BVerfG zur Zwangsbehandlung eines Demenzkranken: Ver­fas­sungs­be­schwerde der Bet­reuerin erfolglos

09.11.2021

Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen bei betreuten Personen nur in einem Krankenhaus durchgeführt werden. Aus medizinischer Sicht ist das allerdings nicht immer eine gute Idee. Eine Verfassungsbeschwerde scheiterte aber an der Subsidiarität.

Die Frage, ob Demenzkranken im Pflegeheim heimlich Medikamente ins Essen gemischt werden dürfen, bleibt vorerst ungeklärt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wies die Verfassungsbeschwerde eines Betroffenen gegen eine 2017 eingeführte Neuregelung des § 1906a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ab. Die Regelung erlaubt eine Zwangsbehandlung betreuter Menschen nur bei einem stationären Klinikaufenthalt. Der inzwischen mit fast 90 Jahren gestorbene Mann hätte sich erst an die Fachgerichte wenden müssen, teilte das höchste Gericht in Karlsruhe am Dienstag mit (Beschl. v. 02.11.2021, Az. 1 BvR 1575/18).

Das Verfahren hatte die Tochter des Mannes geführt, die auch seine Betreuerin war. Der Vater hatte aufgrund seiner fortgeschrittenen Demenz immer wieder wahnhafte Störungen und wollte dann seine Medikamente nicht nehmen. Die Einweisung in ein Krankenhaus schien aus medizinischer Sicher aber keine gute Lösung, weil es ihm bei Ortswechseln regelmäßig deutlich schlechter ging. Aus medizinischer Sicht war die Verabreichung von Medikamenten auch in der Pflegeeinrichtung möglich, beispielsweise durch Beigabe zum Essen, ohne dass Zwang oder freiheitsentziehende Maßnahmen notwendig gewesen seien.

Das Betreuungsgericht wollte die heimliche Medikamentengabe im Pflegeheim jedoch nicht erlauben. Die verdeckte Gabe von Medikamenten stelle eine Zwangsmedikation im Sinne des § 1906a BGB dar und sei deshalb nur stationär im Krankenhaus zulässig.

Heimliche Beimischung von Medikamenten als Zwangsmaßnahme?

Die Richterinnen und Richter der zuständigen Kammer äußern nun Zweifel, ob es eine Genehmigung des Betreuungsgerichts tatsächlich gebraucht hätte. Ob eine Heilbehandlung notwendigerweise dem natürlichen Willen des Betreuten im Sinne von § 1906a Abs. 1 Satz 1 BGB widerspricht, wenn Medikamente heimlich unter das Essen gemischt werden, sei fachgerichtlich ungeklärt. Daran knüpfe die ebenfalls offene Frage an, inwieweit eine heimliche Beimischung von Medikamenten als "Zwangsmaßnahme" anzusehen sei, die erst den Anwendungsbereich von § 1906a BGB eröffne. 

Auch die Frage, wie der Begriff "stationär" auszulegen ist und ob darunter auch teilstationäre Behandlungen zu fassen sind, sei noch offen. Das Gericht verweist außerdem darauf, dass das Gesetz eine Evaluierung der neuen Regelung vorsehe. Dadurch sei "eine weitere fachliche und rechtliche Klärung zu erwarten".

Der neue § 1906a BGB geht auch schon auf eine Entscheidung des BVerfG zurück. Davor war eine Zwangsbehandlung nur in der geschlossenen Psychiatrie möglich. Deshalb konnten generell keine bettlägerigen Patienten zwangsbehandelt werden, die in einer normalen Klinik lagen. Karlsruhe hatte 2016 angeordnet, diese Lücke "unverzüglich zu schließen".

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zur Zwangsbehandlung eines Demenzkranken: Verfassungsbeschwerde der Betreuerin erfolglos . In: Legal Tribune Online, 09.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46597/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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