Voßkuhle kritisiert Reformen in Polen: "Gesetz­geber einen Schritt zu weit gegangen"

20.01.2016

Der Präsident des BVerfG, Andreas Voßkuhle, hat sich in einem Interview kritisch zu den Reformen in Polen geäußert. Er hoffe nun auf den Dialog im Rahmen des EU-Prüfverfahrens. Die polnische Regierung verteidigt indes ihren Kurs.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), Andreas Voßkuhle, hält die Einschränkung der Befugnisse des polnischen Verfassungsgerichts durch die neue Justizreform für heikel. "Ich glaube, dass das schon an die Grundfeste rührt, dass man darüber jedenfalls ins Gespräch kommen muss", sagte er am Dienstagabend in Berlin in einem Interview des Nachrichtensenders Phoenix und des Deutschlandradios. Er hoffe, dass der nun begonnene Dialog zwischen Polen und der EU Früchte tragen werde. Unabhängige Institutionen seien Teil der europäischen Identität.

Bei der Beurteilung der polnischen Reform gehe es um mehr als bloß um unterschiedliche Rechtstraditionen. "Es spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber in Polen hier doch einen Schritt zu weit gegangen ist", sagte Voßkuhle. Es sei gut, dass die Diskussion darüber mit Warschau nicht von Deutschland alleine, sondern auf europäischer Ebene geführt werde.

Die seit November 2015 amtierende national-konservative Regierung Polens hatte mit einer umstrittenen Justizreform und einem neuen Mediengesetz international Kritik auf sich gezogen. In der vergangenen Woche hatte die EU-Kommission erstmals ein Verfahren wegen eines Vestoßes gegen das Gebot der Rechtstaatlichkeit aus Art. 2 EU-Vertrag in Gang gesetzt. Zunächst bedeutet dies nur einen symbolischen Schritt, doch theoretisch könnten in seiner Folge auch Sanktionen verhängt werden.

Polens Regierung will EU überzeugen

Regierungschefin Beata Szydlo will die Europäer dagegen von der Rechtmäßigkeit der umstrittenen Reformen ihrer Regierung überzeugen. Sie und ihre Regierung seien bereit, bei allen strittigen Themen Rede und Antwort zu stehen, sagte sie am Dienstag vor dem EU-Parlament in Straßburg. Zugleich verteidigte die nationalkonservative Politikerin die Justizreform sowie die gleichfalls umstrittenen Änderungen des polnischen Mediengesetzes, die beide kompatibel zum europäischen Recht seien.

Die EU-Kommission und der EU-Ratsvorsitz kritisierten die umstrittenen Gesetze hingegen mit klaren Worten, zeigten sich aber gesprächsbereit. EU-Vizekommissionschef Frans Timmermans verwies auf einen neuen Brief der polnischen Regierung, mit dem Warschau auf Bedenken der Europäer wegen möglicher Verstöße gegen europäische Grundwerte reagiert hatte. Die bisherigen Antworten seien nicht ausreichend gewesen, um die Bedenken der Kommission auszuräumen, sagte der Kommissar. Zum Inhalt des Briefes äußerte er sich nicht, doch er werde den neuen Brief "kooperativ und konstruktiv" prüfen.

Sehr viel schärfer fiel die Kritik der Abgeordneten der großen Fraktionen aus. Viel Beifall erhielt der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt. Er forderte Szydlo auf, die Proteste der polnischen Bürger gegen die Reformen zu berücksichtigen. Demokraten würden nie eine parlamentarische Mehrheit dazu nutzen, "um das System der Gewaltenteilung in einem Land zu zerlegen".

"Ziemlich traurige Debatte"

Von einem "traurigen Tag" sprach der polnische EU-Ratspräsident Donald Tusk nach der Debatte im EU-Parlament. "Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Präsenz in Europa sind wir Gegenstand einer ziemlich traurigen Debatte", sagte der frühere polnische Regierungschef nach dem Auftritt Szydlos. Die Vertreter der polnischen Regierung müssten ihr Vorgehen verteidigen, das "in Europa und der Welt in Frage gestellt wird und viele Emotionen wachruft", sagte er vor Journalisten in Straßburg.

Szydlo betonte, die Justizreform sei nach Änderungen der vorherigen Koalitionsregierung notwendig gewesen, um ein Gleichgewicht bei den Ernennungen der Richter zu schaffen. Mit dem neuen Mediengesetz sollten die öffentlichen Medien durch eine "solide Finanzierung" gestärkt werden.

dpa/una/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Voßkuhle kritisiert Reformen in Polen: "Gesetzgeber einen Schritt zu weit gegangen" . In: Legal Tribune Online, 20.01.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18197/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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