Kompetenzbündelung an NRW-Gerichten: Viel Law, doch wie viel Qua­lity?

von Tanja Podolski

16.02.2022

Das NRW Justizministerium hat für Rechtstreitigkeiten aus den Bereichen Wirtschaft und Zukunftstechnologien Spezialgerichte geschaffen und positioniert sie als Alternative zu Schiedsgerichten. Hürden liegen noch in Verfahrensgrundsätzen.

Der Name samt Schreibweise könnte ebenso gut aus einer der Marketingabteilungen der internationalen Großkanzleien stammen: "QualityLaw". Doch dem Wort ist ein "NRW" angefügt – und der Begriff kommt aus dem Justizministerium des Landes. Es besagt nichts weniger, als dass an den Landgerichten (LG) Düsseldorf, Köln, Essen und Bielefeld Kompetenzzentren für bestimmte Rechtsstreitigkeiten entstanden sind. Dafür hat das Land zum 1. Januar 2022 einzelne Themenbereiche den Gerichten als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen.  

Bei der 24. Zivilkammer und der 2. Kammer für Handelssachen am LG Düsseldorf liegt damit die ausschließliche Zuständigkeit für M&A-Streitigkeiten mit einem Streitwert von über 500.000 Euro, Streitigkeiten aus der "Informations- und Medientechnik" sind in Köln konzentriert, an den LG Essen und Bielefeld ist der Bereich "erneuerbare Energien" zusammengefasst.  

Ermächtigung längst in Kraft 

Möglich machte diese Konzentration auf die vier Standorte die Neufassung des § 13a Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) durch den Bundesgesetzgeber, die bereits seit dem 1. Januar 2021 in Kraft ist. Durch die Norm werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung einem Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte Sachen aller Art ganz oder teilweise zuzuweisen, sofern dies für die sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung von Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierung hat davon mit einer Verordnung von November 2021 Gebrauch gemacht, die Änderung ist seit dem 1. Januar 2022 in Kraft.  

Nun tourt Landesjustizminister Dr. Peter Biesenbach (CD) durchs Ländle, um das mit seinen Worten "bundesweit einzigartige Projekt" an den Gerichtsstandorten vorzustellen. Diese Woche war er in Essen, vergangene in Düsseldorf. Am dortigen LG sitzt das Kompetenzzentrum für Streitigkeiten über Unternehmenstransaktionen, die sogenannten Mergers & Acquisitions (M&A), wie sie das NRW-Justizministerium wiederum in der Sprache der international beratenden Kanzleien bezeichnet. Streitigkeiten nach Unternehmenstransaktionen, die so genannten Post-Merger-Streitigkeiten, werden bisher in aller Regel bei Schiedsgerichten verhandelt. 

Aber: "Das LG Düsseldorf und das OLG Düsseldorf haben sich über die letzten Jahre bereits eine besondere Kompetenz auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts erarbeitet", sagte Biesenbach in Düsseldorf. Mit der Einrichtung der Spezialzuständigkeit werde diese Kompetenz nun nochmals deutlich gestärkt. 

Case Management und Verhandlung auf Englisch 

Es fallen Begriffe wie Case Management für die optimale Strukturierung der Verfahren, Erreichbarkeit der Richterschaft, Konzentration der Verfahren auf wenige Tage, Flexibilität sowie Verhandlungen und Dokumenteneinreichung in englischer Sprache. All das, um "eine zügige und an den zeitlichen Bedürfnissen der Parteien ausgerichtete Bearbeitung tatsächlich und rechtlich komplexer Sachverhalte auf höchstem juristischem Niveau" zu erreichen, so der Justizminister. 

