Kritik an Berliner Pilotprojekt zur Gesichtserkennung: Viel mehr Daten als nötig?

von Annelie Kaufmann

22.08.2017

Verstößt der Test von Gesichtserkennungssoftware gegen Datenschutzvorschriften? Die Bundesregierung weist die Vorwürfe zurück. Doch ihre Kritiker bleiben dabei: Der Test dürfe so nicht stattfinden.

Die Bundesregierung hat Kritik an dem umstrittenen Pilotprojekt zu intelligenter Videoüberwachung am Berliner Bahnhof Südkreuz zurückgewiesen. Die Erhebung und Speicherung von Videodaten sei nach § 27 Bundespolizeigesetz zulässig, der Abgleich mit der eigens für den Test erstellten Datenbank aus Fotos von Freiwilligen erfolge aufgrund der Einverständniserklärungen der Testpersonen, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen.

"Für den Test wurde ein Datenschutzkonzept erarbeitet, das umfassende Hinweise auf den Test, leichte Ausweichmöglichkeiten für übrige Bahnreisende und weitreichende Löschpflichten für die aufgezeichneten Daten im Rahmen des Tests für die Gesichtserkennungssoftware, die restriktiver als die Anforderungen des § 27 Satz 3 BPolG sind, beinhaltet", betont die Bundesregierung. Ablauf und Inhalt des gesamten Verfahrens sei den Testpersonen im Rahmen der Anwerbungsgespräche erläutert worden.

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, hält das für unzureichend: "Die Antworten der Bundesregierung machen deutlich, dass das hochproblematische Pilotprojekt der 'intelligenten' Videoüberwachung am Bahnhof Südkreuz auf Biegen und Brechen vor der Bundestagswahl durchgezogen werden sollte. Die uralte Norm des § 27 Bundespolizeigesetzes bietet rechtlich und inhaltlich keine ausreichende Grundlage für das Projekt, weil sie den Einsatz dieser modernen Technik zur Gesichtserkennung nicht trägt," so von Notz. Auch die Einwilligungserklärung der Testpersonen sei unzureichend, da es ihr an Transparenz darüber fehle, welche Software mit welchen Möglichkeiten ihre Daten aufzeichnet und die Teilnehmer folglich auch die Dimension ihrer Einwilligung nicht einschätzen könnten.

Viel mehr Daten, als für den Test benötigt werden?

Mit dem Projekt "Sicherheitsbahnhof Berlin Südkreuz" testen das Bundesinnenministerium, die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Deutsche Bahn gemeinsam den Einsatz intelligenter Videoanalysetechnik. In der ersten Testphase geht es um Gesichtserkennungssoftware, später sollen weitere intelligente Analysemethoden getestet werden – etwa um bestimmte Gefahrenszenarien und verdächtige Gegenstände automatisch zu erkennen. Drei unterschiedliche Systeme zur Gesichtserkennung sollen bis Ende Januar zum Einsatz kommen, die alle ähnlich funktionieren: Die Software gleicht die Bilder von 275 Testpersonen mit den Aufnahmen der Überwachungskameras am Bahnhof ab – taucht eine von ihnen in der Menschenmenge auf, erhält die Bundespolizei eine Meldung. Künftig sollen so Straftäter oder Gefährder automatisch erkannt werden, wenn sie bestimmte Orte betreten.

Die Testpersonen tragen einen Transponder bei sich. Mit dem sogenannten iBeacon soll festgehalten werden, wann sich die Testpersonen im Überwachungsbereich befinden, damit die Bundespolizei feststellen kann, ob die Überwachungssoftware richtig funktioniert. Die Datenschutzorganisation Digitalcourage hatte am Montag kritisiert, dieser Transponder registriere auch Daten wie Beschleunigung, Temperatur und Neigung. Digitalcourage warnt, aus den zusätzlichen Daten ließen sich Schlüsse ziehen, was Menschen außerhalb des Testgebiets getan haben. Die Testpersonen hätten so einer Nutzung nicht zugestimmt. Der auf sechs Monate angelegte Versuch müsse abgebrochen werden.

Das Bundesinnenministerium widerspricht dem: Die eingesetzte Technik könne zwar mehr Daten sammeln als für den Test benötigt würden, diese Möglichkeiten würden aber nicht genutzt und seien abgeschaltet, sagte Ministeriumssprecherin Lisa Häger am Dienstag: "Die iBeacon-Funktion sowie der Beschleunigungssensor wurden beide im Auslieferungszustand inaktiv geschaltet und werden nicht genutzt." Die eingesetzten Geräte würden pro Sekunde einmal die Transponderadresse (ID), die Signalstärke, den Batteriestand sowie die Temperatur des Geräts senden. Häger betonte: "Eine Speicherung der Daten auf dem Transponder selbst findet nicht statt. Eine Nachverfolgung von Daten außerhalb des Empfängerbereichs des Referenzsystems ist somit nicht möglich."

Digitalcourage bleibt jedoch bei den Vorwürfen. Eines der Vorstandsmitglieder des Vereins, der Künstler und Netzaktivist padeluun, hat sich zu dem Test am Bahnhof Südkreuz angemeldet. Die Daten des Beschleunigungssensors habe man "vom iBeacon von padeluun ohne Probleme mit der Standard-App auslesen" können, heißt es auf der Homepage des Verbandes. De Maizière will am Donnerstag im Bahnhof über den Test informieren.

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Annelie Kaufmann, Kritik an Berliner Pilotprojekt zur Gesichtserkennung: Viel mehr Daten als nötig? . In: Legal Tribune Online, 22.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24079/ (abgerufen am: 18.03.2024 )

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