Die juristische Presseschau vom 12. Januar 2012: Fiskalpakt-Entwurf geleakt – Bürgerbeteiligung jetzt frühzeitig – Chemieunterricht echt bombig

12.01.2012

Der Entwurf des Ende Januar zu verabschiedenden Euro-Fiskalpakts ist an die Presse gedrungen. Auch drin: Klagerechte der Mitgliedsstaaten bei Defizit-Verstößen. Außerdem in der Presseschau frühzeitige Bürgerbeteiligung bei Großprojekten, Justiz-Posse am BGH, Hartz IV-Klagen, Guantánamo – und von welch "bombigen" Versuchen Chemielehrer besser die Finger lassen sollten.

 

Euro-Fiskalpakt: Exklusiv dokumentiert und bewertet das Handelsblatt (Ruth Berschens) auszugsweise den ihm vorliegenden Entwurf für den Euro-Fiskalpakt, der vom EU-Gipfel Ende Januar verabschiedet werden soll. Dieser enthält unter anderem ein Klagerecht jedes Mitgliedsstaates zum Europäischen Gerichtshof bei Nichteinhaltung der Defizitgrenzen. Eine kurzfristige Lösung von Schuldenproblemen könne vom EuGH aber nicht erwartet werden – die Verfahren dauerten in der Regel mehrere Jahre.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Bürgerbeteiligung: Nach einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums sollen Bürgerinnen und Bürger künftig bei der Planung von Großprojekten frühzeitiger beteiligt werden, so die SZ (Daniela Kuhr) und die FAZ (Joachim Jahn). Verpflichtend solle eine solche frühzeitige Beteiligung für die Vorhabenträger aber nicht sein; die spätere Betroffenenbeteiligung werde nicht berührt.

Heike Holdinghausen (taz) kritisiert den Entwurf. Die frühzeitige Beteiligung müsse verpflichtend sein und dürfe nicht aus dem Motiv vorangetrieben werden, das Verfahren insgesamt nur zu beschleunigen – nach dem Motto "Der Bürger darf früher mitreden, damit er nicht mehr stört, wenn es ernst wird."

Kriegsgesetz: Auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ fragt sich Reinhard Müller, ob Deutschland nicht ein Gesetz zur umfassenden Regelung des Streitkräfteeinsatzes im Ausland bräuchte – oder ob das konkrete Einsatzmandat des Parlaments ausreicht und dem Gesetzesvorbehalt genügt. Die Frage sei Gegenstand einer Veranstaltung des Deutschen Instituts für Menschenrechte und der Deutschen Gesellschaft für Wehrrecht und Humanitäres Völkerrecht gewesen.

Weitere Themen – Justiz

Bundesgerichtshof: Der Bundesrichter Andreas Ernemann darf doch nicht den Vorsitz gleich zweier Senate am Bundesgerichtshof übernehmen. Das entschied der 2. Strafsenat am gestrigen Mittwoch, so die SZ (Wolfgang Janisch). Hintergrund der "Justizposse" sei ein seit Monaten schwelender Besetzungsstreit am Gericht. Kurios: In einer um zwei Richter anderen Besetzung habe sich derselbe Senat dann am selben Tag in einem anderen Fall für ordnungsgemäß besetzt gehalten – "in willkürfreier Auslegung".

Wulff: Heute erläutert nun auch die FAZ (Reinhard Müller), warum jedenfalls die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht kein rechtlicher Hinderungsgrund für die vollständige Veröffentlichung der Journalistenanfragen durch die Anwälte des Bundespräsidenten ist. Allerdings könne das Persönlichkeitsrecht der anfragenden Journalisten betroffen sein.

Wulffs zentralen Rechtsberater, den Bonner Anwalt Gernot Lehr, stellt Reinhard Müller auf der "Staat und Recht"-Seite der FAZ gesondert vor; auch spiegel.de (Johannes Korge) liefert ein Porträt.

Vor dem Hintergrund der mittlerweile wieder zurückgezogenen Anzeige wegen "Verunglimpfung des Bundespräsidenten" gem. § 90 Strafgesetzbuch setzt sich für lto.de die Bremer Staatsanwältin Andrea Grotemeier mit der "Rückkehr der Majestätsbeleidigung" auseinander. Die Norm friste ein "anachronistisches Schattendasein" und stelle einen "unzeitgemäßen Ehrschutz für Staatsoberhäupter" dar, die noch aus dem 19. Jahrhundert datiere.

EnBW: Der Energiekonzern EnBW verklagt ihren eigenen Vorstand. Wie die SZ berichtet, ist gegen den erst im Dezember berufenen Technik-Vorstand Hans-Josef Zimmer beim Landgericht Landau eine Klage anhängig, in der Schadensersatz in Millionenhöhe geltend gemacht wird. Dabei gehe es um die Umsetzung von Verträgen mit russischen Partnern aus der früheren Vorstandsperiode Zimmers von 2007 bis 2010.

