BVerfG zu Berichterstattung über sektenähnliche Gemeinschaft: Zei­tungs­her­aus­ge­berin gegen Äuße­rungs­verbot erfolg­reich

13.01.2023

Ein OLG hatte einer Zeitung untersagt zu schreiben, dass eine sektenähnliche Gemeinschaft den Staat ablehnen würde. Das sei nämlich nicht belegt. Das BVerfG bewertete den Fall jedoch anders.

"Den Staat lehne er ab" hatte die Tageszeitung Echo über ein Mitglied und Vorstand einer sektenähnlichen Gemeinschaft geschrieben. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hatte der Herausgeberin der Zeitung diese Aussage untersagt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bewertete den Satz jedoch anders. Die Herausgeberin sei durch die Untersagung des OLG in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt (Beschl. v. 09.11.2022 1 BvR 523/21).

Am 4. September 2020 hatte die Tageszeitung Echo einen Beitrag mit dem Titel "Aussteiger packen aus: So geht es in der Guru-Gemeinschaft zu" veröffentlicht. Der Bericht beleuchtete kritisch inhaltliche Ausrichtung, Strukturen und Hierarchien innerhalb einer  sektenähnlichen Gemeinschaft und nimmt Bezug auf Erzählungen verschiedener ehemaliger Mitglieder. An einer Stelle heißt es: "Den Staat lehne [ein vorstehendes Mitglied der Sekte und Antragsteller im AUsgangsverfahren] (…) - der sich seine Seminargebühren auch in bar bezahlen lässt - ab (…)". Anders als die Ausgangsinstanz untersagte das OLG die Verbreitung der angegriffenen Äußerung.

Trotz des grundsätzlichen Vorrangs freier Meinungsäußerung sei eine Aussage unzulässig, wenn kein "Mindestbestand an tatsächlichen Anknüpfungstatsachen" festzustellen sei. Das war laut OLG der Fall: Es gebe keine Anknüpfungspunkte, die ansatzweise die Meinung belegten, dass die "Guru-Gemeinschaft" tatsächlich in einem weiten Sinne den Staat ablehne. Die Zeitungsherausgeberin legte daraufhin Verfassungbeschwerde gegen den Beschluss des OLG ein - und das erfolgreich.

Mit seiner Einschätzung liege das OLG nicht richtig, entschied das BVerfG. Die Herausgeberin sei in ihrer Meinungs- und Pressefreiheit verletzt.

Das BVerfG kritisiert, dass das OLG auf der einen Seite nicht am Wahrheitsgehalt der Anknüpfungspunkte der Berichterstattung zweifelt. Auf der anderen Seite messe das Gericht den Anknüpfungspunkten im Rahmen der Abwägung keine Bedeutung zu. Zudem werde  der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit verkürzt. Letztlich messe das OLG der angegriffenen Äußerung eine "erhöhte Eingriffsintensität" bei, ohne zu begründen, inwieweit sie überhaupt abschätzig oder geeignet sein soll, ein Mitglied der "Guru-Gemeinschaft" in der öffentlichen Wahrnehmung herabzusetzen.

Außerdem entziehe das OLG mit seinen Erwägungen der Berichterstattung seinen Informationswert. Die Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf werde nicht ausreichend berücksichitgt.

cp/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zu Berichterstattung über sektenähnliche Gemeinschaft: Zeitungsherausgeberin gegen Äußerungsverbot erfolgreich . In: Legal Tribune Online, 13.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50750/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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