BVerwG zu Mobbing-Vorwürfen: Wann ist ein Dienst­herr für­sor­g­lich genug?

von Linda Pfleger

28.03.2023

Mobbing in der Behörde: Wo fängt es an, wie weit geht es? Das BVerwG hat in zwei Fällen jetzt den Maßstab geklärt: Auf die Gesamtschau der Geschehnisse kommt es an - und den müssen die Gerichte entsprechend würdigen.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hatte am Dienstag über zwei separate Fälle von Mobbing im öffentlichen Dienst zu entscheiden. Beiden gemein war, dass die zwei Klägerinnen jeweils Beamtinnen sind, sich von ihrem Dienstherrn bzw. ihren Vorgesetzten gemobbt fühlten und aufgrund dessen Schadenersatz wegen Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht (§ 78 Bundesbeamtengesetz bzw. § 45 Beamtenstatusgesetz) forderten.

Mobbing nach Geschlechtsumwandlung: "Absolute Fehlbesetzung"

Im ersten Fall (Urt. v. 28.03.2023, Az. 2 A 12.21), den das BVerwG am Vormittag entschied, handelte es sich um eine Beamtin des Bundesnachrichtendienstes (BND), die sich 2013 einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte. Danach ist sie mehrfach lange Zeit krank gewesen. Die klagende Frau führt ihre gesundheitlichen Probleme auf "massive Diskriminierung" und "massives" Mobbing nach Bekanntwerden ihrer Geschlechtsumwandlung zurück und begehrte deshalb die Zahlung eines Schmerzensgeldes von der Bundesrepublik Deutschland als ihrem Dienstherrn.

Dieser habe unter anderem die höchstpersönliche Information ihrer Geschlechtsangleichung ungefragt an ihre damalige Ehefrau weitergegeben. Das habe zur "Vergiftung" der betrieblichen Atmosphäre geführt, da diese in der gleichen Dienstelle gearbeitet hat. Darüber hinaus sei sie in der Folge auch als "absolute Fehlbesetzung" für ihre Position bezeichnet worden. Das Kollegium habe sie seit der Geschlechtsangleichung gemieden und die Wertschätzung sei vor dem Eingriff eine ganz andere gewesen.

BVerwG: Ein weiter Weg zu einer Fürsorgepflichtverletzung

Der BVerwG-Vorsitzende betonte mehrfach, dass der Senat sich eingehend mit den Mobbing-Vorwürfen beschäftigt habe und diese sehr ernst nehme. Im Ergebnis wurde die Klage jedoch abgewiesen. Eine Begründung erfolgte noch nicht, jedoch zeichnete sich dieser Ausgang bereits in der mündlichen Verhandlung ab. Der Vorsitzende betonte schon zu diesem Zeitpunkt, dass Mobbing kein Rechtsbegriff sei, sondern die damit verbundene Rechtsverletzung durch eine Gesamtschau der einzelnen Handlungen festgestellt werden müsse. Die Einzelhandlungen könnten dabei für sich gesehen möglicherweise kein sonderlich schweres Gewicht aufweisen, doch in Summe zu einer systematischen Diskriminierung, Anfeindung Schikanierung führen.

So sah es der Senat im Falle der Beamtin beim Bundesnachrichtendienst jedoch offenbar nicht. Laut Vorsitzendem in der mündlichen Verhandlung sei beispielsweise die Weitergabe der Information über die Geschlechtsumwandlung an die damalige Ehefrau zwar "unzulässig, aber nicht ungewöhnlich" gewesen. Der Schweregrad der Verletzung sei entsprechend überschaubar.

Im Wesentlichen sei jedoch die Tatsachengrundlage nicht hinreichend festgestellt: Dass die Geschlechtsangleichung der Anknüpfungspunkt für das Verhalten der Kolleginnen und Kollegen gewesen sein soll, sei nämlich nicht ersichtlich. An der Äußerung, dass die Frau eine Fehlbesetzung sei, gebe es nichts zu beschönigen, gleichwohl knüpfe die Aussage wohl an die langen krankheitsbedingten Fehlzeiten der Frau an, die für die Arbeit auf dieser Stelle nicht günstig gewesen seien. Der Weg, um eine Fürsorgepflichtverletzung anzunehmen, sei sehr weit, so der Senat in der Verhandlung - im Ergebnis dieses Falls wohl zu weit, wie sich am Mittwoch mit der Verkündung ergeben hat.

Mobbing ergibt sich aus einer Gesamtschau der Einzelhandlungen

Die zweite klagende Frau stand als Stadtverwaltungsoberrätin im Dienst der von ihr beklagten Gemeinde. Bei diesem früheren Dienstherrn kam es nach einer Oberbürgermeisterwahl zu organisatorischen Änderungen, in deren Folge ihr unter anderem ein anderer, weniger verantwortungsvoller Aufgabenbereich übertragen wurde und sie in ein Dienstzimmer im Dachgeschoss eines Seitentrakts des Rathauses versetzt wurde. Zudem wurde ihr vom Personalrat der beklagten Gemeinde in einer Pressemitteilung auf der Homepage vorgeworfen, sich "über Monate bei voller Besoldung als Chefjuristin der Verwaltung in 'Krankheit'" geflüchtet zu haben. Die klagende Frau sieht in diesen und weiteren Verhaltensweisen ein gezieltes Mobbing durch den Oberbürgermeister, der ihr gegenüber auch im Rahmen seines Wahlkampfes im Frühjahr 2014 offenbart habe, das Vertrauen in ihre Person verloren zu haben.

Ihre erstinstanzliche Klage vor dem Verwaltungsgericht Halle (Urt. v. 27.03.2019, Az. VG 5 A 519/16.HAL) hatte noch Erfolg, das Oberverwaltungsgericht Magdeburg (Urt. v. 08.10.2020, Az.  OVG 1 L 72/19) wies sie aber auf Berufung des Dienstherrn wieder ab.

Am Dienstag wurde klar, dass das OVG sich nun nochmals mit der Sache beschäftigen muss. Das BVerwG hat in seinem Urteil vom Dienstag (Urt. v. 28.03.2023, Az. 2 C 26.21) deutlich gemacht, was es bereits am Vormittag zum Fall der klagenden Frau, die beim BND arbeitete, betonte: Ein Dienstherr kann sehr wohl seine Fürsorgepflicht dadurch verletzen, dass er ein systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren - insbesondere durch Vorgesetzte – zulässt. Dies kann jedoch nur aufgrund einer Gesamtschau der in Rede stehenden Geschehnisse beurteilt werden. Da das OVG diesen rechtlichen Maßstab für Mobbing nicht hinreichend beachtet und eine Gesamtschau der betrachteten Maßnahmen unterlassen habe, müsse es nun noch einmal neu entscheiden.

Zitiervorschlag

BVerwG zu Mobbing-Vorwürfen: Wann ist ein Dienstherr fürsorglich genug? . In: Legal Tribune Online, 28.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51425/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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