BVerfG zum Asylverfahren: Gerichte müssen Angaben zu Skla­verei im Her­kunfts­land ernst nehmen

14.10.2020

Eine Asylbewerberin aus Mauretanien, die nach eigenen Angaben einem "Sklavenstamm" angehört, hätte nicht einfach so abgewiesen werden dürfen. Ihre Verfassungsbeschwerde sei "offensichtlich begründet", so das BVerfG.

Bei der Prüfung eines Asylantrags müssen die Gerichte den substantiierten Vortrag einer Asylsuchenden zur Sklaverei in ihrem Herkunftsstaat berücksichtigen und aufklären. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Falle einer Mauretanierin, die sich gegen die Ablehnung ihrer Asylklage durch das Verwaltungsgericht (VG) Greifswald und die Nichtzulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Mecklenburg-Vorpommern wandte. Ihre Verfassungsbeschwerde sei offensichtlich begründet, so die Karlsruher Richter in der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung (Beschl. v. 2.09.2020, Az. 2 BvR 854/20).

Die Frau, die 2016 nach Deutschland kam und einen Asylantrag stellte, gehört dem Volk der Peul an. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gab sie an, einem "Sklavenstamm" anzugehören, keine Schulbildung zu haben und als Kind an ihre Tante "verschenkt" worden zu sein. Das BAMF lehnte ihren Asylantrag jedoch ab und drohte die Abschiebung nach Mauretanien an.

Nach der Abweisung ihres Asylantrags hatte sie vor dem VG Greifswald geltend gemacht, dass sie als Frau ohne Papiere, Schulbildung und Familie in ihrem Heimatland nur überleben könne, indem sie wieder als Sklavin in einem Haushalt arbeite. Sie beantragte vor Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber, dass sie nach einer Rückkehr nach Mauretanien nicht in der Lage sein werde, ihr Existenzminimum zu sichern.

VG hätte Angaben zur Sklaverei berücksichtigen müssen

Das VG lehnte den Antrag jedoch ab. Es sei nicht ersichtlich, weshalb sich die Frau ihre in Deutschland erworbenen Kenntnisse sowie ihre Erfahrung als Küchenhilfe nicht auch in ihrem Heimatland zunutze machen könne, so das VG. Ihr Antrag auf Zulassung der Berufung hatte vor dem OVG ebenfalls keinen Erfolg.

Das BVerfG hielt ihre Verfassungsbeschwerde dagegen für "offensichtlich begründet". Das Urteil des VG verletze die Frau in ihrem Recht auf rechtliches Gehör, da ihr Vortrag nicht berücksichtigt worden sei. Aus den Quellen, auf die sich die Frau berufe, ergebe sich, "dass Angehörige ehemaliger 'Sklavenstämme', besonders Frauen, in Mauretanien nach wie vor von extremer Armut und einem existenzbedrohenden Ausschluss aus der Gesellschaft betroffen sind". Die Zuerkennung eines Abschiebungsverbots sei daher nicht fernliegend, so das BVerfG.

Unabhängig vom Verstoß gegen das Recht auf Gehör hätte das VG laut den Karlsruher Richtern den Umstand, dass die Sklaverei in Mauretanien auch heute noch ein Problem darstellt, im Hinblick auf die Angaben der Frau näher aufklären müssen. Der Nichtzulassungsbeschluss des OVG verletze die Frau darüber hinaus in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz. Über das Schicksal der Frau muss nun erneut in Greifswald verhandelt werden.

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zum Asylverfahren: Gerichte müssen Angaben zu Sklaverei im Herkunftsland ernst nehmen . In: Legal Tribune Online, 14.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43098/ (abgerufen am: 19.03.2024 )

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