Das Gericht kann schon jetzt für die Verhandlung die Öffentlichkeit ausschließen, wenn wichtige Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs- oder Steuergeheimnisse zur Sprache kommen und überwiegende schutzwürdige Interessen durch deren öffentliche Erörterung gefährdet wären. Wo es von den Parteien gewünscht ist, könne im Rahmen eines Güteverfahrens selbst umfassende Vertraulichkeit garantiert werden, so Biesenbach. Zudem seien jederzeitige Videoverhandlungen und bzw. oder Simultanübersetzungen möglich. Für die Parteien stünden Beratungsräume zur Verfügung. 

Um die Schwerpunktgerichte zu echten Kompetenzzentren zu machen, würden die Spezialkammern an den betroffenen Gerichten nur mit Richterinnen und Richter besetzt, die über besondere richterliche Erfahrung und über entsprechende Fachkenntnisse verfügen. 

Ministerium: Möglichkeiten ausschöpfen 

Tatsächlich ist über § 185 Abs. 2 GVG bereits jetzt möglich, die mündliche Verhandlung und Zeugenvernehmungen in Englischer Sprache durchzuführen. Die Regelung des § 172 GVG erlaubt den Ausschluss der Öffentlichkeit, § 278 Abs. 5 Zivilprozessordnung ermöglicht, streitige Aspekte in einem Verfahren auszuklammern und mit einem Güterichter aufzulösen. Parteien können das Ergebnis dieser Verhandlungen dann falls gewünscht als unstreitig in das weitere Verfahren einbringen. 

"Wir versuchen in unseren Kompetenzzentren, die heute schon bestehenden Möglichkeiten der Verfahrensordnungen besser und zeitgemäßer auszunutzen", sagt Jörg Baack, Ministerialrat im Justizministerium und einst selbst Richter sowie Pressesprecher am Kölner Amtsgericht. Schließlich werde immer wieder der Eindruck vermittelt, dass die Justiz von Parteien in diesen komplexen Spezialthemen nicht mehr als hinreichend kompetent wahrgenommen werde. "Fakt ist aber: Wir haben die Leute, wir haben die Kompetenz und wir haben schon viele Möglichkeiten, diese einzusetzen". Ein Baustein dazu sei aber, dass die großen, komplexen Verfahren nicht mehr über das ganze Land verstreut werden, wo sich Richter:innen in die Besonderheiten erst aufwändig einarbeiten müssten. Mit der Konzentration auf die vier Standorte würden die speziellen Großverfahren automatisch bei Experten angesiedelt und andere Richter:innen hiervon Fällen entlastet. Der Kammervorsitzende in Düsseldorf etwa, Dr. Robert Papst, hat selbst fünf Jahre im Londoner Büro einer internationalen Großkanzlei, seinerzeit Lovells, gearbeitet. 

Urteile auf Englisch ausgeschlossen 

Es ist jedoch nach der bestehenden Rechtslage nicht alles möglich, was sich das Landesjustizministerium wünschen würde: Dokumente, Schriftsätze und Entscheidungen müssen auf Deutsch verfasst sein. Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist nur in engen Grenzen erlaubt. Zudem ist eine Kammer nach der bestehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gezwungen, selbst in Kaufverträgen zwischen Unternehmen eine AGB-Kontrolle vorzunehmen. "Das Meinungsbild in der Wirtschaft ist hier durchaus gemischt. Kleine und mittlere Unternehmen begrüßen die Inhaltskontrolle von AGB auch im B2B-Verkehr regelmäßig", sagt Baack. Große, internationale Konzerne, die mit vielen Anwältinnen und Anwälten einen umfangreichen Vertrag aufgesetzt haben, empfinden eine solche Detailprüfung durch die Gerichte hingegen als unpassend. 

Doch für alles, was noch zu regeln ist, gibt es bereits Gesetzesinitiativen. Eine mit dem Titel " Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten" wird Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Hamburg im März erneut im Bundesrat einbringen. Ein wortgleicher Entwurf wurde dort bereits im Vorjahr angenommen, braucht wegen der durch die Bundestagswahl 2021 bedingten Diskontinuität nun aber einen neuen Anlauf. Ähnliche Initiativen zur Professionalisierung der Justiz, gab es bereits mehrfach, weiß Baack zu berichten. Sie sind in Berlin bisher häufig gescheitert. 

