Beschleunigte Asylverfahren: Anwalt­ve­rein gegen Tat­sa­chen­kom­pe­tenz des BVerwG

von Hasso Suliak

14.04.2022

Der DAV fordert, den Asylprozess an das allgemeine Verwaltungsprozessrecht anzupassen und den Rechtsschutz effizienter auszugestalten. Mehr Kompetenzen für das BVerwG zwecks Vereinheitlichung der Rechtsprechung lehnt er ab.

"Asylverfahren müssen fair, zügig und rechtssicher ablaufen. (…) Außerdem wollen wir schnellere Entscheidungen in Asylprozessen sowie eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung und werden dazu zügig einen Gesetzentwurf vorlegen."

Diese Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag der Ampel hat der Deutsche Anwaltverein (DAV) jetzt zum Anlass genommen, seine Vorstellungen von einem reformierten, beschleunigten Asylprozess zu formulieren. Wichtigster Adressat seiner am Donnerstag veröffentlichten "Initiativstellungnahme" dürfte das Bundesinnenministerium (BMI) sein, in dem der angesprochene Gesetzentwurf erarbeitet wird. Eine Sprecherin des BMI gab gegenüber LTO bekannt, dass in der zweiten Jahreshälfte entsprechende gesetzliche Regelungen vorgelegt werden sollen.*

Nur eine Angleichung der Rechtsmittel im Asylprozess an das allgemeine Verwaltungsprozessrecht führe zu effektiverem Rechtsschutz und ermögliche die Vereinheitlichung einer zurzeit zersplitterten Rechtsprechung – und führe damit auch zu einer Beschleunigung des Asylprozesses, so der DAV.

Uneinheitliche Rechtsprechung

Eine heillose Uneinheitlichkeit wird der Asylrechtsrechtsprechung schon seit längerem vorgeworfen. In der letzten Wahlperiode hatten deshalb die Grünen einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der es den Oberverwaltungsgerichten hätte ermöglichen sollen, Leitentscheidungen zur Lage in den Herkunftsländern zu treffen, um damit die Rechtsprechung zumindest in ihrem Bezirk zu vereinheitlichen.

Im Gespräch war aber auch immer wieder eine erweiterte Tatsachenkompetenz des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu schaffen. Das Gericht sollte so ebenfalls zur Vereinheitlichung der Asylrechtsprechung beitragen könne.

Derzeit arbeitet das BVerwG in der Regel als Revisionsgericht. Es erhebt keine Tatsachen, sondern stellt sicher, dass Bundesrecht einheitlich und richtig angewendet wird.

Der DAV sieht nunmehr Überlegungen, dem BVerwG eine Kompetenz zur herkunftslandbezogenen Tatsachenfeststellung und Tatsachenbewertung zuzuweisen, kritisch. Für eine Beschleunigung des Asylprozesses und den effektiven Rechtsschutz wäre dies sogar kontraproduktiv.

"Bei den Hauptherkunftsländern herrscht vielfach eine schwankende Sicherheitslage, auf die dynamisch reagiert werden muss. Sogenannte Leitentscheidungen mit Bindungswirkung führen dann gerade nicht zu einer nachhaltigen Klärung“, mahnt Rechtsanwalt Berthold Münch aus dem DAV-Ausschuss Migrationsrecht. "Eine Fixierung durch Leitentscheidungen bedeutet dann eine Verlängerung der Asylverfahren." Schließlich müsse weiterhin darüber gestritten werden, ob eine Änderung im Herkunftsland die Bindungswirkung aufhebt oder gerade bestätigt.

Auch Pro Asyl skeptisch

So sah es bereits die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl in einer Stellungnahme von 2019: Das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach entschieden, dass im Rahmen des Asylrechts "tagesaktuell" über Tatsachen zu entscheiden sei. Insbesondere die Umstände zur Sicherheits- oder Versorgungslage könnten sich ständig ändern, hieß es.

Ähnlich kritisch äußert sich auch der Asylrechtsexperte Dr. Matthias Lehnert. "Eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung am Asylrecht ist zwar an sich wünschenswert. Aber das Bundesverwaltungsgericht ist dafür nicht die passende Instanz: Die Verfahren dauern hier sehr lange, und das wird dem Asylverfahren nicht gerecht: Hier muss auf aktuelle Entwicklungen in den Herkunftsländern reagiert werden", so der Anwalt gegenüber LTO.

Und das Gericht selbst? Das BVerwG dürfte ebenfalls nicht besonders "amused "sein, wenn es im Asylrecht künftig Tatsachenfragen zu klären hat. Schon jetzt ächzt das Gericht über das Aufkommen der Verfahren, für die es nicht als Revisions- sondern als Eingangsinstanz verantwortlich ist. Dazu zählen neben Klagen gegen vom Bundesminister des Innern ausgesprochene Vereinsverbote vor allem komplexe Streitigkeiten über die Planung und den Ausbau von wichtigen Verkehrswegen (Autobahnen, Eisenbahntrassen, Wasserstraßen etc.). Obwohl die Verfahren zahlenmäßig einen verhältnismäßig geringen Anteil ausmachen, belasten sie das Gericht enorm: 2020 etwa wurde ein Drittel der Arbeitskraft des Gerichts durch solche Verfahren gebunden.

"Seriöses Gesetzgebungsverfahren"

Der DAV indes hofft nun für das angekündigte Gesetzgebungsverfahren, dass den "fachkundigen zivilgesellschaftlichen Institutionen" genügend Zeit zu Stellungnahmen eingeräumt wird. "Die Praxis früherer Regierungen, Stellungnahmen innerhalb weniger Tage oder gar weniger Stunden anzufordern, ist mit einem seriösen Gesetzgebungsverfahren nicht zu vereinbaren“, kritisiert Anwalt Münch. 

Wann das BMI mit einem Gesetzentwurf die Diskussion eröffnet, ist noch offen. Die grünennahe Heinrich Böll Stiftung zeigte sich jedenfalls unmittelbar nach Fertigstellung des Koalitionsvertrages für diesen Bereich äußerst zuversichtlich: "Wenn es gelingt, alle im Koalitionsvertrag festgelegten Vorhaben umzusetzen, werde Deutschland die fortschrittlichste Migrations-, Asyl- und Integrationspolitik der EU haben."

*Satz ergänzt am Tag der Veröffentlichung um 17:31 Uhr.

Zitiervorschlag

Beschleunigte Asylverfahren: Anwaltverein gegen Tatsachenkompetenz des BVerwG . In: Legal Tribune Online, 14.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48170/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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