeutung. Colette Routel vermutet sogar, dass es sich bei einem namenlosen Kansas-Sioux, der im August 1863 von der Jagdgesellschaft eines geistlichen Herrn Allen exekutiert wurde, um einen Aushilfssoldaten der Nationalgarde gehandelt habe.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Indianerrecht: Kopfgeldjagd auf Staatskosten . In: Legal Tribune Online, 13.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9790/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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