Feedback aus der Fachwelt: positiv 

In der Anwaltschaft und in der Wissenschaft stößt die QualityLaw NRW Initiative jedenfalls auf Zuspruch: "Die völlige Unabhängigkeit der Richter:innen, die Rechtssicherheit, Rechtsfortbildung und auch die geringeren Kosten für die Mandantschaft sprechen für einen Erfolg dieser Spezialgerichte", sagt Achim Glade, Namenspartner und M&A-Anwalt in der Wirtschaftskanzlei Glade Michel Wirtz in Düsseldorf. Es gebe inzwischen viele Aspekte in Unternehmenskaufverträgen, bei denen die Praxis zwar gangbare Wege gefunden habe, eine entsprechende Rechtsprechung durch drei Berufsrichter aber zu Einheitlichkeit und Rechtssicherheit führen würde. Das wäre für die Anwaltschaft und für die Mandanten zielführend.  

Dass die Dokumente noch nicht auf Englisch verfasst sein können, sieht Glade nicht als engen Hemmschuh: "Wichtig ist, dass die Richter:innen Englisch sprechen und die Beteiligten ihre Anliegen in ihrer Sprache vorbringen können", die Dokumente selbst seien übersetzbar.  

So sieht es auch Tristan Rohner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf von Professor Dr. Rupprecht Podszun. "Mit diesen Kammern wird ein Bedürfnis der Unternehmen bedient", sagt er. Die Unternehmen treffen bei Gerichten auf Kammern mit drei Berufsrichter:innen, was zu einer erheblichen Professionalisierung beitrage und das Relikt der Handelskammern obsolet werden lasse. Nur dass die Streitwertgrenze bei 500.000 Euro liegt, hält Rohner für verfehlt: Wichtige Rechtsfragen könnten sich auch unterhalb dieser Schwelle stellen.  

Podszun und Rohner hatten bereits im Jahr 2017 eine wissenschaftliche Abhandlung mit dem Thema "Staatliche Gerichte für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten stärken - Ein ‘Düsseldorf Commercial Court’ als Antwort auf den Brexit" verfasst. Die Vorschläge sind – mit denen anderer Experten - in die NRW-Initiative eingeflossen. 

Schneller, besser, internationaler 

Justizminister Biesenbach hatte schon vor Jahren angekündigt, Streitigkeiten nach Unternehmenstransaktionen "aus der Black Box der Schiedsverfahren herausholen" zu wollen. Dieses Ziel lässt sich mit der Chance auf der Gewährleistung von Rechtsfortbildung, Einheitlichkeit und Rechtssicherheit gut begründen. Nun führte er an, "die Qualität der Rechtsprechung in diesen wichtigen und zukunftsträchtigen Bereichen zu sichern, zu stärken, zu internationalisieren und die Verfahren zu beschleunigen" zu wollen. 

"Attraktive Gerichtsstandorte ziehen Dienstleister an, die wesentliche Beiträge für die Wirtschaft leisten, und sie erleichtern Unternehmen die Investitionsentscheidung an einem Standort. Dieser Aspekt hat angesichts des Brexits an Bedeutung gewonnen", analysierten damals Professor Dr. Rupprecht Podszun und Tristan Rohner. 

Ein Beispiel, das bis heute eine Erfolgsgeschichte ist, nannten sie schon dort: Obwohl weltweit Gerichte zur Auswahl stünden, sei es das LG Düsseldorf, das gezielt zur Entscheidung von Patentstreitigkeiten angerufen werde. Es existiert also schon, das "QualityLaw NRW". Nur unter gewöhnlicherem Namen.

Zitiervorschlag

Kompetenzbündelung an NRW-Gerichten: Viel Law, doch wie viel Quality? . In: Legal Tribune Online, 16.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47553/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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