Landesverrats-Verdacht gegen Netzpolitik-Journalisten: Offene Fragen auch nach Akten­ein­sicht

von Pia Lorenz

08.09.2015

2/2: GBA war bei Gutachten-Auftrag in Kontakt mit BMJV

Widersprüchlich sind die Angaben der Bundesregierung zum Zeitpunkt dieser Anordnung. So heißt es in ihrer Antwort, Range habe die Anordnung "zum selben Zeitpunkt" getroffen wie diejenige, dass ein externes Gutachten (bei dem Juraprofessor Jan-Hendrik Dietrich von der Fachhochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung) eingeholt werden solle.

Der schriftliche Gutachtensauftrag datiert auch nach Angaben der Bundesregierung aber erst vom 2. Juli 2015. Das deckt sich auch mit Informationen von LTO. Die Bundesanwaltschaft hat übrigens, so die Bundesregierung, bei der Frage der Vergabe des Sachverständigengutachtens mit dem BMJV in Kontakt gestanden. Wie sich das mit der angeblichen Warnung vor Ermittlungen gegen die Journalisten verträgt, die das BMJV bereits frühzeitig gegeben haben will, beantwortet die Bundesregierung ebenso wenig wie die Frage, wieso die Beauftragung von Dietrich über einen Monat in Anspruch nahm.  

Nach Informationen des Rechercheverbundes von SZ, WDR und NDR nutzten die Ermittler die Zwischenzeit, um sich nach den finanziellen Verhältnissen der Blogger zu erkundigen. Am Ende hätten sie neun Seiten von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht erhalten.

Und keiner hat's gewusst ...

Zu einer Bestätigung des Anfangsverdachts gegen die Journalisten führte diese Suche offenbar nicht; auch nicht zu näheren Informationen über die Whistleblower, welche Netzpolitik.org mit den Informationen aus dem Verfassungsschutz versorgt hatten. Das Ermittlungsverfahren gegen sie wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen führt nun die zuständige Staatsanwaltschaft Berlin weiter.

Auch in ihrer Antwort auf die ausführliche Kleine Anfrage der Grünen legt die Bundesregierung großen Wert darauf, dass gegen die Quellen der Journalisten, in Sicherheitskreisen gern als "Durchstecher" bezeichnet, ermittelt wurde.

Von den Ermittlungen aufgrund der Veröffentlichung von Verschlusssachen auf Netzpolitik.org wusste man auch im Innenministerium von Thomas de Maizière, dem das BfV untersteht. Es seien aber, da es  um die Ermittlungen gegen die Quellen der Blogger ging, immer nur die Sicherheitsstaatssekretärin und der fachlich zuständige Abteilungsleiter informiert worden. Der Innenminister selbst habe "nach seiner Erinnerung Ende Juli 2015 von den Strafanzeigen und dem Ermittlungsverfahren erfahren. Seine Einlassungen ergeben sich aus den öffentlichen Verlautbarungen der Regierungspressekonferenz".

... außer allen im BfV

Zwar hätten de Maizières Leute von den Strafanzeigen des BfV gewusst. Den Minister persönlich zu unterrichten, sei in Übereinstimmung mit § 13 Abs. 3 Nr. 1 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien erst erforderlich geworden, als die Sache grundsätzliche politische Bedeutung erlangte.  Das, so die Bundesregierung, sei erst durch die "aktuelle Mediendiskussion" geschehen.

Im Bundeskanzleramt schließlich will man zwar von den Anzeigen des BfV gegen Unbekannt zwar schon am 21. April gehört haben - auch hier wird jedoch großer Wert auf die Feststellung gelegt, dass nicht klar war, dass die Ermittlungen sich auch gegen Journalisten richten würden. Man bleibt zudem bei der bislang gewählten Formulierung, wonach die Sache "am Rande einer Besprechung" erwähnt wurde, "mündlich und in allgemeiner Form". An diesen Besprechungen nehme "in der Regel" auch der Chef des Bundeskanzleramts teil, heißt es wörtlich. Ob Peter Altmaier anwesend war, bleibt offen. "Über die weiteren Einzelheiten der vom BfV gestellten Strafanzeigen sowie des Ermittlungsverfahrens des LKA Berlin und des GBA ist das Bundeskanzleramt im Vorfeld der Presseveröffentlichungen vom 30. Juli 2015 nicht informiert worden".  

Dass nur so wenige der politisch Verantwortlichen von irgendetwas gewusst haben wollen, ist vor allem deshalb umso verwunderlicher, weil nach Wochen voller Behauptungen und gegenseitiger Beschuldigungen eigentlich nur eines fest steht: Es gab über zumindest eines der angeblichen Staatsgeheimnisse zuvor einen Bericht im Plenum des Deutschen Bundestags - wenn auch, wie die Bundesregierung meint, nur über offene, nicht aber über sensible Informationen. Allein im Bundesamt für Verfassungsschutz gab es dutzende Mitwisser, die Kenntnis hatten von den Dokumenten. Ein Ermittlungsverfahren gegen bestimmte Personen wurde bislang nicht eingeleitet.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Landesverrats-Verdacht gegen Netzpolitik-Journalisten: Offene Fragen auch nach Akteneinsicht . In: Legal Tribune Online, 08.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16829/ (abgerufen am: 18.04.2024 )

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