Hartz IV-Klagen: Laut der taz (Eva Völpel) erwartet das bundesweit größte Sozialgericht in Berlin seine 150.000. Hartz-IV-Klage. Laut der Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma eine "ernüchternde Bilanz"; sie plädiere für die Förderung außergerichtlicher Streitbeilegung.

In einem weiteren Artikel schildert Manuela Heim typische Streitfälle vor den Sozialgerichten.

Flussverseuchung: Ebenfalls die taz (Andreas Wyputta) weist auf den heutigen Prozessauftakt gegen sechs Verantwortliche der Unternehmen GW Umwelt und Terra Vital in Nordrhein-Westfalen. Ihnen werde vorgeworfen, für die damalige Verseuchung der Ruhr mit vermutlich krebserregenden perfluorierten Tensiden (PFT) verantwortlich zu sein, was den Tatbestand der Boden- und Gewässerverunreinigung erfüllen würde.

Verfassungsschutz: Heribert Prantl (SZ) spricht im Zusammenhang mit den NSU-Morden vom "GAU des Verfassungsschutzes in Deutschland" und fragt, was eigentlich noch passieren müsse, "bis da etwas passiert". Der Bundestags-Untersuchungsausschuss sei selbst unter günstigsten Bedingungen nicht ausreichend, "das gesamte System des Verfassungsschutzes in Deutschland auf den Prüfstand" zu stellen, da ihm die Kompetenz für die Überprüfung der Landesbehörden fehle.

Wahllichtbildvorlage: Der Richter Carsten Krumm stellt auf blog.beck.de eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vor, nach der eine Wahllichtbildvorlage dann optimalen Beweiswert habe, wenn acht Bilder vorgelegt werden. Weniger Bilder seien zwar noch verwertbar – aber mit geringerem Beweiswert.

Schwatzende Verteidiger: Unterschiedliche Auffassungen zur Redseligkeit eines Strafverteidigers bezüglich der Anwesenheit der Terrorverdächtigen Beate Zschäpe als Zuschauerin bei einem Prozess in Erfurt haben Holger Schmidt (SWR-Terrorismus-Blog) und Udo Vetter (lawblog.de). Letzterer prangert eine Verletzung der anwaltlichen Schweigepflicht an.

Eingeschneit: Der Reise-Teil der SZ (Monika Maier-Albang) bietet heute Rechtstipps für eingeschneite Wintersportler.

Weitere Themen – Recht in der Welt

EU & Ungarn: Die EU-Kommission will am kommenden Dienstag über drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn entscheiden. Die jüngsten Gesetze zu Notenbank, Justiz und Datenschutz verletzten in den Augen der Kommission EU-Recht, so die FAZ (Nikolas Busse). In allen Bereichen gehe es um die Unabhängigkeit gegenüber der Regierung.

Georg Paul Hefty hält in einem Kommentar fest, dass damit aber auch "klargestellt" werde, dass sich Ungarn "nicht auf dem Weg zur Diktatur" befinde. Immerhin rüge die EU nicht die neue ungarische Verfassung oder die Machtstellung des Präsidenten insgesamt.

Guantánamo: Die Zeit (Carolin Emcke) berichtet anlässlich des zehnjährigen Bestehens des US-Gefangenenlagers Guantánamo vom Kampf vierer Anwälte für die Insassen des Lagers.

Der Menschenrechtler Michael Lysander Fremuth fordert auf lto.de nachdrücklich die Schließung des Lagers, in dem es zu diversen Völkerrechtsverstöße, insbesondere auch Verstöße gegen das Folterverbot, gekommen sei.

spiegel.de dokumentiert den Bericht des dort siebeneinhalb Jahre ohne Anklage inhaftierten Bosniers Lakdhar Boumediene.

Das Letzte zum Schluss

Tödliche Schüsse auf Staatsanwalt: Im Amtsgericht Dachau hat ein Angeklagter den Staatsanwalt erschossen. Wie die SZ (Walter Gierlich/Matthias Pöls, ähnlicher Artikel auf sueddeutsche.de) berichtet, gab der Angeklagte während der Verhandlung plötzlich fünf Schüsse aus einem Revolver ab, erst auf den Richter, dann auf den 31-jährigen Staatsanwalt. Dieser erlag wenig später seinen Verletzungen.

Bombiger Unterricht: Gegen einen Lübecker Chemielehrer wird von der Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt, nachdem er mit seinen Schülern Rohrbomben gebaut und zur Explosion gebracht haben soll. Das und die Hintergründe des Falles berichtet die Welt (Heike Vowinkel/Philip Cassier).

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels. Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/thd

(Hinweis für Journalisten)

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 12. Januar 2012: Fiskalpakt-Entwurf geleakt – Bürgerbeteiligung jetzt frühzeitig – Chemieunterricht echt bombig . In: Legal Tribune Online, 12.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5281/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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